StartseiteRegionalBayernQualvoll verendete Rinder: Prozess gegen Bauern im Tierschutzskandal von Grönenbach

Tierschutzskandal

Qualvoll verendete Rinder: Prozess gegen Bauern im Tierschutzskandal von Grönenbach

Memmingen / Lesedauer: 9 min

Im Bad Grönenbacher Tierschutzskandal läuft der erste Prozess. Die Vorfälle auf Höfen des Allgäuer Ortes haben den Druck erhöht, bei der Massenviehhaltung kritischer hinzuschauen.
Veröffentlicht:22.11.2022, 05:00

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Das Leid von 54 Kühen und Kälbern ausgeblendet zu haben – so lautet zusammengefasst der Vorwurf, den die Memminger Staatsanwaltschaft gegen zwei Bauern aus dem Unterallgäu erhoben hat. Er trifft einen 68-Jährigen und dessen Sohn, 25 Jahre alt.

Der Prozess läuft gegenwärtig vor dem Landgericht in Memmingen. Ein von vielen Seiten aufmerksam beäugtes Verfahren – nicht zuletzt von Tierschützern. „Wir brauchen jetzt eine Justiz, die endlich mal durchgreift und ein richtungsweisendes Urteil mit abschreckender Wirkung fällt“, sagt Philipp Hörmann während einer Sitzungspause im ehrwürdigen Justizbau der bayerischen Grenzstadt hin zu Oberschwaben.

Der stämmige, im vierten Lebensjahrzehnt stehende Mann ist nicht irgendein Prozessbeobachter: Er war maßgeblich daran beteiligt, dass die Angelegenheit an die Öffentlichkeit kam. 2019 geschah dies.

Die Örtlichkeit betraf ausgerechnet seine Heimat Bad Grönenbach , eine schmucke Marktgemeinde südlich von Memmingen, eingefasst von vielen Wiesen und seit Generationen ein Hort des Viehbesitzes. Als würde ein Tierschutz-Fall alleine nicht reichen, betrafen Hörmanns Recherchen am Ende drei landwirtschaftliche Unternehmen vor Ort.

Riesige Dimension

Es geht insgesamt um Bestände von rund 5000 Rindern sowie inzwischen elf beschuldigte Landwirte und landwirtschaftliche Mitarbeiter. Diese Größenordnung sowie die Recherchen von Tierschützern, Polizei und Staatsanwaltschaft machten die Fälle zu den größten ihrer Art in Süddeutschland.

Hörmann stellte sich damals die Frage: „Ist mein Heimatort Bad Grönenbach ein Hotspot der Tierquälerei?“ Im Hinterkopf hatte er die Erinnerung, dass es auch in den Jahren davor zu entsprechenden Zwischenfällen gekommen war. So gab es für einen Bauern sechs Monate Haft. Der Mann hatte das Leiden von zwei Kühen nicht beendet, weil er das Hinzuziehen eines Tierarztes über Stunden verzögerte.

Letztlich kam Hörmann seinerzeit aber zum Schluss: „Bad Grönenbach ist kein Hotspot der Tierquälerei, sondern ein Querschnitt des Systems.“ Nach seiner Ansicht geht es dabei um die gesamte Viehhaltung.

Wobei man zu seiner Person wissen sollte: Der gelernte Metzger und ehemalige Jäger hat sich zum Veganer gewandelt. Letztlich legt seine Auffassung nahe, dass die Beschuldigten in den Tierschutzfällen Produkt eines völlig verfehlten Weges sind.

Kostendruck mit fatalen Folgen

Etwas gemäßigter formuliert der Bund Naturschutz in Bayern seine Kritik. Von ihm kommt der Vorwurf, Verbraucher wollten eben billige Lebensmittel, etwa Milch oder Fleisch im Centbereich. Dies steigere den Kostendruck auf Bauern – mit möglichen fatalen Folgen.

Marion Ruppaner, Agrarreferentin des Bund Naturschutz, sagt: „Sobald die Ställe industrielle Dimensionen annehmen, besteht eine größere Gefahr, dass die gute Betreuung der Tiere nicht mehr gewährleistet ist, was der Fall in Grönenbach leider bewiesen hat.“

Das Vater-und-Sohn-Duo, dass sich nun in Memmingen verantworten muss, macht den Anfang beim juristischen Aufarbeiten der Ereignisse in der Marktgemeinde. Es hatte den kleinsten Rinderbestand der drei beanstandeten Betriebe: rund 500 Stück.

Wie sadistische Monster wirken die beiden Männer auf der Anklagebank nicht. Der Vater erscheint klein, trägt eine gemütliche blaue Windjacke und Jeans. Sein Filius hat eher eine bulligere Figur und hat sich einen Kapuzenpulli übergezogen.

