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Völkermord

Azteken-Ausstellung in Stuttgart

Stuttgart / Lesedauer: 4 min

Die Landesausstellung im Lindenmuseum zeigt ein Panorama der aztekischen Kultur
Veröffentlicht:16.10.2019, 07:00

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500 Jahre Völkermord sind auch ein Jubiläum. 1519 landete Hernán Cortés an der Küste Mexikos . Der Kommandant einer spanischen Flottille hatte von reichen Goldschätzen der Azteken gehört und begann zügig seinen Marsch auf Tenochtitlan. Als er die Hauptstadt des aztekischen Imperiums 1521 wieder verließ, hatte er sie nicht nur nach Kräften geplündert. Gängige Strategie spanischer Invasoren war es, die Oberschicht zu beseitigen. Aber nicht nur die Azteken, auch die zahlreichen Völker ihres Reiches gerieten in die Existenzkrise. Vor den Krankheiten, die ihnen die Spanier mitbrachten, kollabierte ihre Immunabwehr.

Die Landesausstellung, die das Lindenmuseum in Stuttgart zeigt, schlägt eine Schneise in den Dschungel der Legenden über die Eroberung Mexikos und den Untergang des Aztekenreiches. Die Ausstellung ist mit ihrer Klarheit, wie sie aus dem souveränen Überblick entsteht, eine wunderbare Gegentherapie. Und eine faszinierende. Sie verbindet den kritischen Blick auf die Überlieferungen mit einer ansprechenden und konzentrierten Präsentation, die auf markante Objekte ausgerichtet ist (Ausstellungsarchitektur: OPERA Amsterdam).

Die Saalfolge ist so angelegt, dass die Besucher Cortés’ Weg folgen, also von der Peripherie ins Zentrum eines Imperiums, das um 1430 entstanden war. Sie spiegelt die Vielfalt der Völker aus 50 Städten und mit ihren 40 Sprachen, die von den Azteken unterworfen und tributpflichtig gemacht wurden. Man erfährt, was das Imperium produzierte und auf den reichen Märkten handelte. Eine Wand ist aufgeschüttet mit Vitrinen von Nahrungsmitteln, die heute weltweit in der Küche präsent sind: Avocados, Peperonis, Kakao.

Schließlich führt der Weg in die Hauptstadt, die damals schon eine der größten Städte war. Und deren Insellage die Spanier beeindruckte. Als sie Tenochtitlan erblickten, fragten sie sich, ob sie wachen oder träumen. In der Ausstellung werden Kunst, Schmuck, Schrift und Bilderhandschriften der Azteken gezeigt, all das, was die Spanier nach Möglichkeit vernichteten oder unterdrückten, um den Eindruck von Barbaren zu vermitteln. Zuletzt gelangt man zu Objekten des Herrscherpalasts und zu Grabungsfunden aus dem Haupttempel: Truhen, in denen die Azteken Opfergaben mit Bedacht arrangiert hatten. Würde man sie auseinander legen, ergäbe der Inhalt ein naturhistorisches Museum Mittelamerikas.

Das Lindenmuseum zielt auf die kulturelle Einbettung der präsentierten Objekte. Und es vermeidet, das Horrorthema aufzuziehen, das ihm – denkt man an den Run auf Leichen-Shows – Massenzulauf bringen würde: die Menschenopfer der Azteken. Die Zeugnisse darüber, die von Cortés und anderen spanischen Konquistadoren stammen, folgen, wie der Schweizer Historiker Urs Bitterli schon 1976 so prägnant schrieb, einem festen Narrativ: Es sind „Heldensagen mittelalterlicher Prägung: ihr Gegenstand ist der Sieg des unerschrockenen Christenmenschen über Gefahren im unbekannten Land und über heimtückische Heidenvölker“.

Was es zu den Menschenopfern zu sagen gibt, erläutert der Katalog, eingebettet in die Darstellung mittelamerikanischer Opfer-Religionen, die ein für europäische Systematik-Bedürfnisse geradezu provokant-diffuses Götter-Sortiment aufweisen.

Auch dieser Katalog macht den Rang der Ausstellung greifbar: Seine Beiträge versammeln die Namen der Forscher, die sich international mit den Azteken befassen. Und der Archäologen, die heute im Zentrum von Mexiko-Stadt graben, wo der Tempelbezirk Tenochtitlans lag. Das Lindenmuseum steht mit ihnen wie dem mexikanischen Kultusministerium in engem Kontakt: Einige Objekte kommen sozusagen frisch aus der Erde und werden zum ersten Mal gezeigt.

Archäologische Erfahrung in Mexiko hat auch Martin Berger vom Nationalmuseum der Weltkulturen in Leiden, der als Co-Kurator mit Doris Kurella, der Sammlungsleiterin des Lindenmuseums, die Ausstellung gestaltet hat. Einer seiner Katalogbeiträge setzt sich mit der schwierigen Quellenlage auseinander, woher wir was über die Azteken wissen. Es gibt ihre Bilderhandschriften, die Berichte der Spanier, vor allem von Cortés selbst. Es gibt die Funde der Ausgrabungen, die das schriftlich Niedergelegte bestätigen oder widerlegen, auf jeden Fall aber den Kenntnisstand erweitern. Und es gibt, darauf weist Berger eigens hin, auch die indigenen Kulturen im heutigen Mexiko, deren Lebensgrundlagen, Sprachen und Riten, ja deren Kleidung und Muster der Webarbeiten die Verbindungen zur Vergangenheit halten. Umgekehrt ist diese Vergangenheit für das heutige Mexiko identitätsstiftend. Der Bezug auf die Azteken reicht von der Landesflagge bis zum Fußball und sichert den Ausgrabungen ein breites Interesse.

Die Ausstellung wird nach Stuttgart noch in Wien und in Leiden zu sehen sein, bis 2021. Exakt so lange, wie Cortés für sein Zerstörungswerk brauchte.