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Strafprozess

Richterin: Strafverfahren dauern zu lange

Stuttgart / Lesedauer: 5 min

Gerichtspräsidentin Horz warnt vor Folgen der komplizierten Regeln für Strafverfahren
Veröffentlicht:27.05.2018, 18:45

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Neue Rechte für Verbraucher, immer länger dauernde Strafprozesse: Das sind zwei der Themen, denen sich die Präsidenten der deutschen Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs ab Montag in Stuttgart widmen. Mit dabei ist auch Cornelia Horz, Präsidentin des OLG Stuttgart und zuständig für Gerichte in ganz Württemberg. Sie hat Katja Korf erklärt, warum Musterfeststellungsklagen wenig nutzen und was sich ändern muss, um Straftäter rascher zu verurteilen.

Frau Horz, die Bundesregierung will bis Ende 2018 sogenannte Musterfeststellungsklagen ermöglichen. Verbraucherschutzorganisationen könnten dann Klagen von Bürgern bündeln und gegen Konzerne vor Gericht ziehen. Halten Sie das für einen guten Weg?

Wir Richter vermissen bei dem Vorhaben die Beteiligung der Praktiker. Weder die Vorschläge aus der Richterschaft noch von Wissenschaftlern fanden bisher ausreichend Gehör. Deswegen ist es mein Wunsch, dass wir unsere Anregungen und Wünsche an die Bundesregierung bei der Tagung formulieren und als gemeinsames Anliegen an die Politik herantragen können – in der Hoffnung, dass dies Gehör finden wird.

Was stört Sie denn an der Idee?

Ich befürchte, sie wird den Verbrauchern nicht das bringen, was die Politik ihnen verspricht. Am Ende werden Bürger doch noch selbst den Klageweg beschreiten müssen, um ihren eigentlichen Anspruch durchsetzen zu können. Machen sie das nicht, werden sie auf Schäden sitzen bleiben.

Warum befürchten Sie das?

Der vorgesehene Weg ist viel zu kompliziert und wird dem eigentlichen Anliegen des Gesetzgebers nicht gerecht. Nehmen Sie als Beispiel mögliche Klagen gegen VW wegen der manipulierten Abgas-Software. Die jetzt geplanten Musterfeststellungsklagen würden so ablaufen: Verbraucherschutzorganisationen könnten die Klagen gegen VW erheben. Bürger könnten sich auf entsprechende Listen von Geschädigten setzen lassen – auch ohne eigenen Anwalt. Entscheidet ein Gericht zugunsten der Kläger, wäre ihnen zunächst einmal ein Anspruch sicher.

Das klingt ja zunächst sinnvoll…

Leider müssen die einzelnen Bürger dann aber noch einmal vor ein Gericht ziehen. Denn dieses müsste erst noch darüber entscheiden, in welcher Höhe Schadenersatz oder andere Leistungen fließen müssen. Die Fälle sind zum Teil sehr unterschiedlich, es wären erneut längere Prozesse notwendig. Das alles dauert zu lange. Mein Ziel ist es, dass wir als Präsidenten einen gemeinsamen Appell an die Politik richten werden, das Verfahren zu vereinfachen oder die Ziele auf anderem Weg zu erreichen.

Auf der Tagung geht es außerdem um Strafverfahren. Da fordern Richter seit Jahren Veränderungen, damit Prozesse rascher zu Ende geführt werden können. Wo liegen die Probleme?

Strafverfahren, in denen die Angeklagten nicht in Haft sind, dauern immer länger. Das liegt sicherlich unter anderem auch daran, dass Fälle oft komplexer als früher sind und wir zum Beispiel viel mehr Daten auswerten müssen - von Handys und Computern zum Beispiel. Das bringt Probleme mit sich. Die Justiz beschäftigt dabei aber ein weiterer Aspekt wesentlich mehr: Wenn etwa Verdächtige in Haft sitzen, muss innerhalb von sechs Monaten, spätestens nach einem Jahr der Prozess gegen sie beginnen. Deswegen müssen Richter diese Verfahren immer vorziehen, sonst kommen die Verdächtigen frei. Komplizierte Verfahren etwa in Wirtschaftsstrafsachen, bei denen die Beteiligten auf freiem Fuß sind, verzögern sich aufgrund dessen zum Teil erheblich. So bekommen die Angeklagten oft Strafrabatt – weil das Verfahren so lange dauert.

Gibt es dazu Zahlen?

Wir haben kürzlich alle Landgerichte in Württemberg befragt. Das Ergebnis: Bei Wirtschaftsstrafverfahren hat sich die durchschnittliche Zahl der Verhandlungstage seit 2007 auf 11,4 verdoppelt. Bei jenen Verfahren, die 2017 bei den Gerichten anhängig gewesen sind, hat sich zum Teil über Monate nichts getan – aus den vorher genannten Gründen. Dies ist ein Trend, der sich in den letzten beiden Jahren verfestigt hat. Im Durchschnitt verzögert sich der Prozessbeginn im gesamten OLG-Bezirk um mehr als ein Jahr. So etwas leistet dem Vorurteil Vorschub, „die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“. Allerdings trifft dies grundsätzlich auch auf mehr als die Hälfte der sonstigen erstinstanzlichen Strafverfahren vor den Landgerichten gegen Erwachsene und Jugendliche zu, bei denen die durchschnittliche Verzögerung in unserem Bezirk allerdings etwas geringer ausfällt.

Welche Ursachen hat das?

Ein Aspekt, den ich im Blick habe, ist der Umstand, dass in Strafprozessen nahezu jedes Beweismittel in die Hauptverhandlung eingebracht werden muss. Das führt dazu, dass zum Beispiel jeder Zeuge, der bereits von der Polizei vernommen wurde, nochmals vernommen werden muss. Das kann Stunden dauern und führt zu unverhältnismäßigem Aufwand gerade in Massen-Betrugsverfahren. Hier könnte eine Verwertbarkeit von Zeugenfragebögen Abhilfe schaffen. Außerdem wäre es gerade bei komplexen Sachverhalten gut, wenn Zusammenfassungen bestimmter Dokumente verfasst und verlesen werden könnten.

Und was müsste sich sonst ändern?

Das Prinzip des gesetzlichen Richters gibt uns sehr enge Vorgaben. Das heißt: Auch in monate- oder gar jahrelangen Verfahren muss jeder Richter einer Strafkammer bei jedem Termin anwesend sein. Selbst wenn eine Richterin Mutter wird und deshalb im Mutterschutz ist, können Prozesse, in denen an mindestens 10 Tagen eine Verhandlung stattgefunden hat, nicht länger als ein Monat unterbrochen werden, andere nicht länger als drei Wochen. Das müssen wir ändern – etwa, indem man Aufzeichnungen erlaubt, die eine ausreichende Information künftiger Mitglieder der Strafkammer sicherstellen. Außerdem brauchen wir die Möglichkeit, Prozesse länger zu unterbrechen oder Richter auszutauschen.