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Geschosswohnungsbau

Bezahlbarer Wohnraum

Kultur / Lesedauer: 4 min

Ein neues Buch würdigt erstmals die Baukultur im Geschosswohnungsbau
Veröffentlicht:04.12.2019, 19:27

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Geschosswohnungsbau: Schon der Begriff klingt freudlos. Und in der Tat werden Architekten für vieles ausgezeichnet: für Museen, Schulen, Bibliotheken. Für Hochhäuser und für Villen. Oder sogar für die Anlage eines Verkehrskreisels, wie in der Nähe von Tuttlingen. Aber selten für den Bau von Mietwohnungen.

Neben den Architektenkammern, die Preise für „Beispielhaftes Bauen“ verleihen, zeichnet auch der Callwey-Verlag mit seiner Buchreihe „Häuser des Jahres“ Einfamilienhäuser aus. Dieses Jahr nun legt der Verlag mit einem Band zum Wohnungsbau nach. Wohnungsmangel und steigende Mietpreise sind inzwischen zum Politikum geworden. Im Februar 2020 stimmt die Schweiz über die Initiative „Mehr bezahlbarer Wohnraum“ ab.

Das Buch begibt sich auf schwieriges Terrain, denn Bauaufgaben und Bauvoraussetzungen sind bei diesem Thema sehr unterschiedlich. Es begegnet dem mit sehr differenzierten Beurteilungen, was im Falle von Neubau, Umnutzung, Revitalisierung und Nachverdichtung als „Baukultur“ gewürdigt werden kann. Und setzt ebenfalls auf die „Wirkung des guten Beispiels“.

Die Relevanz des Themas ist regional ganz unterschiedlich. Geschosswohnungsbau ist typisch für Großstädte, die Mietpreise sind ein Problem boomender Zentren. Dringlichkeit und Bedarf sind jetzt gerade dort gegeben, wo schon die Vernachlässigung politisches Programm war. So ist in diesem Band Berlin massiv vertreten. Die beiden ersten Preise, die für Neubau und Umbau vergeben werden, gehen in den Prenzlauer Berg, Europas größten zusammenhängenden Altbaubestand. Der prämierte Neubau füllt eine Baulücke, er integriert einen vorhandenen Lebensmittelmarkt geschickt in das neue Ensemble, das sich vom Baumuster des Bezirks markant absetzt.

Auch der Preis für den Umbau geht an eine Mischnutzung. Sie integriert ebenfalls einen Lebensmittelmarkt, aber auch noch Kita und Café. Von außen wirkt das nun erweiterte Klinkergebäude fast wie ein Neubau, in den ergänzten Bereichen bietet es ungewöhnliche Wohnungszuschnitte. Als Anfangsgebäude entlang einer Verkehrsachse geht es mit seinem Kopfteil über dieBerliner Traufhöhe hinaus. Auch preislich befinden wir uns im höherem Segment.

Ein ähnliches Beispiel, ebenfalls ganz aus der Nähe, folgt auf den hinteren Rängen. Hier wäre mit Umbau allein nichts zu holen gewesen. Es ist die Revitalisierung eines Industriequartiers an der östlichen Peripherie des Bezirks Mitte, das sich mit seinem 1910 entstandenen Altbestand durch eine schlichte, helle und damals wegweisend nutzungsoffene Architektur aus weißem Backstein auszeichnet. Das Gelände lag lange brach; dass es nun aufgewertet ist, hängt damit zusammen, dass sich der BND gegenüber angesiedelt hat. Die gehobene Preiskategorie der Lage repräsentiert das angrenzende Apartmenthaus des Büros Daniel Liebeskind, das als Kopfbau dem Quartier vorantänzelt.

Es gibt zwei bemerkenswerte Umbauten. Die Konversion einer Kirche zu Wohnungen in Berlin-Kreuzberg. Und die Umnutzung eines Versicherungsgebäudes in Saarbrücken, das im Originalzustand wie ein kleines Mies-van-der-Rohe-Hochhaus ausgesehen hat, denkmalgeschützt zwar, aber eben auch energetisch aus einer anderen Epoche. Außen hat sich das strenge Objekt kaum verändert, aber innen sind sehr großzügige, offene Wohnungen entstanden.

Zwei Projekte kommen nicht aus der verdichteten Urbanität, sondern vom flachen Land. Eines liegt südlich von München in Weyarn. Hier wurde auf dem Gelände eines ehemaligen Augustinerstifts nebst Brauerei ein neuer Dorfbereich mit Mehrgenerationenhäusern angelegt und an ein neues Nahwärmenetz angeschlossen. Ein zweites generationenübergreifendes Projekt liegt in Ostholstein.

Zwischen Rendite und Qualität

Der Band beschränkt sich nicht damit, die 30 Projekte zu beschreiben und zu bebildern, sondern fügt Interviews hinzu mit Architekten, Vertretern der Baugemeinschaft, der Eigentümergemeinschaft, den Projektentwicklern und Wohnbaugesellschaften. Hier kommen dann die verschiedenen Rahmenbedingungen des Bauens auf den Tisch, das Verhältnis von Rendite und Qualität, die Kalkulation für die Mieten, die insgesamt gestiegenen Baukosten, die Bereitstellung von Bauland. Gerade bei den zuletzt genannten Projekten wird deutlich, wo Sand im Getriebe ist. Wenn eine Wohnbaugesellschaft solche Projekte wie Mehrgenerationenhäuser umsetzt, die als politisch und gesellschaftlich gewünscht postuliert werden, stellt sie fest, dass die gesetzlichen Vorgaben gerade in die Gegenrichtung steuern. Bei den Interviews mit Architekten wird deutlich, wo auch an der Schnittstelle von Architektur und Genehmigungsverfahren der Modernisierungsbedarf besteht.