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Das Rätsel Ingeborg Bachmann

Kultur / Lesedauer: 5 min

Ina Hartwig schildert in ihrer neuen Biografie eine Leidenschaft bis zum Kontrollverlust – Todesursache weiterhin ungeklärt
Veröffentlicht:17.01.2018, 20:45

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War sie etwa – was nicht wenige vermuteten, ganz besonders Frauen – eine Komödiantin?“ Die Frage stellte sich der Kritiker Marcel Reich-Ranicki Jahre nach dem Tod von Ingeborg Bachmann im Jahr 1973. Ina Hartwig, ehemalige Literaturredakteurin bei der „Frankfurter Rundschau“ und seit 2016 Kulturdezernentin in Frankfurt, fragt in ihrer Biografie nach den Schattenseiten der Dichterin, die bis heute von vielen Lesern als Ikone verehrt wird und um deren Leben sich zahlreiche Mythen ranken.

Reich-Ranicki war, wie viele andere, die Ingeborg Bachmann aus der „Gruppe 47“ kannten, dieser „vielleicht bedeutendsten Lyrikerin unseres Jahrhunderts“ (Reich-Ranicki) zugetan. In den Zeitungen wurde sie als die „First Lady“ der „Gruppe 47“ gefeiert. Umso größer war die Bestürzung über ihren rätselhaften Tod drei Wochen nach den schweren Brandverletzungen in ihrer römischen Wohnung. War es ein Unfall, war es ihre Drogen- und Alkoholabhängigkeit, oder gar eine unzureichende Medikamentierung im Krankenhaus? Wäre sie womöglich noch zu retten gewesen? Ihr langjähriger Freund Hans Werner Henze erstattete sogar Anzeige wegen Mordverdachts.

Ina Hartwig schildert ihre Recherchen, ihre Gespräche mit Zeitzeugen, die Ingeborg Bachmann aus nächster Nähe erlebt haben. Darunter auch herausragend ein Treffen mit Henry Kissinger, der in jungen Jahren die Österreicherin an die Summer-School von Harvard geholt hatte. Hartwig über das Gespräch mit Kissinger: „Ich war bewegt von der Begegnung, weil der alte Herr seine Gefühle gezeigt hatte. Seine Beziehung zu Ingeborg Bachmann war zweifellos tief gewesen, für ihn selbst. Wie stand es aber um die andere, um ihre Seite?“ Kissinger antwortete, Bachmann habe seine Gefühle nicht so geteilt wie er sich das gewünscht habe.

Max Frisch wird ausgespart

Ingeborg Bachmann hatte sich als Lyrikerin und Essayistin schon in jungen Jahren einen Namen gemacht. Sie war erfolgreich, vital und ambitioniert – was freilich nicht ausschloss, dass sie im Privatleben ihre Leidensfähigkeit bis zum Kontrollverlust ausschöpfte, was sich aus vielen ihrer Texte herauslesen lässt. Ihre Biografin vermutet, dass sie solche Grenzerfahrungen nur mit ihren homosexuellen Freunden leben konnte. Sie nennt ihr Bachmann-Buch eine „Biografie in Bruchstücken“.

In der Tat fehlt ein entscheidendes Kapitel, nämlich die Beziehung zwischen Max Frisch und Ingeborg Bachmann, die über vier Jahre ging und für beide eine Katastrophe war – und bis zum Tod der Dichterin dauerte. War also Frisch indirekt für ihren Tod verantwortlich wie viele seinerzeit geurteilt haben? Anziehung und Abstoßung hielten sich bei diesem Paar die Waage. Indes: Der Briefwechsel zwischen beiden ist bislang nicht veröffentlicht und konnte von Ina Hartwig nicht eingesehen werden.

Einen besonderen Part in Bachmanns Leben nahm aus der Sicht ihrer Biografin ihr Vater ein. Im „Traumkapitel“ von Bachmanns Roman „Malina“ ist er der böse Vater, der im KZ mordet und als Vergewaltiger auftritt. Andererseits scheint sie ihren Vater doch auch geliebt zu haben. Sie imaginiert jedenfalls eine Vaterfigur mit zwei Gesichtern. Als Lehrer und Schuldirektor in Klagenfurt hat er in ihrem Leben offenbar eine wichtigere Rolle gespielt als ihre Mutter. Dass sie seinen Eintritt 1932 in die NSDAP nicht an die große Glocke hängt, findet ihre Biografin jedenfalls erwähnenswert – im Unterschied zu Bachmann selbst, die sich darüber offenbar nicht geäußert hat.

Gleichwohl: Die Bachmann ist keineswegs unpolitisch. Sie zieht die Lektüre der jüdischen Widerstandskämpferin und Philosophin Simone Weil dem Lesen von Karl Marx vor – was „wiederum ein Licht auf die Freundschaft mit dem jüdischen Emigranten, amerikanischen Patrioten und Antikommunisten Henry Kissinger wirft“. Die Beziehung mit Paul Celan endet unglücklich. Sie will seine Ehe nicht gefährden, er fühlt sich durch ihren Erfolg bei der „Gruppe 47“ an den Rand gedrängt. Er ist eifersüchtig. Hartwig: „Sie weist seine Gefühle zwar nicht zurück, aber sein Drängen schon. Sie bremst ihn im Grunde aus.“

In Berlin wird der polnische Schriftsteller Witold Gombrowicz ihr „erster Vertrauter“ (Hartwig), dessen Liebesleben zugleich subkulturell gewesen sei. Er befinde sich in „ständiger Erregung“ zitiert die Biografin aus Gombrowiczs’ „Intimen Tagebuch“. Fazit: „Offenbar greift er auf den Berliner Jungenstrich zurück.“ In dieser Berliner Zeit Anfang der 60er-Jahre lernt Peter Härtling sie kennen: „Ingeborg Bachmann habe ich schon mal ins Bett getragen! Ich habe sie oft bei Grass gesehen. Sie saß da und trank ...“

Alkohol und Drogen

So berichten die von der Biografin befragten Zeitzeugen je nach Temperament über ihre Erfahrungen mit Ingeborg Bachmann: Hans Werner Henze nur von der „guten Zeit“ mit ihr, Peter Handke heiter: „Sie wird bleiben.“ Hans Magnus Enzensberger: „Ingeborg war anfällig, sie war eine gefährdete Person.“ Alkohol und Drogen, Selbstaufgabe und Unterwerfung. Wer war Ingeborg Bachmann aber in Wirklichkeit? Diese zentrale Frage bleibt so offen wie ihre Todesursache ungeklärt. Ina Hartwig meint jedenfalls: „Mord war es nicht.“ In „Malina“ hat Ingeborg Bachmann die eigene Todesart vorweggenommen, wenn sie vom Verbrennen spricht. „Es kommt über mich, ich verliere den Verstand, ich bin ohne Trost, ich werde wahnsinnig.“ Dazu passt dann der letzte Satz im Buch: „Es war Mord.“

Ina Hartwig: Wer war Ingeborg Bachmann? Eine Biografie in Bruchstücken, S.Fischer Verlag, 320 Seiten. 19,99 Euro.