Bodensee Business Forum 2023
Volkswirt Gruber: „Dürfen nicht untätig bleiben“
Wirtschaft / Lesedauer: 4 min

Hendrik Groth
Wohin steuert die Geldpolitik und mit welchen Auswirkungen muss die hiesige mittelständische Wirtschaft kalkulieren? Diese Fragen werden auf dem 6. Bodensee Business Forum am heutigen Donnerstag in Friedrichshafen diskutiert. Es debattieren unter der Leitung von Giulia Mennillo (Akademie für Politische Bildung Tutzing) der Vorstandssprecher der Volksbank Allgäu-Oberschwaben, Josef Hodrus, Markus Kern, Carthago-Geschäftsführer, und Andreas Reisch, Geschäftsführer der Georg Reisch GmbH. Auch dabei ist der Volkswirt und Alumno der Lindauer Nobelpreisträgertagung, Alexander Gruber. Mit ihm sprach Hendrik Groth.
Wie wird es weitergehen? Gerade hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen zum zehnten Mal erhöht. Jetzt auf 4,5 Prozent. Die Börsen sind optimistisch, dass es die letzte Erhöhung war. Liegen die Märkte damit richtig?
In Anbetracht des schwächelnden Wirtschaftswachstums in der Eurozone und der nachlassenden Kreditvergabe der Banken befinden wir uns nach der jüngsten Leitzinserhöhung der EZB sicherlich am oder nahe am Höhepunkt dieses europäischen Zinserhöhungszyklus, wenngleich vieles natürlich von der weiteren Inflationsentwicklung und der Hartnäckigkeit der Teuerung abhängen wird. Viel wichtiger für die Märkte und auch für die Realwirtschaft erscheint mir aber, wie lange die EZB die Zinsen aufgrund der nach wie vor zu hohen Inflation so hoch halten werden muss. Das sieht man auch ganz klar an den Marktreaktionen nach den letzten Notenbanksitzungen. Die Märkte reagieren aktuell viel stärker auf Änderungen bei den mittelfristigen Zinsausblicken der Zentralbanken als auf momentane Leitzinsentscheidungen.
Was raten Sie Mittelständlern hier im Südwesten? Sollten Sie Investitionen aus geldpolitischer Sicht zurückhalten oder sollten sie davon ausgehen, dass dieses Zinsniveau für eine längere Zeit gelten wird?
Aufgrund der aktuellen Inflationszahlen im Euroraum muss man sicherlich davon ausgehen, dass die Leitzinsen noch einige Zeit hoch bleiben werden müssen. Zumindest, wenn die EZB ihr Inflationsbekämpfungs-Mandat auch wirklich konsequent verfolgt. Einem starken mittelständischen Unternehmen im Südwesten mit einer hervorragenden Marktposition, einer hohen Preissetzungsmacht und einer soliden Finanzierungslage kann ich allerdings nur raten, eine wichtige Investitionsentscheidung nicht von einem Viertelprozentpunkt bei den EZB-Leitzinsen abhängig zu machen. Besonders dann nicht, wenn es sich um eine vielversprechende Investition in die Zukunft handelt, die das Potenzial hat, eine exzellente Wettbewerbsposition dauerhaft zu zementieren oder auszubauen. Ich würde sogar erwarten, dass sich für qualitativ hochwertige Firmen in einem herausfordernden Umfeld ganz hervorragende Investitions-Opportunitäten und Geschäftsmöglichkeiten eröffnen werden. Denn höhere Zinsen haben ja auch etwas Reinigendes. Sogenannte Zombie-Firmen, welche nur aufgrund der lockeren Geldpolitik der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte überhaupt noch lebensfähig waren, werden etwa Marktanteile verlieren. In diese Lücken gilt es vorzustoßen.
Besteht die Gefahr, dass die EZB jetzt die Inflation zu hart bekämpft und das Wachstum damit abwürgt? Woher soll es Impulse für die deutsche Wirtschaft geben?
Diese Gefahr besteht absolut. Die EZB hat mit ihrer geldpolitischen Straffung viel zu spät begonnen. Umso schwieriger ist nun die richtige Dosierung. Hierzu muss man vor allem wissen, dass es dauert, bis sich beispielsweise Leitzinserhöhungen in der Realwirtschaft wirklich niederschlagen. Wir haben also noch nicht einmal alle Konsequenzen der bereits erfolgten Leitzinserhöhungen gesehen. Ich befürworte deshalb ein sehr überlegtes aber dafür dann ganz konsequentes weiteres Vorgehen der EZB, um die Wirtschaft in einem besonders für Europa sowieso schon herausfordernden Umfeld nicht plötzlich abrupt abzuwürgen.
Impulse für die deutsche Wirtschaft können ganz klar von den Unternehmen selber und in zielgerichteter Zusammenarbeit mit der Politik kommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Deutschlands „Hidden Champions“ mit ihrer Innovationsfähigkeit weiterhin brillieren werden. Zudem sollte Deutschland auch der aufstrebenden Jungunternehmerszene hervorragende wirtschaftliche Rahmenbedingungen bieten. Weitere positive Impulse könnten beispielsweise von klugen Investitionen in Infrastruktur, Technologie, und Bildung ausgehen. Auf die Geldpolitik sollte man sich aber auf keinen Fall verlassen. Diese ist dafür weder zuständig noch geeignet und wurde in den vergangenen 15 Jahren viel zu sehr in diese Rolle gedrängt. Auch auf Hilfe von „außen“ (Stichworte „China“ oder „europäische Binnennachfrage“) kann dieses Mal leider nicht verlässlich gezählt werden.
Deutschland wird vom „Economist“ wieder einmal als kranker Mann Europas bezeichnet. Stimmt das wirklich oder ist das überzogen?
Diese Kritik scheint etwas überzogen zu sein. Man sollte hier auch aufpassen. Wenn man diese negative Anschauung oft genug wiedergibt, läuft man Gefahr, eine selbsterfüllende Prophezeiung geradezu heraufzubeschwören. Ich plädiere für mehr Optimismus, denn Deutschland hat enormes innovatives Potenzial. Das heißt aber nicht, dass man untätig bleiben darf. Deutschland wächst aktuell beispielsweise vergleichsweise schwach. Zudem gibt es einige Herausforderungen und Problemfelder, welche besonders häufig genannt werden. Diese reichen von den Themen Infrastruktur, IT und Digitalwirtschaft bis zu den Bereichen Bildung, Kapitalmarkt, Demografie, Energiewende, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeits- kräftemangel. Geopolitisch leidet momentan wohl kaum eine andere führende Wirtschaftsmacht so sehr wie Deutschland. Da darf man sich künftig deutlich mehr strategischen Weitblick erwarten. Letzteres gilt aber nicht nur für Deutschland, sondern für Europa generell.