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Ungereimtheit

Brutaler Doppelmord: Angeklagter schweigt

Bayern / Lesedauer: 8 min

Vor dem Augsburger Landgericht steht ein junger Mann, weil er aus Habgier ein Frauenpaar getötet haben soll. Beschuldigter hatte hohe Schulden. Verteidiger sieht Ungereimtheiten bei Ermittlung und Anklage.
Veröffentlicht:04.10.2017, 20:05

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„Wir werden Ungereimtheiten bei den Ermittlungen aufgreifen“, sagt Walter Rubach, ein inzwischen 70 Jahre alter Staranwalt, in einer Runde mit Journalisten. Mit „wir“ meint der gut gebräunte, gertenschlanke Jurist die Verteidigung von Waldemar N. Dem Maschinenführer wird ein bestialischer Doppelmord an einem lesbischen Paar vorgeworfen. Die Tat geschah vergangenen Dezember in Hirblingen, einem Dorf nördlich von Augsburg. Wegen der Umstände stieß sie auf bundesweites Interesse. Mit einem Kollegen zusammen will Rubach nun schauen, was möglicherweise ihrem Mandanten helfen könnte. „Es ist nun einmal so“, betont Rubach, „dass niemand aus eigener Erfahrung sagen kann, was geschehen ist. Die beiden Opfer sind tot, der Beschuldigte schweigt.“

Ohne Regungen

Als der renommierte Jurist den interessierten Zuhörern seine Sicht der Dinge vor dem größten Sitzungssaal des Augsburger Landgerichts erklärt, ist der Prozessauftakt zwei Stunden her. Ziemlich genau um 9 Uhr am Mittwochmorgen haben Justizwachtmeister den Angeklagten vor die Strafkammer gebracht: ein sportlich wirkender Mann, der diesen Freitag 32 Jahre alt wird. Waldemar N. trägt einen grauen Pulli und eine graue Jeans. Auch sein auffallend glatt rasiertes Gesicht wirkt fast grau. Er ist niemand, den man sich vom Aussehen her merken würde. Das übliche Blitzlichtgewitter der Fotografen und das Filmen der Kamerateams zu Beginn der Sitzung lässt Waldemar N. regungslos über sich ergehen. Ebenso emotionslos bleiben seine Züge in der folgenden Zeit. Wenn sich etwas bewegt, ist es seine rechte Hand mit dem schwarzen Kugelschreiber. Der Angeklagte macht sich damit Notizen.

Zahlreiche Messerstiche

Bisher hat Waldemar N. zu den Vorwürfen geschwiegen. Sein Anwalt Rubach verkündet, dass er dies auch fortan tun wolle. So steht fürs Erste die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft im Raum. Sie klingt nach Horror. Staatsanwältin Martina Neuhierl verliest den Text. Demnach ist Waldemar N. am 9.  Dezember vergangenen Jahres, einem Freitag, nach seiner Nachtschicht zwischen 6.30 Uhr und 9 Uhr in die Wohnung von Beate N. und Elke W. eingedrungen. Beate N. hatte erst im Sommer ihren 50. Geburtstag gefeiert. Ihre Partnerin war 49 Jahre alt. Die beiden waren seit 1995 liiert, lebten in einer eingetragenen Partnerschaft zusammen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft fiel der Angeklagte zuerst über Beate N. her, schlug sie ins Gesicht. „Er wollte die Geheimzahl ihrer Kreditkarte herausbekommen“, glaubt die Anklagevertretung. Danach habe Waldemar N. die Frau mit zahlreichen Messerstichen umgebracht. Das zweite Opfer sei anschließend erdolcht worden. 16 Messerstiche wurden allein bei ihr während der Obduktion festgestellt.

Es sind aber nicht nur die vielen Stiche, die Staatsanwaltschaft wie auch Polizei erschüttern: Die Klinge drang offenbar teilweise über 20 Zentimeter in die Körper ein. Dazu gehört viel Kraft, eine wirkliche Wut. Ermittler meinten nach dem Aufdecken der Tat, es handle sich um ein sogenanntes „Übertöten“. So etwas würde man eigentlich nur von Beziehungstaten kennen, wenn „starke Emotionen“ im Spiel seien. Dass es aber irgendein spezifisches Verhältnis des mutmaßlichen Täters mit seinen Opfern gegeben haben könnte, ist bisher nicht einmal andeutungsweise vorstellbar.

Existiert hat wohl nur eine Art nachbarschaftliche Bekanntschaft. Waldemar N. lebte mit seiner Mutter ein Haus weiter. Sie sind Spätaussiedler aus Kasachstan. Der Familie war es in den 1990er-Jahren gelungen, hier eine überschaubare Existenz aufzubauen. Die Mutter schaute drüben bei Beate N. und Elke W. nach dem Rechten, wenn die beiden mal verreisten, versorgte auch die Katze. Dafür besaß sie einen Wohnungsschlüssel.

Hohe Schulden

Waldemar N. wiederum ging offenbar seiner Arbeit nach. Polizeilich fiel er nicht auf. Womöglich war der Angeklagte aber bereits in Richtung schiefe Bahn unterwegs. Ermittlungen ergaben, dass ihn 130 000 Euro Schulden plagten. Laut Anklage reizte er zudem Monat für Monat seinen Dispokredit in Höhe von 5000 Euro komplett aus. Waldemar N. habe über seinen Verhältnissen gelebt, meint die Staatsanwaltschaft. Gleichzeitig sei ihm bekannt gewesen, dass die Opfer finanziell keine Sorgen gehabt hätten. Eine der Frauen habe in der Vergangenheit sogar geerbt. Staatsanwältin Neuhierl sieht daher Habgier als Tatmotiv. Sie betont überdies eine besondere Heimtücke beim vermuteten Vorgehen.

