StartseiteRegionalBaden-WürttembergSpielhallen droht das Aus - Branche will klagen

Glücksspiel

Spielhallen droht das Aus - Branche will klagen

Baden-Württemberg / Lesedauer: 5 min

Schärfere Regeln sollen seit dem 1. Juli die Zahl der Spielhallen in Deutschland drastisch reduzieren – doch die Branche läuft dagegen Sturm.
Veröffentlicht:05.10.2017, 18:07

Von:
Artikel teilen:

Schärfere Regeln sollen seit dem 1. Juli die Zahl der Spielhallen in Deutschland drastisch reduzieren – doch die Branche läuft dagegen Sturm. Bei den Ordnungsämtern stapeln sich die Einsprüche gegen drohende Schließungen, und die Kommunen spielen auf Zeit. Über kurz oder lang könnten es die Verwaltungsgerichte mit einer Welle von Klagen zu tun bekommen.

Die Situation war absehbar – seit genau fünf Jahren. Damals einigten sich die Bundesländer auf den Glücksspielstaatsvertrag. Auf dessen Grundlage regeln die Länder die Konzessionen für Casinos. Die Landesglücksspielgesetze legen auch fest, wo künftig kein Automaten-Spielcenter mehr stehen darf. In Baden-Württemberg und in Bayern gilt die Bannzone für einen Umkreis von 500 Metern um Kinder- und Jugendeinrichtungen, 500 Meter muss auch der Mindestabstand zwischen zwei Casinos betragen. Nach Einschätzung des Verbands der Automatenwirtschaft, der die Casinobetreiber vertritt, haben diese Kriterien zur Folge, dass allein in Baden-Württemberg 70 bis 80 Prozent der Betriebe schließen müssen; Berechnungen für Bayern gibt es nicht.

Das Geschäft läuft weiter

Für die neuen Regeln galt eine Übergangsfrist, die Ende Juni ausgelaufen ist. Nun müssten die Genehmigungsbehörden – in der Regel die Ordnungsämter der Kommunen oder der Landkreise – eigentlich durchgreifen. Tatsächlich aber läuft das Geschäft weiter. „Wir haben mehrere Hundert Mandanten, aber praktisch noch keine vollzogene Schließung“, sagt der Freiburger Rechtsanwalt Mirko Benesch . Seine Kanzlei Benesch Winkler vertritt die meisten Betreiber von Automatencasinos im Südwesten.

Ziel des Gesetzgebers ist es, „das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern“ und „den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken“, wie es im Staatsvertrag heißt. Das Stuttgarter Wirtschaftsministerium verweist auf Studien, denen zufolge „der Anteil der Befragten mit problematischem oder pathologischem Spielverhalten am höchsten bei Geldspielgeräten ist“. Dagegen argumentieren Branchenvertreter, dass die Kunden nicht etwa zu spielen aufhören, sondern auf den Grau- und Schwarzmarkt ausweichen werden, etwa zu dubiosen Online-Anbietern.

Die Kommunen verdienen gut an den Casinos: Allein im Jahr 2016 flossen 985 Millionen Euro Vergnügungssteuer in deutsche Rathauskassen. Das ist aber nicht der eigentliche Grund, warum Behördenvertreter mit Schließungsverfügungen zögern. Sie haben Angst, sich die Finger zu verbrennen. „Das Haftungsrisiko ist uns zu groß“, sagt ein Ordnungsamtsleiter aus dem Badischen. Denn unklar ist, ob die rechtlichen Grundlagen wasserdicht sind. Falls sich herausstellen sollte, dass eine Spielhalle zu Unrecht dichtmachen musste, drohen hohe Schadenersatzforderungen. Also winken die Gemeinden reihenweise Härtefallregelungen durch. „Wir haben dreihundert bis vierhundert Härtefälle beantragt, davon sind nur sehr wenige abgelehnt worden“, sagt Rechtsanwalt Benesch. „Und 30 bis 40 Prozent der Kommunen im Land haben die Anträge überhaupt noch nicht beschieden.“

Ein Härtefall kann beispielsweise genehmigt werden, wenn ein Mietvertrag noch lange läuft oder größere Investitionen nicht abgeschrieben sind. In solchen Fällen darf das Casino erst einmal offen bleiben. Das Problem: Die Vorgaben zu den Härtefällen sind schwammig. Letztlich werden in vielen Fällen also doch die Richter entscheiden müssen, teils laufen mehrere Verfahren pro Standort. „Wenn wir die Möglichkeit haben Rechtsmittel einzulegen, werden wir das auch in jedem einzelnen Fall tun“, sagt etwa Daniel Henzgen von der Firma „Extra Games“ aus Pfullendorf (Landkreis Sigmaringen), die unter der Marke „Admiral“ deutschlandweit 450 Spielhallen mit 3000 Mitarbeitern betreibt. Er rechnet damit, dass jede zweite Filiale vor dem Aus stehen könnte. Und Wolfgang Maucher von der konkurrierenden Kling Automaten GmbH aus Baindt im Landkreis Ravensburg („Joker“-Casinos, 840 Mitarbeiter) sieht bis zu 30 Prozent der deutschlandweit 130 Standorte in Gefahr.

Weil die Ordnungsämter im Südwesten mit Schließungen zögern, hat die Klagewelle die hiesigen Verwaltungsgerichte noch nicht voll erfasst. Deutschlandweit sind nach Erhebungen der Automatenwirtschaft aber schon 3000 Verfahren anhängig, und die Zahl dürfte noch deutlich steigen.

Umstrittener Auswahlprozess

Einer der Streitpunkte: Wenn eine Schließung verfügt werden muss, weil zwei Casinos zu nahe beieinander stehen – welches von beiden trifft es dann? In Bayern bewerten die Kommunen bei der Lizenzvergabe unter anderem, ob ein Casino bei Sicherheit, Hygiene oder Kinder- und Jugendschutz bestimmte Standards erfüllt und dies etwa durch ein TÜV-Siegel beglaubigen lässt. In Baden-Württemberg spielt die Qualität der Betriebe dagegen keinerlei Rolle, entscheidend ist allein die Gewährung von Härtefällen. Eine solche Auswahl ist nach Einschätzung von Rechtsanwalt Benesch aber problematisch: „Das wird vor Gericht wohl nicht halten. Dieses Vorgehen fällt den Genehmigungsbehörden auf die Füße, und dann muss eventuell sogar der ganze Auswahlprozess wiederholt werden.“ Das Wirtschaftsministerium in Stuttgart verweist hingegen darauf, dass die Qualitätsstandards, mit denen bayerische Spielhallen Pluspunkte beim Ordnungsamt sammeln können, in Baden-Württemberg dank strengerer Auflagen ohnehin für alle Betreiber Pflicht seien.

Der Verband der Automatenwirtschaft fordert von der Politik vor allem eines: Planungssicherheit. Doch die Realität in den Kommunen sieht anders aus. In Niedersachsen hatten Ordnungsämter die Entscheidung, welche Automatenhalle bleiben darf und welche schließen muss, zeitweise per Losentscheid getroffen. Auf diese spezielle Art von Glücksspiel sind die Casinobetreiber allerdings nicht unbedingt erpicht.