Meist schweigen die Angeklagten

Meist schweigen die Beiden. In rund 20 Sitzungstagen kamen von ihnen nur selten Worte zum Geschehen. Anfangs bedauerten sie einmal, dass in ihren Ställen nicht alles in Ordnung gewesen sei. Vergangene Woche ließ der Sohn anwaltlich verkünden: Erst durch die tierschutzrechtlichen Eindrücke während des Prozesses sei ihm klar geworden, wie viel Leid er den Tieren zugefügt habe.

Eine späte Erkenntnis. Konkret besagen die Hauptanklagepunkte der Staatsanwaltschaft, Vater und Sohn hätten Rinder nicht ausreichend versorgt. Die Tiere seien deshalb verwahrlost, erkrankt und mussten „letztendlich, da sie auch nicht die erforderliche tierärztliche Behandlung erhielten, im Rahmen der Kontrollen der Hofstellen teilweise notgetötet werden“.

Es droht Gefängnis

Dies wären bei einem Schuldspruch Verstöße gegen dem Paragraf 17 des Tierschutzgesetzes. Dort steht recht deutlich geschrieben, dass drei Jahre Gefängnis oder eine Geldstrafe erhalten kann, „wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder einem Wirbeltier länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt“.

Weitere Tatvorwürfe betreffen etwa eine unerlaubt mit Schutt und Abfall aufgefüllte Kiesgrube sowie das Unterschlagen von Sozialversicherungsbeträgen bei Beschäftigten. Dazu kommt: Der Vater ist kein unbeschriebenes Blatt. Schon vor 2019 war er vier Mal zu Geldstrafen verurteilt worden, zwei Mal davon im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Tierschutzgesetz.

Das Urteil wird noch im November erwartet

Vorerst gilt aber die Unschuldsvermutung. Das Urteil wird jedoch noch im November erwartet. Die drei Verteidiger tun natürlich alles, um ihren Klienten einen Gefängnisaufenthalt zu ersparen.

Eine Strategie der Anwälte scheint dabei folgendes zu beinhalten: Die beiden Bauern hätten das eine oder andere mal gar nicht so schnell erkennen können, wie schlecht es einem Rind gehe. Es sei somit höchstens ein geringes Versäumnis, sollten sie den Tierarzt verspätet gerufen haben.

Dies ist ein Verteidigungsansatz, der zu einem Großaufmarsch von Gutachtern im Gerichtssaal geführt hat. Jeder der 54 beklagten tierischen Einzelschicksale muss bis ins Detail betrachtet werden. Für Prozessbeobachter führt die akribische Vorgehensweise tief ins Fachchinesisch der Veterinärmedizin.

Unablässig folgen während der Sitzungstage Begriffe wie „katarrhalische Enteritis“ oder „Hyperthyreose“. Ersteres betrifft Darmentzündungen, zweiteres Stoffwechselstörungen.

Verständlicher wird es, wenn von Madenbefall, Schleim und Eiter die Rede ist – wenn der Ekel also Gestalt annimmt. Eine Amtstierärztin beschrieb beispielsweise den Zustand einer Kuh. Sie hatte das Tier im Juli 2019 untersucht. Demnach lag es in Kot und Urin.

Es litt zudem an einer schweren Klauenentzündung mit einem Geschwür, das bereits ins Gelenk eingedrungen war. „Solche Probleme entstehen nicht von heute auf morgen“, urteilte die Veterinärin vor Gericht.

Wobei es noch nicht einmal der Vater-Sohn-Betrieb war, durch den Bad Grönenbach in den Focus von Öffentlichkeit und Justiz geriet. Den Anfang machten Aufnahmen, die das größte bäuerliche Unternehmen am Ort betrafen: einen Betrieb mit mehr als 2000 Rindern. Das zentrale Schockfoto: Eine lebende Kuh wird am Strick durch einen Radlader im Stall umher geschleift.

Weitere Prozesse sollen folgen

Aktivist Hörmann ließ die Videobilder über den Verein Soko Tierschutz publizieren. Die Gruppe hat sich investigativen Recherchen bis hin zu verdeckten Nachforschungen verschrieben. „Das Hauptproblem ist“, glaubt ihr Chef Friedrich Mülln, „dass es in Deutschland als größter EU-Milchproduzent keine gesetzliche Regelung zur Haltung von Milchkühen hat. Das ist ein Skandal. Also werden viel zu viele Tiere eng an eng gehalten.“

Gegen die Verantwortlichen des größten landwirtschaftlichen Betriebs von Bad Grönenbach kommt es wohl im nächsten Jahr zu einem Prozess, ebenso im dritten Fall vor Ort. Als Fußnote muss noch erwähnt werden, dass zum Gesamtkomplex der Geschichte drei weitere Tierschutzaffären gehören. Sie betreffen Höfe des Nachbarorts Dietmannsried, sind jedoch juristisch abgearbeitet.