Zeugenaussagen zweier Schwestern des jüngeren Opfers Elke W. besagen, sie sei am Vortag der Tat mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt gewesen. „Elke hat über Whatsapp mitgeteilt, dass sie Geld für Weihnachtsgeschenke für meine Kinder besorgt hat“, erinnert sich eine Schwester. Zudem trieb das spätere Opfer die Sorge um den Vater um. Er stand kurz vor einer Herz-Operation. Vom zweiten Opfer Beate N. ist wiederum bekannt, dass sie mit einem Musikinstrument für einen Bandauftritt übte. Am Wochenende wollte das Paar dafür ins nahe Neuburg an der Donau fahren. Am Tatmorgen hatte sich Beate N. laut den Ermittlungen gerade fertig gemacht, um zur Arbeit zu gehen. Elke W., eine Zahnarzthelferin, hatte einen freien Tag und war mit einer Jogginghose bekleidet, wie sich später beim Leichenfund zeigte.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Waldemar N. den bei seiner Mutter deponierten Wohnungsschlüssel schnappte. Die alte Frau war anscheinend im Krankenhaus. Das bedeutet, die Bahn für Waldemar N. wäre frei gewesen. Jedenfalls heißt es von der Anklage, der Beschuldigte habe problemlos in die Wohnung des Paars eindringen können. Die beiden seien völlig arglos gewesen. „Sie kannten den Beschuldigten und konnten nicht damit rechnen, dass er sie angreift“, heißt es. Jedenfalls verschwanden die Opfer aus der Öffentlichkeit. Angehörige wunderten sich übers Wochenende zuerst, dass niemand mehr ans Telefon ging. Die Besorgnis wuchs. Am Montag nach der Tat wurde Elke W. in der Zahnarztpraxis vermisst, in der sie arbeitete. Eine Kollegin sowie der Zahnarzt fuhren zur Wohnung. Später tat dies auch die ältere Schwester von Elke W. zusammen mit ihrem Sohn. Ihre vor Gericht geäußerte Betrachtung der Situation in den Wohnräumen: Wie wenn jemand alles stehen und liegen habe lassen, davor aber noch schnell zum Putzen gekommen sei.

Von den Opfern fand sich hingegen keine Spur. Erst kurz vor Weihnachten gab es Gewissheit über ihr Schicksal: Nach einer groß angelegten Suche wurden die Leichen in einem Grab am Ufer des Flüsschens Schmutter gefunden – rund zweieinhalb Kilometer vom Tatort entfernt. Da saß Waldemar N. bereits in Haft. Erste Indizien waren offenbar Geldabhebungen von Konten der beiden Frauen – insgesamt 5020 Euro. In diesem Zusammenhang existieren Überwachungsfotos von Geldautomaten in der Augsburger Gegend sowie in Prag, die nach Ansicht der Polizei Waldemar N. zeigen. In dessen aufgemotztem weißem 3er-BMW fanden Ermittler auch ein Bargeldbündel, das zu den Abhebungen passt.

DNA-Spuren an den Leichen

Weitere Indizien kamen hinzu. Beim Grab der Opfer wurde ein Spaten entdeckt. Einen solchen hatte der Angeklagte am Tattag laut einer gefundenen Rechnung im Baumarkt gekauft. Angeblich fanden sich im Grabumfeld weitere, vor Gericht nicht näher beschriebene persönliche Gegenstände aus dessen Besitz. Kriminaltechniker sicherten DNA-Spuren von Waldemar N. an den Leichen. Ebenso wurden Gen-Partikel von ihm im Auto der Frauen festgestellt. Die Polizei glaubt, er habe seine Opfer in Schlafsäcke gewickelt und sie dann mit diesem Fahrzeug abtransportiert.

Angesichts der zahlreichen Spuren hält die zuständige Augsburger Kriminalpolizei Waldemar N. für überführt. Die Vorsitzende Richterin Susanne Riedel-Mitterwieser will nun in 15 weiteren Sitzungen mithilfe von Zeugen und Gutachtern zu einem Urteil kommen. Die Verteidigung hat wiederum in der ersten Sitzung der Kammer anklingen lassen, in welche Richtung sie gehen will. Bei den ersten Zeugenauftritten sind von ihrer Seite aus Fragen nach persönlichen Konflikten zwischen den Opfern auffällig. Andeutungsweise geht es um eventuelle Eifersucht und möglichen Trennungsabsichten. Anwalt Rubach spricht unter anderem von einem homosexuellen Männerpaar, das zeitweise Kontakt zu den Frauen gehabt haben soll. Nach einer Zeugenaussage gab es diese Verbindung wirklich. Die Frauen hätten sie aber wegen Unstimmigkeiten abgebrochen.

Ungeklärte Bekanntschaften

Rubach erwähnt auch „einen jungen Mann“, der in vorliegenden Protokollen von der Polizei ins Spiel gebracht worden sei. Beamte fragten demnach während der Ermittlungen eine Arbeitskollegin der getöteten Elke W., ob das Paar eine entsprechende Bekanntschaft gehabt habe. Die Kollegin sagt vor Gericht, sie wisse nichts von einem solchen Mann. Der Anwalt nimmt dies hin. Für ihn gehören solche Ermittlungsansätze jedoch zu den Ungereimtheiten des Falls. Er fragt sich, wie die Polizei ausgerechnet auf „einen jungen Mann“ kommt. Während des ersten Prozesstags am Mittwoch blieb dies noch ungeklärt. Der Beschuldigte rieb sich indes am Schluss der Sitzung nochmals über seine hohe Stirn. Kein Ton kommt von ihm.