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Polizeipistole

Polizei prüft mögliches Manifest des Flüchtigen von Oppenau

Oppenau / Lesedauer: 10 min

+++ Vier Polizisten entwaffnet +++ Keine Hinweise auf politische Motivation +++ 2009 Frau mit Armbrust schwer verletzt +++ Waldgebiet schwer zu durchsuchen +++
Veröffentlicht:15.07.2020, 12:11

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Die Polizei prüft ein mögliches Manifest des Mannes, der seit Sonntag mit vier geraubten Polizeipistolen im Schwarzwald auf der Flucht ist. Es sei aber nicht gesichert, dass der Text tatsächlich von dem 31-Jährigen stamme, sagte Polizeisprecher Yannik Hilger am Mittwoch.

Es sei keine politische Richtung daraus abzuleiten, es handele sich um einen Hinweis unter vielen. Der Text bestätige in erster Linie die Affinität des Mannes zum Wald, sagte Hilger . Zuvor hatte die „Bild“-Zeitung über das Manifest berichtet, in dem es um Kritik an der Technisierung des Lebens und das einfache Leben im Wald geht. Medienberichten zufolge war der Text in einem Lokal hinterlegt.

Die Polizei setzte ihre Fahndung nach dem Flüchtigen auch am Mittwoch fort. Viele Maßnahmen liefen jetzt im Hintergrund ab, sagte Hilger. In Oppenau seien Präventionsteams der Polizei unterwegs, um die Menschen zu beraten. Die Beamten kontrollierten weiterhin das Gebiet, in dem sich der Mann aufhalten könnte. Auch Spezialkräfte seien im Einsatz.

In einer Pressekonferenz informierten Polizei und Staatsanwaltschaft am Dienstagnachmittag über den Stand der Fahndung nach dem 31-jährigen Yves Rausch.

Polizeipräsident Reinhard Renter berichtete darin von den bisheringen Fahndungsmaßnahmen im Wald und rund um Oppenau. Das 8,6 Quadratkilometer große Gebiet wurde und wird von Hunderten Polizisten durchsucht. Im Einsatz sind das SEK, mobile Einsatzkommandos, Entschärfer, Mantrailer, Hubschrauber sowie taktische Züge des Polizeipräsidiums Einsatz. Hinzu kommen zahlreiche ehrenamtliche Helfer, beispielsweise von DRK und THW.

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dpa_5FA1D800959199C5 (Foto: Philipp von Ditfurth)

Vor allem die Suche im Wald gestalte sich schwierig, weil es dort kaum Wanderwege gebe, sagte Renter. „Durchsuchen kann man so ein Gebiet nicht, das gibt die Topografie nicht her“, sagt er. Dennoch ist die Polizei mit einem Großaufgebot auf der Suche nach dem Mann. Es seien zwar sehr viele Kräfte im Einsatz - bis zu 440 Beamte suchten bisher zeitgleich nach Yves Rausch. "Wir haben aber auch einen langen Atem."

"Er ist waffenaffin, er ist ein Einzelgänger, er ist aber nie als gefährlicher oder rabiate oder schießwütige Person aufgefallen, sagte Renter zum Gefahrenpotenzial. Es könne aber auch sein, dass der Gesuchte aufgebe. " Aber er hat vier mögliche Waffen, insofern müssen wir von einer entsprechenden Gefahr ausgehen. "

Waffennarr und Waldläufer

Nach Angaben des Leitenden Staatsanwalts Dr. Herwig Schäfer stammt der Gesuchte aus der Ortenau und wohnte in Oppenau, bevor er wohnsitzlos wurde. Er sei als Waffennarr einzustufen. Er sehe sich selbst als eine Art Waldläufer, der in der Natur auf sich selbst gestellt gut auskomme.

Bisher gibt es laut Schäfer keine Hinweise auf einen politischen Hintergrund. Auch eine Zuordnung zur Reichsbürgerszene sei derzeit nicht erkennbar. Ein Hinweis deute darauf hin, dass er 2004 mit einer fremdenfeindlichen Schmiererei aufgefallen sei, allerdings sei dieser noch nicht verifiziert. Dem Beschuldigten wurde allerdings in der Vergangenheit bereits offiziell untersagt, Waffen zu führen.

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dpa_5FA1DA0073E9C722 (Foto: Sven Kohls)

"Wir wissen letztlich nicht, was den Beschuldigten bewogen hat, so zu handeln", sagte Schäfer. Wahrscheinlich sei der Grund in der Persönlichkeit des Beschuldigten zu suchen.  Auf Nachfrage sagte Schäfer, dass Gerüchte über eine Ausbildung bei der Fremdenlegion nicht belegbar seien. Der Mann habe zudem immer in Deutschland gelebt.

Polizeipräsident Renter beantwortet die Frage, die besonders häufig gestellt wird: Warum dauert es so lange, ihn zu finden? "Er ist sehr ortskundig, er bewegt sich in diesem Geläde sehr sicher, er lebte zuletzt im Wald. Der Wald ist sein Wohnzimmer".

