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Einzelausstellung

Ed Atkins im Kunsthaus Bregenz

Bregenz / Lesedauer: 4 min

Ed Atkins zeigt im Kunsthaus Bregenz seine gebrochenen Computerhelden
Veröffentlicht:30.01.2019, 18:57

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Große Gefühle, digitale Welten: Der britische Medienkünstler Ed Atkins feiert in seinen Arbeiten das Künstliche. Seine Helden in einer frauenlosen Welt sind geschundene Gestalten, die versuchen, Kontakt zum Betrachter aufzunehmen. Doch die Figuren sind gefangen in Endlosloops, und es gibt kein Entrinnen. Ed Atkins hatte bereits Einzelausstellungen in New York, Paris, Amsterdam und Frankfurt am Main. Jetzt sind seine Videoinstallationen im Kunsthaus Bregenz (KUB) zu erleben. Ein schräges Abenteuer.

Es geht los mit großem Tamtam. Monitore an einem riesigen Portalkran empfangen das Publikum. Dazu dröhnt Ravels „Bolero“ ohrenbetäubend aus unsichtbaren Boxen. „No Fear“ (Keine Angst) steht in großen Buchstaben auf einem Wolfsplakat an der Wand. Der Drei-Kanal-Video-Loop entführt einen auf den Flughafen zur Sicherheitskontrolle. In die Wannen auf dem Laufband kommen bei Ed Atkins aber nicht Jacken, Mobiltelefone und Handgepäck. Stattdessen landen dort menschliche Knochen, Eingeweide, abhackte Hände, Nasen, Augäpfel, Exkremente und Fratzen, die sich sein Avatar immer wieder vom Gesicht reißt. Diesem Mann verleiht Atkins seine Gesichtszüge, seine Mimik, seine Stimme. Die Figur ist sein Alter Ego.

Attacke auf die Sinne

Eine wahnwitzige Parodie auf den Sicherheitsfanatismus in der westlichen Welt hat sich da der britische Medienkünstler mit „Safe Conduct“ (2016) (etwa: sicheres Geleit) einfallen lassen. Dass es im KUB nicht harmlos weitergehen wird, kann sich der Besucher nach diesem furiosen Auftakt denken.

„Old Food“ (2017) etwa im ersten Stock entführt in eine pseudohistorische Welt mit idyllischer Landschaft, rustikaler Hütte und Klavier. Neun Videos laufen hier gleichzeitig. Das Durcheinander an Bildern und Tönen attackiert die Sinne des Betrachters und wird nur durch tonnenweise historische Kostüme, aufgehängt in Doppelreihen, aus dem Fundus der Bregenzer Festspiele und des Landestheaters etwas gedämpft. Schluchzende Gesichter blicken einen von Großbildschirmen an. Es trieft ihnen nur so aus den Augen und aus der Nase. Fasziniert schaut man zu, wie Tränen und Rotz laufen und laufen. Zugleich berührt einen ihre Trauer nicht – nicht mal die des alten Mannes im mittelalterlichen Kapuzenmantel mit Kerze. So viel Gefühl, alles reiner Fake! Tatsächlich sind die Figuren per CGI (Computer Generated Imagery), also mittels 3-D-Computergrafik, zum Leben erweckt worden. „CGI ist unser neuestes künstlerisches Spielzeug. Es hält unsere Vorstellungskraft gefangen. Es wird immer unterhaltsamer, unsere Welt in ihrem digitalen Spiegel zu betrachten. (…) Endlich die Möglichkeit, unsere Träume direkt auszudrucken“, ist in der Übersetzung zu einem der englischen Wandtexte zu lesen.

Und damit ist man auch schon mittendrin in den Themen, mit denen sich der in Berlin und Kopenhagen lebende Brite in seinen hyperrealen Bildwelten beschäftigt: Es geht um Körperlichkeit und Vergänglichkeit, um Schein und Sein, um das menschliche Dasein im digitalen Zeitalter und den Verlust von Authentizität.

Die Einsamkeit des Avatars

Atkins, 1982 in Oxford geboren, gehört zu den Pionieren einer Generation, die die digitalen Technologien als Medium benutzen, durch das sie „auf die Realität, die Gegenwart blicken“, erklärt KUB-Direktor Thomas D. Trummer. Was der Künstler als computergenerierte Simulation gekonnt in Szene setzt, hinterfragt er also sofort wieder – mal brutal, mal melancholisch, mal absurd. Immer wieder arbeitet er dabei mit plötzlichen Brüchen. Seine virtuellen Helden üben einen Sog auf den Betrachter aus. Denn es sind keine Gewinner, sondern einsame, traurige Kreaturen in unheimlichen Welten. Ihre Künstlichkeit wirkt allerdings auch befremdlich. „Keine Bewegung bleibt ohne Fraktur, kein Blick ohne Leere“, sagt Trummer. Atkins baut offenbar bewusst Barrieren auf und spielt mit den Ängsten unserer Gesellschaft. Enden wir irgendwann wie seine gebrochenen Computerhelden? Oder leben wir längst schon so? Solche Fragen kann wohl jeder nur für sich selber beantworten.

In den oberen beiden Etagen des KUB taucht erneut sein Alter Ego auf. Auf vier sich in der Größe steigernden Bildschirmen beobachtet man beispielsweise den Avatar in seinem Schlafzimmer. In „Hisser“ (2015) (Zischer) steht über knapp 22 Minuten die Einsamkeit der Figur im Vordergrund. „Sorry, I didn’t know“, murmelt der Mann immer wieder. Für was er sich entschuldigt, bleibt unklar. Am Ende bebt das Haus, die Erde öffnet sich, Mann und Zimmer werden verschlungen. Dann geht der Loop von vorne los. Glaubt man den sozialen Medien, soll sich dieses Unglück vor einigen Jahren in Kalifornien tatsächlich ereignet haben. Angeblich blieb der Mann spurlos verschwunden. Für Ed Atkins sind solche Geschichten natürlich ein gefundenes Fressen, um hyperreale Bildwelten zu Schein und Sein im digitalen Zeitalter zu erschaffen.