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Fachkräftemangel

Der Hass auf Fremde – Ein Essay

Kultur / Lesedauer: 6 min

Deutschland gilt inzwischen als gefährliches Pflaster für Ausländer. Fremdenfeindlichkeit ist nichts Neues, aber wie sie von bestimmten Gruppen noch angestachelt wird, sehr wohl.
Veröffentlicht:07.12.2019, 12:00

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Methusalix lebt, und das nicht nur irgendwo im Norden Galliens, in jenem Dorf, das seit Asterix und Obelix weltberühmt ist. Dass Fremde in sein Dorf kommen, mag er gar nicht. „Ich habe nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden da sind nicht von hier“, bruddelt er. Methusalix lebt auch in Deutschland. Man erkennt ihn an seiner Glatze und den Springerstiefeln oder an seiner Krawatte mit den Hundemotiven. Und er gilt im Ausland als der hässliche Deutsche, dem man nicht begegnen will. Ein in den USA lebender Manager schließt deshalb eine Rückkehr in sein Geburtsland Deutschland trotz attraktiver Jobs in seiner Branche in Rostock aus. Der Amerikaner ist mit einer Frau aus den Philippinen verheiratet. Soll er riskieren, dass sie in Rostock als „Fidschi“ (dort die gebräuchliche Bezeichnung für Asiaten) beschimpft oder gar noch schlimmer angegangen wird? „Das kann ich ihr nicht zumuten.“

Gute Jobs nur für reinrassige Deutsche – das ist ein Luxus, den sich dieses Land nicht leisten kann. Ein weltweit agierender Konzern wie Daimler erhöht deshalb den Anteil an Managern aus dem Ausland, denn dort lebt ein großes Potential an Führungskräften. Etwa die Hälfte des Nachwuchses für Top-Positionen soll künftig aus dem Ausland kommen, sagt Personalvorstand Wilfried Porth, „aus Amerika, China, Indien oder anderen Ländern“. Viele von ihnen werden später im Konzern wieder Jobs im Ausland antreten, aber werden jene, die hier bleiben, sich auch wohlfühlen? Wo jeder vierte Deutsche, im Osten sogar knapp jeder dritte, Ausländer ablehnt? Auch ein noch so schönes deutsches Fachkräfte-Einwanderungsgesetz, das die Rekrutierung von Fachkräften erleichtern soll, die in Deutschland nachgefragt werden, ist da nur ein schwacher Trost.

Verantwortlich dafür ist natürlich Angela Merkel . Hätte sie nicht im Jahr 2015 so viele Flüchtlinge ins Land gelassen, wären viele Deutsche auch nicht so fremdenfeindlich. Das ist leider eine ganz billige, falsche Erklärung. Viel zu viele Deutsche hatten schon immer etwas gegen Fremde, selbst gegen Fremde, die fast von hier waren. Als 1945 Millionen Deutsche aus Pommern, Ostpreußen, dem Sudetenland und anderswo aus dem Osten im Westen Zuflucht suchten, warnte Johannes Tiedje, Landrat von Flensburg, vor der „Mulattenzucht, die der Ostpreuße nun einmal im Völkergemisch betrieben hat“. Ein Jahr später ermahnte Konrad Adenauer seine Rheinländer darauf zu achten, „dass die Vertriebenen nicht den preußischen Geist in die rheinische Jugend pflanzen“.

Eine eigene Erfahrung aus der Zeit, als Ausländer noch Gastarbeiter genannt wurden: Ort: München, Hackerbrücke. Personen der Handlung ein Mann in lederner Kniebundhose, mit Haferlschuhen und Gamsbart-Hut sowie ein offensichtlich südländischer Straßenkehrer. Dieser hatte aus irgendeinem Grund das Missfallen des Urbayern erregt, der den Straßenkehrer beschimpfte, was dieser offensichtlich nicht verstand. Um die Sache abzukürzen, holte der Gamsbarträger mit dem rechten Fuß aus, versetzte seinem Gegenüber einen kräftigen Tritt in den Hintern und entfernte sich.

