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Tanzhammer

Die britische Sängerin Kim Wilde liefert Pop wie er sein sollte

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Die britische Sängerin Kim Wilde kommt im Herbst auf Tour
Veröffentlicht:24.03.2018, 20:34

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Es macht immer wieder aufs Neue Spaß, wenn die Alten den Jungen zeigen, wo der Tanzhammer hängt. Denn auch wenn jede Generation ihren eigenen Soundtrack zum Erwachsenwerden braucht, kann es nicht schaden, zu hören, was die Menschen früher so auf dem Plattenteller hatten. Kim Wilde ist so ein Beispiel dafür. Mit „Here Come the Aliens“ ist der 57-Jährigen, die den meisten eher durch 80er-Hits wie „Kids in America“ als durch ihre aktuelleren Arbeiten ein Begriff sein dürfte, eine Überraschung geglückt: Das ist zwar Popmusik der alten Schule, wie es sie heute viel zu selten gibt, allerdings weder verstaubt noch peinlich.

Studioalbum Nummer 13 der in West-London geborenen Musikerin ist ein Pop-Album, das selbst eine Ode an den Pop ist. Am plakativsten wird das im programmatisch betitelten „Pop Don’t Stop“ deutlich. „Sie sagen, Du bist vorbei, die Zeiten haben sich verändert, Ende. Aber diese Geschichte hat kein Ende“, singt die Britin da, und: „Jahreszeiten kommen und gehen, was alt war, ist plötzlich wieder neu“: Eine treffende Beobachtung, denn jede Mode feiert ihr Revival früher oder später, ganz egal, wie peinlich sie den damaligen Anhängern im Nachhinein ist. Eine neue Generation findet Schlaghosen, Pilotenbrillen oder Neonfarben dann plötzlich ganz toll – und macht auf ironisch, wenn sie sichergehen will, dass sie trotzdem cool wirkt.

Kim Wilde ist mittlerweile in einem Alter, in dem Büroangestellte bereits an den Vorruhestand denken, und hat etliche Trends kommen und gehen sehen. 1988 stand sie im Vorprogramm von Michael Jackson auf dessen „Bad“-Tour auf der Bühne, zwei Jahre später zog sie mit David Bowie durch Europa. In den 90er-Jahren ließen die Erfolge nach.

Nicht nur Nostalgie

Kim Wilde zog sich aus dem Pop-Business zurück, heiratete 1996 ihren Freund Hal Fowler und kümmerte sich um Sohn Harry Tristan und Tochter Rose Elisabeth, die 1998 und 2000 zur Welt kamen. In dieser Phase entdeckte die ausgebildete Landschaftsgärtnerin die Arbeit im Grünen wieder für sich, moderierte mehrere Gartensendungen im britischen Fernsehen und veröffentlichte ein Buch zum Thema. 2001 nahm dann die musikalische Karriere wieder Fahrt auf. Im Jahr 2003 schaffte es ihr Duett mit Nena („Anyplace, Anywhere, Anytime“) auf Platz drei der deutschen Charts.

Nun also „Here Come The Aliens“, dessen Titel sich auf eine UFO-Sichtung Wildes im Jahr 2009 bezieht. Das Cover (gestaltet von Kim Wildes Nichte Scarlet) mit seiner charmanten B-Movie-Anmutung ist fast schon das Nostalgischste an dieser Platte, denn auch wenn man beim Hören der Songs seufzen möchte „So muss Pop sein“, sind die zwölf Stücke doch kein purer Trip in die Vergangenheit. So hat man den Eindruck, dass hier jemand in den vergangenen Jahren den pathosgetränkten Rock der britischen Band Muse gehört hat. Deren dystopisches 2009er-Album „The Resistance“ blitzt hier durch: Kim Wildes Opener „1969“ erinnert in puncto Groove und Keybord-Sprenkel extrem an den Muse-Song „Uprising“, und ein Déjà entendu hat man dann noch Mal bei „Different Story“. Überhaupt ist die Art, wie poppige Melodien und angezerrte Rockgitarren hier miteinander anbandeln, sehr gut gemacht. Für die Gitarren und auch die Produktion ist Kim Wildes Bruder Ricky verantwortlich. Er schafft es, dass Menschen mit Vorliebe für härtere Klänge sich hier nicht abwenden, aber auch die Pop-Fraktion ihren Spaß hat. Und wenn generische Bassfiguren auftauchen („Stereo Shot“) stellt sich keine Ermüdung ein, sondern eher ein vertrautes Gefühl, als ob man nach Hause kommt.

Zu einer runden Sache machen das Album auch die Melodien. Die wirken frisch und unverbraucht – und heben sich positiv vom zuweilen doch recht austauschbaren Pop ab, wie ihn Rihanna und Co. fabrizieren. „Kandy Krush“ stürmt gutgelaunt nach vorne, während „Solstice“ die warme Mezzosopranstimme von Kim Wilde in den Mittelpunkt rückt und fast schon musicalartig wirkt. Das aufmüpfige „Birthday“ dürfte künftig auf vielen Partys laufen, während „Cyber Nation War“ elektronisches New-Wave-Feeling verströmt. Die perfekte Symbiose gehen Pop-Feeling und Gitarren bei „Rock The Paradiso“ ein. So überdreht und unbeschwert hat man das lange nicht mehr gehört. Mit dem fast fünfminütigen „Rosetta“ endet das Album überraschend ruhig. Hier erinnert Kim Wildes Stimme an Madonna.

Aufgenommen wurde die Platte übrigens in den RAK Studios in London, wo Hits wie „Vienna“ von Ultravox akustisch verewigt wurden. Dort begann Kim Wilde 1981 ihre Karriere, dort nahm sie Hits wie „Cambodia“ auf. Und auf der anstehenden Tournee, die in England beginnt und sie auch nach Deutschland bringt, wird sich wohl zeigen, dass die Frage nach der Altersgrenze für Popmusiker einfach die falsche Frage ist.