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Die skeptische Insel

London / Lesedauer: 3 min

In Großbritannien machen EU-Feinde gegen Immigranten vom Kontinent mobil – Zustimmung in der Bevölkerung
Veröffentlicht:22.04.2014, 19:55

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Ein Poster zeigt einen bettelnden Bauarbeiter, daneben die Schlagzeile: „Die Folge der EU-Politik – uneingeschränkte billige Arbeitskräfte kommen britische Arbeiter teuer zu stehen.“ Ein anderer Slogan kreischt: „26 Millionen Europäer sind arbeitslos. Und wessen Job wollen sie haben?“ Daneben deutet eine Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Betrachter.

Mit neuen Parolen gegen Immigranten vom Kontinent eröffnete die EU-feindliche Ukip-Partei am Dienstag im nordenglischen Sheffield die heiße Phase des EU-Wahlkampfes. Dabei geriet Parteichef Nigel Farage allerdings in Erklärungsnöte, weil er seine deutsche Frau als Sekretärin beschäftigt. „Gibt es keine Britin, die diesen Job machen könnte?“, fragte der BBC-Chefkommentator vor laufender Kamera den stotternden Nationalpopulisten. Unterdessen fordert der Londoner Kardinal Vincent Nichols mehr „Realismus und Respekt“ in der mit rauen Parolen geführten Einwanderungsdebatte: „Die ganz überwiegende Mehrheit der Immigranten trägt zu unserem Wohlstand bei.“

Nur altes Establishment

Die Motive der Plakataktion stammen von dem früheren Industriellen Paul Sykes. Der überzeugte Anti-Europäer unterstützte früher noch die derzeit regierenden Konservativen von Premierminister David Cameron. Jetzt hat er umgerechnet 1,83 Millionen Euro in die Hand genommen, um den Nationalpopulisten zum Durchbruch zu verhelfen. Ukip sei „nur die frische Vorzeigefigur eines ganz alten EU-skeptischen Establishments“, höhnt der liberale Vizepremier Nick Clegg.

In aktuellen Umfragen zur Europawahl liegt Ukip hinter der Labour-Opposition und deutlich vor den Koalitionsparteien auf Rang zwei. Weil in den vergangenen 15 Jahren rund drei Millionen EU-Bürger, vorwiegend aus Mittel- und Osteuropa, ins Land kamen, punktet die Partei mit ihren Anti-Einwanderungsparolen.

EU-Befürworter weisen dagegen gern auf die große Anzahl von Briten hin, die zumeist in sonnigeren Ländern Europas leben. Deren Anzahl wird vom Thinktank „Institute for Public Policy Research“ IPPR auf 2,2 Millionen geschätzt. Beinahe ebenso viele Bürger anderer EU-Staaten konzentrieren sich in Großbritannien: Der Statistikbehörde ONS zufolge beträgt deren Gesamtzahl 2,34 Millionen. Laut einer detaillierten EU-Studie nehmen von den erwachsenen EU-Immigranten 70 Prozent am Erwerbsleben teil, unter Briten liegt dieser Anteil bei lediglich 57Prozent.

Interessanterweise klagen ausgerechnet Firmen aus der Baubranche – Zielscheiben des Ukip-Plakates – über eklatanten Mangel an britischen Facharbeitern. Von solchen Fakten lässt sich Vize-Parteichef Paul Nuttall ebenso wenig beirren wie von der Frage, ob denn wirklich alle 26 Millionen EU-Arbeitslose auf die Insel strebten. Er klagt über sinkende Reallöhne, spricht von offenen Grenzen und sagt: „Wir haben die Bevölkerung auf unserer Seite.“

Für weniger Zuwanderung

Mit Letzterem dürfte er Recht haben. Einer Analyse der öffentlich-rechtlichen BBC zufolge wollten in einer Umfrage des respektierten NatCen-Instituts 77 Prozent die jährliche Netto-Einwanderung von zuletzt 212000 Menschen reduzieren, 56Prozent sprachen sich für eine „deutlich niedrigere Zahl“ aus. Selbst von der Minderheit, die Zuwanderung als wichtig für den Wohlstand des Landes ansieht, wünschte sich die Hälfte der Befragten eine Verringerung der Zahl.

Steiniges Terrain also für Leute, die eine Versachlichung der Debatte anstreben. Der frisch gebackene Londoner Kardinal Nichols nennt in seinem Gespräch mit dem Daily Telegraph keine Parteinamen. Er warnt aber gleichzeitig vor „Panikmache und zornigen Parolen“, denn, so der Kardinal: „Wir sollten die Bereicherung würdigen, die uns Einwanderer bringen.“