Mehr verdeckte Fahndung

Renter kündigte eine veränderte Fahndung an, weswegen ab Dienstag und in den folgenden Tagen andere Fahrzeuge zu sehen sein würden. Die hohe Präsenz in Oppenau werde bestehen bleiben. Die Polizei werde sich mehr auf die verdeckte Fahndung konzentrieren.

Eine Bürgeransprechstelle ist bereits am Rathaus eingerichtet. Alle Geschäfte im Ort sollen aufgesucht werden, um Verhaltenshinweise zu geben, falls der Gesuchte dort aufschlagen sollte.

Die Polizei hat ein zusätzliches Hinweistelefon eingerichtet, das unter 0781-21-3333 und -3334 erreichbar ist.

Der Schutz des Lebens ging vor.

Polizeipräsident Renter

"Die Kolleginnen und Kollegen haben richtig behandelt", betonte Renter zweimal. "Der Schutz des Lebens ging vor". Bisher habe es auch keine Verletzten gegeben. "Wir gehen davon aus, dass er sich noch hier im Raum aufhält." Hinweise werden konsequent verfolgt. "Sie können sicher sein, wir bleiben dran."

Ärger über Häme im Netz

Renter äußerte sich ungehalten über Kritik und Häme in den sozialen Medien, die vor allem den Polizisten gegenüber geäußert wurden. Die vier Kolleginnen und Kollegen hätten Angst um ihr Leben gehabt. Sie seien für die Einsatz ausgebildet gewesen. Zudem sei die Eskalation des Aufeinandertreffens nicht vorhersehbar gewesen. Bis zu dem Moment, in dem der Gesuchte die Waffe zog und einen Beamten bedrohte, sei die Situation völlig entspannt gewesen. "Die Polizeibeamten fürchteten um das Leben des Beamten, der gezielt anvisiert wurde", berichtete auch der Leitende Staatsanwalt Schäfer. Der Abstand vom Lauf der Waffe zum Beamten habe einen bis eineinhalb Meter betragen.

Oppenaus Bürgermeister Geiser machte deutlich, dass die Situation für die Stadt außergewöhnlich sei. Yves Rausch sei bisher im Ort nicht sonderlich negativ aufgefallen, allerdings als etwas sonderbare Person sichtbar gewesen. Die Stimmungslage im Ort sei sehr differenziert: "Es gibt Menschen, die ihm nahestanden und die ihn als harmlos beschreiben und es gibt Menschen, die sehr besorgt sind".

Für die Eltern von Kindergarten- und Schulkindern gilt das Prinzip der Freiwilligkeit: Wer zu besorgt ist, kann sein Kind zuhause behalten, sagte Geiser.

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dpa_5FA1D800DE56CFFF (Foto: Philipp von Ditfurth)

Was bisher geschah

In der Nacht zum Dienstag haben die Einsatzkräfte ein Objekt im Raum Offenburg überprüft. Um welche Art von Gebäude es sich handelte, teilte die Polizei am Dienstag zunächst nicht mit. Es war einer von mehreren Hinweisen über einen möglichen Aufenthaltsort des Flüchtigen, dem die Polizei nachgegangen ist. Gefunden haben die Beamten den 31-Jährigen dort jedoch nicht.

+++ Hinweise zu der verdächtigen Person werden unter der Notrufnummer 110 entgegengenommen +++

Die Polizisten hatten den Mann am Sonntagmorgen in einer Gartenhütte am Waldrand kontrolliert. Dort war der 31-Jährige eingebrochen und hatte sich häuslich niedergelassen. Der Eigentümer wollte, dass der Mann das Gebäude verlässt.

Als vier Beamte ihn dort antrafen, stellten sie den Angaben zufolge fest, dass er mit Pfeilen und Bogen, einem Messer und einem Speer bewaffnet war - allerdings nicht griffbereit. Die Pistole, mit der er später einen Beamten bedrohte, war zu Beginn noch nicht sichtbar gewesen.

Plötzlich Waffe gezogen und Beamte massiv bedroht

"Er war zu Beginn sehr kooperativ, was bedeutet, dass es für die Kollegen völlig unvorhersehbar war, dass er plötzlich eine Waffe zieht und alle vier in einen Lauf schauen mit gespanntem Bügel", sagte Polizeisprecher Yannik Hilger.

Die Beamten mussten ihre Pistolen auf den Boden legen. Anschließend flüchtete der 31-Jährige mit den Dienstwaffen in den Wald. "Die Beamten werden intern vernommen, da wird der Ablauf genau rekonstruiert, aber sie werden auch intern betreut." Verletzt wurde aber keiner der Polizisten.

Mit einem Großaufgebot von mehreren Hundert Einsatzkräften durchkämmt die Polizei seit Sonntag derzeit die Waldgebiete nördlich von Oppenau ausgehend vom Burgerwald, bisher ohne Erfolg.