Vater, Mutter und Sohn eines Betriebs wurden 2021 wegen Vernachlässigung ihre Tiere zu Bewährungsstrafen verurteilt. Ein in der Kommunalpolitik aktiver Bauer erhielt aus dem selben Grund einen Strafbefehl. In einem anderen Fall kam es zur Verfahrenseinstellung.

Vorwürfe an Amtsveterinäre

Diese weiteren Affären haben den Druck auf Bayerns Staatsregierung verstärkt, aktiv zu werden. Als Vorwurf stand ein mögliches Versagen von Amtsveterinären im Raum. Sie hätten nicht genau hingesehen oder sogar Kumpanei mit Bauern betrieben. Von offizieller Seite wird dies zurückgewiesen.

Sollten Kontrollen nicht ausreichend gewesen sein, habe es an Personal gefehlt, heißt es. So berichtete der damalige Unterallgäuer Landrat Hans-Joachim Weirather (Freie Wähler), seine jahrelangen Bitten um mehr Amtsveterinäre seien vom Freistaat ignoriert worden.

Immerhin hat das Unterallgäu nach 2019 zwei Amtstierarzt-Stellen hinzubekommen. Nun sind dort sieben Fachkräfte unterwegs. Entscheidender scheint aber zu sein, was sich auf Landesebene getan hat. Dies hängt mit der jüngsten Reform des bayerischen Veterinärwesens zusammen.

Es entstand unter anderem eine eigene Kontrollinstanz für Großbetriebe der Viehhaltung. Deren Mitarbeiter schwärmen von zentralen Dienstsitzen aus. Die Gefahr von lokalem Filz zwischen Veterinär und Bauer soll so vermieden werden.

Mit einem „Zukunftskonzept Landtierarzt“ will man zudem mehr Spezialisten in die Provinz bringen – ähnlich wie bei Anreizen für Landarztposten. Das zuständige Umweltministerium des Freistaats erhofft sich so mehr Ansprechpartner für Bauern.

Minister Thorsten Glauber von den Freien Wählern sagt dazu: „Verstöße gegen den Tierschutz sind nicht hinnehmbar.“ Dem hat sich auch der Bayerische Bauernverband angeschlossen.

Zum aktuell verhandelten Fall verlautbart er, dass „durch eine tragische Überforderung von Menschen Tiere vernachlässigt wurden“. Inzwischen werde aber bei solchen Umständen viel genauer hingeblickt. Wichtig ist dem Bauernverband der Hinweis, dass es sich aus seiner Sicht um einen Einzelfall handelt.

Den Menschen als Problem ausgemacht

Dies wertet wiederum das vom baden-württembergischen Grünen Cem Özdemir geführte Bundeslandwirtschaftsministerium anders. Eine Sprecherin teilt mit: „Solche Tierschutzskandale sind nicht bloß Einzelfälle, sondern Ausdruck eines grundsätzlichen Problems, das im aktuellen System der intensiven Tierhaltung begründet ist.“

Özdemir möchte deshalb eine Haltungskennzeichnung von Fleisch. Der Verbraucher solle erkennen, ob die Ware aus der Massentierhaltung kommt.

Tierschützer Hörmann stellt sich hingegen nach dem Aufdecken der Affären in seinem Heimatort Bad Grönenbach auf den Standpunkt, dass betroffene Betriebe kurzum „geschlossen gehören“. Er sieht übrigens nicht die Größe von Höfen als entscheidend für missbräuchliches Wirtschaften an.

Auch in kleinen Betrieben gebe es Tierschutzverstöße. „Das Problem ist immer der Mensch“, meint er. Nur öffentlicher Druck sorge für Veränderungen.

Zerbrochenes Bad Grönenbach

Der Weg dorthin kann äußerst steinig sein – speziell wenn es um Enthüllungen im eigenen Umfeld geht, wie Hörmann erfahren hat. Unter den Beschuldigten gebe es Ortshonoratioren, großzügige Spender an die Dorfvereine. „Das Bekanntwerden der Fälle hat zur einer Explosion des Ortes geführt.“

Demnach entstanden Gräben zwischen Unterstützern und Kritikern der beklagten Bauern. „Langjährige Freundschaften zerbrachen, Verwandte brachen Kontakte ab“, berichtet er.

Aus Bad Grönenbacher Gemeindekreisen wird dies zumindest in neutralen Worten bestätigt: Seit dem Aufkommen der Fälle sei es nicht mehr wie vorher.