Nein, Angela Merkel kann nichts dafür. Sie hat 2015 nur den Vorwand dafür geliefert, dass Methusalix endlich laut sagen konnte, was er schon immer gewusst hat: Dass Fremde, die nicht von hier sind, hier auch nichts zu suchen haben. Entweder nehmen sie ihm den Arbeitsplatz weg oder sie tun gar nichts und plündern seine Sozialkasse. Wer dagegen die statistisch erwiesene Wahrheit setzt, macht alles noch viel schlimmer. Etwa, dass 2016 jede fünfte Firmengründung – vom Spezialitätenladen um die Ecke bis zum IT-Dienstleister – von Ausländern ausging, also Arbeitsplätze geschaffen wurden. Oder dass rund 70 Prozent der im Bereich der IHK München-Oberbayern beschäftigten Ausländer hoch qualifiziert sind und gut verdienen, also die Sozialkassen füllen und dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu mindern. Oder dass ein junger Syrer, der erst vor drei Jahren als Flüchtling nach Deutschland gekommen war, das Abitur mit Auszeichnung geschafft hat.

Solche Beispiele machen Angst. Angst davor, dass eines Tages ein Ausländer in der Firma an seinen deutschen Kollegen vorbei befördert, womöglich gar ein Vorgesetzter wird. Dass er das große Haus in der Straße kauft und ein dickes Auto davorstellt. „Du bist ein wichtiges Mitglied unserer großen Nation gewesen, doch Ausländer, Einwanderer und deine eigenen elitären Landsleute haben sich verschworen, um dich niederzudrücken. Dein Land gehört dir nicht mehr, und du wirst in ihm nicht mehr respektiert.“ So beschreibt der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukujama die Empfindungen der Fremdenhasser. Meist leiden sie keine Not, haben eine guten Beruf, aber sie haben Angst. Angst vor einer Zukunft, die nicht einfach die Fortschreibung der Vergangenheit und Gegenwart ist. Weil sie nicht wissen, was kommt, soll alles so bleiben, wie es ist. Der Ausländer, dem sie auf der Straße oder am Arbeitsplatz begegnen, ist das physische Symbol für diesen Wandel, von dem der Fremdenhasser sich bedroht fühlt, der greifbare Sündenbock. Er ist nicht der Feind, er ist das künstlich aufgebaute Feindbild. Zum Beispiel jener Abiturient, dessen eindeutig fremdländischer Name von einem Pegida-Ortsverband ins Internet gestellt wurde, versehen mit dem höhnischen Kommentar „Immer mehr Deutsche machen Abitur“. Seitdem wird er auf Facebook mit Hassbotschaften zugemüllt. „Wir werden uns unser Land jetzt wieder zurückholen“, verspricht der AfD-Rechtsausleger Björn Höcke, indem er die Ausländer rauswerfen will. Aber das Land, das ihm dabei vorschwebt, ist nicht einmal Vergangenheit, es ist verklärte Vergangenheit. Deutschland wird sich Zwangsläufig ändern müssen, so wie es sich schon immer im Lauf der Jahrhunderte verändert hat, auch und gerade durch den Zuzug von Ausländern. Der Geschichtslehrer Höcke sollte das eigentlich wissen.

Im Grunde, so der Politikwissenschaftler Matthias Quendt, sind die rechtsradikalen Ausländerhasser Angsthasen. Sie fühlen sich ständig benachteiligt, bedroht, suhlen sich geradezu in ihrer Opferhaltung. Da genügt schon der lächerlichste Anlass für einen empörten Aufschrei. Dass das Nürnberger Christkind heuer ein Mädchen mit ausländischen Wurzeln ist, wird in den sozialen Medien als Indiz für die Verdrängung der deutschen Bevölkerung gewertet. Es hat eben kein „goldenes Haar“. Deutsche haben blond zu sein und auch sonst ihre typischen Eigenschaften. Die hat schon 1751 Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der USA, erkannt. Sie bauten Zäune um ihre Häuser, sie seien am liebsten unter sich, sie passten sich nicht der amerikanischen Kultur an, hingen sehr an ihrer Sprache und würden Krankheiten mitbringen, schrieb er. Auch hätten sie wie die Italiener, Franzosen, Russen und Schweden eher eine olivfarbene Haut. Sie seien nicht weiß wie die Briten. Methusalix hätte gesagt: Es sind Fremde, die nicht von hier sind. Aber dass die USA heute „great“ sind, ist auch ihnen zu verdanken.