Im Laufe der Ermittlungen wurde bekannt, dass der Gesuchte bereits in den Wochen zuvor Unterschlupf im Wald gesucht hat und dort abgetaucht war. Zudem konnte er am Samstag gegen 11.50 Uhr im Bereich der 'Kleinebene' von Zeugen gesehen werden. Deshalb geht die Polizei davon aus, dass sich der 31-Jährige in dem unwegsamen Gelände rund um Oppenau sicher bewegt und sehr gut auskennt.

Der Gesuchte sei schon mehrfach mit der Polizei in Konflikt geraten, unter anderem wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Die Polizei veröffentlichte ein Foto des Mannes. Die Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung. Die Ermittlungsrichterin beim Amtsgericht Offenburg hat mittlerweile einen Untersuchungshaftbefehl unter anderem wegen des dringenden Tatverdachts der besonders schweren räuberischen Erpressung erlassen , wie die Polizei am Abend mitteilte.

2010 bereits nach Armbrust-Attacke verurteilt

Die Polizei stufte den 31-Jährigen, der nach ihren Angaben ohne festen Wohnsitz in den Wäldern lebt und sich darin gut auskennt, als gefährlich ein. 2010 war der Mann wegen gefährlicher Körperverletzung bereits zu dreieinhalb Jahren Jugendarrest verurteil worden, wie die Staatsanwaltschaft dem SWR bestätigt. Er hatte 2009 mit einer Armbrust auf eine Frau geschossen, dem Vernehmen nach seine ehemalige Freundin, und diese dabei schwer verletzt.

Wie die Staatsanwaltschaft am Dienstag mitteilte, stand der Mann noch unter Bewährung. Er hatte eine neunmonatige Strafe wegen Verstößen gegen das Waffengesetz von 2017, eine weitere Verurteilung gab es 2017.

Die Menschen in der Region wurden aufgerufen, Waldgebiete zu meiden, sich möglichst nicht im Freien aufzuhalten und keine Anhalter mitzunehmen. Die Suche in dem unübersichtlichen Gelände würden „mit Hochdruck“ fortgeführt, erklärten die Beamten am Montag.

Die Polizei sperrte am Montag auch Straßen. „Bleiben Sie möglichst zu Hause und nehmen Sie keine Anhalter mit“, sagte eine Polizeisprecherin am Montagmorgen. Es könne nicht genau beurteilt werden, welche Gefahr von dem Mann ausgeht, hieß es.

Am Montag erging durch die Deutsche Flugsicherung ein Durchflugverbot mit einem Radius von drei nautischen Meilen um Oppenau, damit die Polizeihubschrauber ungetsört operieren konnten. Dieses Verbot umfasste auch das Aufsteigen lassen von Drohnen. Am späten Nachmittag wurde das Verbot dann wieder aufgehoben.

Laut Medienberichten hat die Stadt Oppenau mittlerweile bekannt gegeben, dass die Schulen und Kindergärten am Dienstag wieder geöffnet werden.

Täter soll der Gothic-Szene angehört haben

Der Mann soll sich in seiner letzten festen Wohnung heimlich einen Schießstand eingerichtet haben. Der Mann wohnte demnach fünf Jahre lang in einer Wohnung im Dachgeschoss eines Oppenauer Gasthauses, Ende 2019 sei er ausgezogen, sagte sein ehemaliger Vermieter, dem das Gasthaus gehört.

Waffen habe er bei dem Flüchtigen nicht gesehen, sagte der Vermieter weiter - außer Pfeil und Bogen, die er für Sportgeräte gehalten habe. Allerdings habe die Polizei im vergangenen Jahr bei einer Durchsuchung der betreffenden Wohnung im Speicher unter dem Dach eine Art Schießstand entdeckt.

Der 31-Jährige sei „extrem auffällig gekleidet“. Der Mann habe augenscheinlich der sogenannten Gothic-Szene angehört und selbst im Sommer einen schwarzen Mantel und andere auffällige schwarze Kleidung getragen. In dieser Zeit habe der nun Flüchtige noch bei der Bahn in Offenburg gearbeitet, sagte der Gastronom. „Insgesamt war er ein extrem seltsamer Mensch."

Nachdem der 31-Jährige über mindestens zehn Monate mit der Miete im Rückstand gewesen sei, habe er die Wohnung Ende vergangenen Jahr zwangsräumen lassen. Bei dem Versuch, die Mietforderungen einzutreiben, habe sich dann herausgestellt, dass der Mann nicht mehr in Oppenau gemeldet gewesen sei, so der Vermieter.

Oppenau war bereits Ort eines Anschlags

Der Ort Oppenau mit ungefähr 5000 Einwohnern war vor fast 30 Jahren schon einmal Schauplatz umfassender Presseberichterstattung: Dort wurde der heutige Bundestagspräsident und damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) am 12. Oktober 1990 bei einer Wahlveranstaltung angeschossen und lebensgefährlich verletzt. Der Täter wurde überwältigt und später in die Psychiatrie eingewiesen. Schäuble ist seither gelähmt.