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Einfamilienhaus

Architektur: Haus des Jahres ist ein Holzhaus mit Wellblech-Hülle

Kultur / Lesedauer: 4 min

Architektur: Haus des Jahres ist ein Holzhaus mit Wellblech-Hülle
Veröffentlicht:20.11.2016, 18:46

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Ein Preis für den Preis: In diesem Jahr wird ein kostengünstiges Einfamilienhaus als „Haus des Jahres“ ausgezeichnet.

Das Geheimnis lautet: 27 auf 111. 27 Millimeter beträgt die Höhe, 111Millimeter der Abstand der Wellen beim Dachblech. Als Fassade ist das ein ungewohnter Anblick, zumal in einem Wohngebiet. Nach fünf Jahren ist das aber auch ein neuer Ansatz für die „Häuser des Jahres“, die das Deutsche Architektur-Museum mit dem Callwey-Verlag auszeichnet. Bisher ging der Preis oft nach Vorarlberg. Ein bisschen konnte der Verdacht aufkommen, die Jury habe nicht nur die Architektur beurteilt, sondern sich auch von der Aussicht überwältigen lassen. Schließlich ist es eindrucksvoller, ein großzügiges Holzhaus, eingebunden in Wiese, Wald und Ortsbild zu erleben und vom Panoramafenster auf Hochvogel, Rheintal oder Säntis zu schauen, als von der Küche auf die Garage des Nachbarn.

Trend zum kleinen Budget

Allerdings sind, nach Lage der Dinge, die Voraussetzungen des Bauens in Deutschland nicht immer luxuriös. Das beginnt bei der fehlenden Aussicht und endet bei der begrenzten Einsicht der Behörden. Und die handwerkliche Qualität des Vorarlberger Holzbaus und der Betonverarbeitung in der Schweiz kann man ohnehin nicht überall voraussetzen.

Die Jury, unterstützt von Bernardo Bader, dem Preisträger des Vorjahres (aus Vorarlberg), und von Meinhard von Gerkan (Flughafen Stuttgart, Flughafen Tegel, Hauptbahnhof Berlin) hat etwas Neues gewagt. Der Jury wird von der Immobilienbranche gern der Puls gefühlt, wohin der Trend beim Bauen geht. Also: Der Sieger ist „die neue deutsche Welle“: Ein schlichtes, schmales Haus, das in Olching im Münchener Westen steht und einer Familie 145Quadratmeter Wohnraum bietet. Entworfen hat es der Berliner Architekt Guntram Jankowski, 1972 im benachbarten Gräfelfing geboren.

Das Grundstück ist nicht ideal, die Umgebung nicht spektakulär. Meinhard von Gerkan tut sie als „das übliche Gehäusel“ ab. Aber der Preis: 230000 Euro! Dass an den Kosten geknapst wurde, zeigt die Fassade. Und ihre Originalität ist der Grund für den Preis. Das Haus ist eine Holztafelkonstruktion, eine Brettverschalung hätte nahegelegen, aber sie war der Familie zu teuer. Der Dachdecker kam auf die Idee, Wellblech zu verwenden. Meinhard von Gerkan hat das Haus überzeugt: „Ein Musterbeispiel der Einfachheit für das kleine Budget.“ Und es ist nicht das einzige für das kleine Budget in diesem Buch.

Sanierung statt Neubau

Es gibt noch einen zweiten Trend bei den „Häusern des Jahres“, der ebenfalls mit Kostenersparnis zu tun hat. Zehn von 50 Häusern, die das Buch präsentiert, sind umgebaut, saniert, renoviert. Interessant dabei: Die Beispiele zeigen ein weites Spektrum von Konzepten und Lösungen. In Deutschland stammen Objekte, die Sanierungsbedarf haben, gerne aus den Sechzigern. Die zugehörigen Grundstücke sind weit größer als in heutigen Neubaugebieten und eingewachsen. Oft haben die Häuser neben der guten Lage auch ein gutes Konzept, das sich zu großzügigeren Raumvorstellungen weiterentwickeln lässt. Das Musterbeispiel dafür steht in Waldenbuch. Daneben gibt es einige spektakuläre Umbauten: ein 140 Jahre alter Kuhstall aus der Uckermark, ein Bauernhaus bei München und ein Torflagerhaus in Oberbayern.

Auch das Objekt, das es in diesem Jahr aufs Titelbild geschafft hat, gehört zu den Um- und Erweiterungsbauten. Nur: Man sieht es ihm nicht an. Es ist eine Schönheit und wirkt wie ein Neubau, bei dem sich der Architekt den Spaß erlaubt hat, drei Giebeldach-Häuser zusammenzuschieben. Mit diesem Haus lässt die Jury es dann auch mal gut sein mit dem Trend zum kleinen Budget in der Randlage deutscher Metropolen.

Aus der Ferne eine Form

Wir sind im Tessin, allerdings nicht im Süden bei den Seen, sondern dort, wo jetzt die Züge aus dem neuen Gotthardbasistunnel herausbrechen und nach Bellinzona eilen. In der Talgemeinde des Ticino stehen am Ortsrand kleine Stadel, die landwirtschaftlich genutzt werden. Nur sind sie hier nicht Holz, sondern komplett aus Stein. Sie sind der Maßstab. Ein solches Haus wurde zum Wohnhaus erweitert, indem seine Kubatur verdreifacht wurde. Das ergibt 120 Quadratmeter Wohnfläche. Bei Baukosten von 600000 Franken! Die Raumwirkung ist klosterzellenhaft karg und klar, perfektionistisch im Detail. Architekt Davide Macullo stammt aus einem Nachbarort. Er ist mit seinen Projekten international unterwegs und hat für arabische Geschmäcker auch Pompöses im Angebot. Von dieser Miniatur in seinem Sortiment ist er selber begeistert: „aus der Ferne eine Form, aus der Nähe ein Wunder“.

Man darf davon ausgehen, dass dieses Haus auch der heimliche Favorit der Jury war. Es wirkt großartig in seiner Umgebung, vorne die grüne Wiese, dahinter der dicht bewaldete Berg. Wer genauer hinschaut, entdeckt eine Störzone im Idyll, wie die Raupe oder Fruchtfliege im niederländischen Stillleben. Oberhalb des Ortes liegt die Gerölllawine, die 2012 heranrauschte. Dieser Berg ruft nicht. Er kommt.

Häuser des Jahres 2016, Callwey-Verlag, 270 Seiten, 59,95 Euro.