StartseiteKulturDer Fernsehfilm „Brüder“ zeigt den Weg eines Studenten vom Hörsaal ins Ausbildungslager des IS –

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Der Fernsehfilm „Brüder“ zeigt den Weg eines Studenten vom Hörsaal ins Ausbildungslager des IS –

Kultur / Lesedauer: 3 min

Im TV-Zweiteiler „Brüder“ zeigt Regisseur Züli Aladag den verhängnisvollen Weg eines Konvertiten zum IS
Veröffentlicht:19.11.2017, 21:29

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Es ist der Alptraum für Eltern schlechthin, den Regisseur Züli Aladag zu dem äußerst beklemmenden TV-Zweiteiler „Brüder“ verarbeitet: Der eigene Sohn schließt sich erst dem muslimischen Glauben und in der Folge den Kämpfern des IS an. Es ist ein Fernsehereignis der besonderen Klasse, das der deutsch-türkische Regisseur zusammen mit Drehbuchautorin Kirstin Derfler da geschaffen hat. Nicht, weil die Kampfszenen im IS-Ausbildungslager in Syrien besonders realistisch und bedrohlich wirken. Enthauptungen, Kampfszenen wie diese sehen wir täglich auf vielen Bildschirmen. Es ist die Tatsache, dass ein deutscher junger Mann, gebildet, aus bürgerlichem Haus, in einer radikal-islamistischen Bruderschaft etwas findet, was unsere Gesellschaft ihm wohl nicht geben kann: ein Ziel im Leben, das Gefühl der Gemeinschaft und, ganz wichtig, die Verheißung von Gerechtigkeit.

Drei Jahre lang hat Kirstin Derfler recherchiert für diese Geschichte über den sogenannten „biodeutschen Konvertiten“ Jan Welke (Edin Hasanovic in einer preisverdächtigen Darstellung). Der ist Informatikstudent in Stuttgart, wohnt mit dem Medizinstudenten Tariq (Erol Afsin) aus Syrien zusammen in einer Wohngemeinschaft, hat wechselnde Frauenbeziehungen – und spürt eine große innere Leere. Empört ist er über die Greueltaten Assads, unter denen Tariqs Familie leiden muss. Immer häufiger besucht er die Moschee, der charismatische, salafistische Prediger Abadin (Tamer Yigit) wird sein Freund. Er konvertiert gegen den Willen seiner getrennt lebenden Eltern zum Islam.

Als Tariqs Schwester die Flucht aus Aleppo gelingt und sie von den Misshandlungen durch Assads Milizen erzählt, rastet Jan aus. Er überredet Tariq, mit ihm nach Syrien zu reisen, um den Rest der Familie nach Deutschland zu holen. Doch an einer Grenzkontrolle wird Jan von Kämpfern des IS scheinbar entführt und in ein Ausbildungslager gebracht.

Es sind eigentlich zwei Geschichten, die erzählt werden: Zum einen die der außergewöhnlichen Freundschaft zwischen einem sich radikalisierenden Deutschen und einem Syrer, der seiner Religion gleichgültig gegenübersteht. Dass der Verfassungsschutz Tariq auf seinen deutschen Freund ansetzt, macht das Verdrehte der Situation nur noch deutlicher.

Beklemmender aber ist die Geschichte eines labilen jungen Menschen, der in der radikalen Salafisten-Szene Stuttgarts eine Gemeinschaft findet. Die hierarchische Struktur und die klaren Regeln des Islam geben dem Frustrierten Halt. „Jemand wie Jan Welke hätte auch bei den Linksautonomen oder dem NSU landen können“, beschreibt die Autorin Derfler die Gründe für die Radikalisierung.

Züli Aladag hat sich bereits in seinem Film „Die Opfer – Vergesst mich nicht“ (eine Folge des Dreiteilers „Mitten in Deutschland: NSU“) mit den Ursachen von Radikalisierung befasst. Was ihm diesmal auf fast schon beängstigende Weise in „Brüder“ gelingt, ist, eine Verbindung des Zuschauers mit der Figur des Jan Welke herzustellen. Ein junger Mann, der das Herz am rechten Fleck hat – der zum Mörder wird. „Man muss kein ausgegrenzter, chancenloser Migrant mit islamischem Hintergrund sein, um aus Wut gegen Ausgrenzung für Radikalität anfällig zu sein.“

Es ist ein langer Fernsehabend, da die ARD kurzfristig entschieden hat, die beiden Teile des Spielfilms plus anschließender Dokumentation an einem Stück am Mittwochabend zu senden. Aber es ist ein absolut lohnenswerter.

Brüder – Mittwoch, ARD, 20.15 Uhr. Sebastian wird Salafist – Mittwoch, ARD, 23.45 Uhr.