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Südwesten

Vor 75 Jahren: Die Menschen waren froh, als die Waffen schwiegen

Baden-Württemberg / Lesedauer: 3 min

Mit dem Einmarsch der Allierten begann eine rechtsfreie Zeit
Veröffentlicht:25.04.2020, 07:00

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Vor 75 Jahren ging der Zweite Weltkrieg auch im Südwesten zu Ende: Franzosen und Amerikaner hatten Anfang März den Rhein überschritten und waren im Kampf gegen die Wehrmacht schnell vorgerückt. Am 22. April 1945 übergab eine Stuttgarter Delegation unter Leitung des NSDAP-Bürgermeisters Strölin die Stadt offiziell der französischen Armee . Am 20. April hatten die Franzosen mit Plieningen den ersten Stadtteil befreit.

In jenem Frühjahr 1945 war fast eine Million Menschen im Südwesten gestrandet. Sie kamen aus anderen Gebieten Deutschlands, vor allem dem Ruhrgebiet, oder aus den zerstörten Städten im Land. Vorher hatten Zehntausende aus politischen oder rassischen Gründen emigrieren müssen, und viele Tausende waren in den Konzentrationslagern brutal ermordet worden. Hunderttausende gerieten zum Schluss in Gefangenschaft.

Keine Befreiung, sondern Besetzung

Trotzdem wurde das Kriegsende von der Mehrzahl der Bevölkerung nicht als Befreiung, sondern als Besetzung empfunden. Man war nur froh, dass die Waffen schwiegen. Befreiung war der Einmarsch der Alliierten für die wenigen Gegner des NS-Regimes sowie für die vielen Fremdarbeiter und vor allem für die Insassen der Konzentrationslager im Land. Die meisten von ihnen aber erlebten das Kriegsende nicht hier. Sie wurden unter unvorstellbaren Bedingungen nach Dachau verschleppt.

Die Alliierten hatten sich schon 1943 in Teheran prinzipiell darauf geeinigt, Deutschland zu teilen und im September 1944 die künftigen deutschen Grenzen festgelegt. Die USA und Großbritannien teilten sich den Westen Deutschlands.

Das Gebiet östlich von Elbe und fränkischer Saale mit Ausnahme Berlins – es sollte von den vier Siegern gemeinsam verwaltet werden – bildete die sowjetische Zone. Die USA und Großbritannien beschlossen 1945 in Jalta, Rheinland-Pfalz, das südliche Baden-Württemberg und das Saarland den Franzosen zu überantworten.

Im Südwesten verlief der Einmarsch der Amerikaner und Franzosen zwischen Ende März und Ende April 1945 zumeist wenig spektakulär. Nur das Gebiet zwischen Heilbronn und Crailsheim war Schauplatz heftiger und völlig sinnloser Kämpfe. Allein um Crailsheim wurden über 40 Dörfer und Weiler zerstört. Unter den Soldaten und Zivilisten gab es noch Hunderte von Toten.

Franzosen besetzen Stuttgart

Was bei Crailsheim geschah, hatte Folgen für Stuttgart : Zunächst besetzten die Franzosen die württembergische Hauptstadt. Erst auf massiven Druck der US-Regierung in Washington räumten sie am 8. Juli Stuttgart wieder und zogen sich in ihre Besatzungszone südlich der Autobahn Karlsruhe-Ulm zurück.

Noch unmittelbar vor dem Zusammenbruch wollte Hitler mit dem Nero-Befehl die Lebensgrundlagen des deutschen Volkes zerstören, da es sich im Krieg als das schwächere erwiesen habe. Alle Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen innerhalb des Reichsgebietes sollten zerstört werden.

Rechtsfreie Zeit im Südwesten beginnt

Gegen diesen verbrecherischen Befehl regte sich auf allen Ebenen Widerstand. Dennoch wurden auch im Südwesten während des letzten Kriegsmonats unzählige Brücken zerstört. Die meisten Industrie- und Versorgungsanlagen aber entgingen der Vernichtung. Die Zerstörungen bei Kriegsende beeinträchtigten den Wiederaufbau nach 1945 erheblich.

Die Stunde null gibt es 1945 im Südwesten nicht, konnte es in dieser arbeitsteiligen Industriegesellschaft gar nicht geben. Ob Gas- oder Stromversorgung, Müllabfuhr oder Gesundheitsdienst, Schlachthof oder Wasserwerk – alles musste weiter betrieben werden. Allerdings bricht mit dem Einmarsch zunächst eine rechtsfreie Zeit an.

Nach den staatlich angeordneten Verbrechen durch Deutsche vor 1945 kam es nunmehr zu individuellen Übergriffen und Untaten an Deutschen. Vor allem im französisch besetzten Teil gab es zahllose Vergewaltigungen und Plünderungen. (lsw)