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Festhalle

„Wir müssen ein Bömbchen nach dem nächsten legen“

Leutkirch / Lesedauer: 5 min

Abtprimas Notker Wolf ermuntert beim Talk im Bock zu neuer Streitkultur – und spielt Querflöte
Veröffentlicht:15.10.2013, 18:24

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Welch ein Gegensatz! In Limburg laufen die Menschen ihrem Bischof davon, dem sie Verschwendungssucht und Selbstherrlichkeit vorwerfen. In Leutkirch stürmen sie zu Hunderten die Festhalle, um einen Kirchenmann der anderen Art zu erleben – einen, der sich volksnah gibt, nachdenklich, bodenständig, allgäuerisch-verschmitzt. Einen, der sich selbst nicht so wichtig nimmt und, wie er sagt, immer noch „aufmüpfig“ ist: Abtprimas Notker Wolf, „Chef“ von weltweit mehr als 25 000 Benediktinerinnen und Benediktinern, ist am Montagabend beim 147. Leutkircher Talk im Bock von mehr als 500 Besuchern gefeiert worden – fast wie ein Popstar.

Und das nicht nur, weil der 73-Jährige am Schluss, wie erhofft, zur Querflöte griff und zusammen mit den Musikern von Just Friends mit Klassik von Bach und Rock von Jethro Tull für Stimmung sorgte. Nein, es ist die unprätentiöse, bisweilen fast ein bisschen flapsige Art, wie der Mann im schwarzen Habit und Skapulier (Schulterumhang mit Kapuze) der Benediktiner die Dinge beim Namen nennt, die ihm am Herzen liegen. Ganz nonchalant und ungeniert.

„Kein Tamtam und Brimborium“

Zum Limburger Bischof etwa, dem (natürlich) eine der ersten Fragen von Moderator Raimund Haser gilt, fällt dem Kirchenmann der Vergleich mit dem gleichnamigen (und „unheimlich stinkenden“) Käse ein – ansonsten mag er über den Bischof nicht reden, „sonst versündige ich mich“. Gern dagegen über den neuen Papst, mit dem zusammen er erst kürzlich eine Messe zelebriert hat. Ein großes Erlebnis für ihn, sagt Abt Notker, diese konzentrierte Eucharistiefeier: „Man spürt auf einmal die Gegenwart Jesu mitten unter uns, auf dem Altar.“ Mucksmäuschenstill ist es in diesem Moment, erst bei der Feststellung „dieser Papst lebt das Evangelium, endlich ist es soweit, dass man in der Kirche keine Privilegien mehr braucht, kein Tamtam und Brimborium“, kommt wieder Bewegung in die Halle.

Genau das erwartet auch der Abtprimas von seiner Kirche: das Evangelium zu leben. Von den viel geforderten Strukturveränderungen dagegen hält er wenig („Strukturen haben noch nie Probleme gelöst“), und auch die Frauenordination sieht er mit Skepsis („Das würde bedeuten, Laien und auch Ordensschwestern sind nichts mehr wert“). Wie er überhaupt findet, „die Welt sollte nicht klerikaler werden“. Sondern menschlicher. „Wir brauchen eine Humanisierung unserer Gesellschaft“, forderte Notker Wolf und bekam dafür viel Beifall. „Wir müssen demokratie- und kompromissfähig werden“, setzte er nach und mit dem Aufruf zu einer neuen Streitkultur noch eins drauf. „Ein Bömbchen nach dem nächsten“ müsse gelegt werden, jedes ein Ansporn zum nächsten Schritt.

Klosterleben als Befreiung

Da ist er, der freie Geist, der von großen Unternehmen zu Vorträgen und Managementseminaren angefragt wird, der jährlich 300 000 Meilen um die Welt fliegt, dessen Bücher Bestseller sind. Wäre er nicht ein guter 68-er geworden, fragt Raimund Haser, statt sich, exakt 1968, zum Priester weihen zu lassen? Nein, macht der Benediktiner klar, „ich habe mein Dasein im Kloster als echte Befreiung erlebt.“ Freiheit, wie er sie versteht, bedeutet „Freiheit vom Machtstreben, vom Ehrgeiz, vom großen Auto“.

Und, auch das verschweigt der Abtprimas nicht: Das Klosterleben hat ihm, dem einst mittellosen Schneidersohn Werner Wolf aus Grönenbach im Unterallgäu, seine umfangreichen Studien erst ermöglicht. Nach der Schulzeit in Memmingen und St. Ottilien und dem Eintritt ins Benediktinerkloster St Ottilien (1961) studierte er an der Benediktinerhochschule Sant’Anselmo in Rom Philosophie, anschließend Theologie, Philosophie sowie Zoologie, Anorganische Chemie und Astronomiegeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ja, bestätigt er Raimund Hasers augenzwinkernde Bemerkung, „er habe halt studiert, was man so braucht“. 1971, mit gerade 31 Jahren, erhielt er einen Ruf auf die Professur für Naturphilosophie und Wissenschaftstheorie an die Päpstliche Hochschule Sant’Anselmo in Rom.

Doch damit nicht genug der Karriere: 1977 zum Erzabt von St. Ottilien gewählt, folgte im Jahr 2000 der Ruf an die Spitze der Benediktiner weltweit. Mittlerweile lebt Notker Wolf, so er gerade nicht auf Reisen ist, im Kloster Sant’Anselmo auf dem Aventin – in unmittelbarer Nachbarschaft des Vatikan – zusammen mit 450 Studenten aus 40 Nationen. Ihnen, vielfach aus armen Verhältnissen stammend, soll auch die Saalspende von stattlichen 4793 Euro zugute kommen, denn: „In junge Menschen zu investieren, ist doch das Schönste“.

Dann, vom Publikum nicht anders erwartet, greift der Abtprimas zu seiner Querflöte. Von Kindesbeinen an, so hatte er zuvor gesagt, spielt die Musik eine wichtige Rolle in seinem Leben. Er hat gesungen, Flöte und Geige gespielt, später kamen Querflöte und E-Gitarre hinzu. Mit seiner Rockband „Feedback“ tritt er bei Rockkonzerten auf, legendär ist der Auftritt mit seiner Band als Vorgruppe von Deep Purple 2008 im Kloster Benediktbeuern. In Leutkirch waren es Just Friends, die etatmäßigen Musiker des Talk im Bock, die den Musiker im Mönchsgewand begleiteten. Rhythmischer Beifall für die Zugabe – natürlich Jethro Tulls „Locomotive breath“ und lange Schlangen beim anschließenden Bücher signieren und Autogramme schreiben – fast wie bei einem Popstar eben.