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Müllwagenunfall

Müllwagenunfall: Fahrer muss nicht ins Gefängnis

Tübingen / Lesedauer: 5 min

Nach einem Müllwagenunfall mit fünf Toten hat der Fahrer ein Jahr Haft auf Bewährung bekommen. Das Landgericht verurteilte den 55-Jährigen  wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung.
Veröffentlicht:19.03.2018, 13:25

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Nach einem Müllwagenunfall mit fünf Toten hat der Fahrer ein Jahr Haft auf Bewährung bekommen. Das Landgericht verurteilte den 55-Jährigen wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung.

Höchstens zwei Sekunden. Soviel Zeit hatte der Fahrer eines Müllwagens, um sein Versehen zu korrigieren. Ein Versehen, das fünf junge Menschen das Leben kostete. Eine Unachtsamkeit, die den 55-Jährigen selbst traumatisiert zurückließ. Und über die am Montag das Landgericht Tübingen urteilen mussten, obwohl sie wussten, dass das Recht hier weder angemessene Sühne noch Linderung bringen kann.

Ein Jahr auf der Bewährung wegen fahrlässiger Tötung von fünf Menschen, 1000 Euro Geldstrafe. So lautet der Richterspruch über den 55-Jährigen. Er hatte im August 2017 seinen 20-Tonner mit überhöhter Geschwindigkeit in eine Kurve bei Nagold (Kreis Calw) gelenkt. Der Müllwagen kippte auf einen Pkw. Darin starben Eltern, 22 und 25 Jahre alt, ihre zweijährige Tochter und der wenige Wochen alte Sohn sowie die 17-jährige Schwester des Familienvaters. Schluchzend hatte der Angeklagte im Prozess jenen Moment geschildert, in dem ihm seine Schuld bewusst wurde. „Wo ist dieses Auto?“, habe er sich gefragt, als er um seinen verunglückten Lkw herumlief. Noch Sekunden vor dem Sturz des tonnenschweren Wagens hatte er den Pkw gesehen. „Dann sah ich ein Stück Blech, unter meinen Lkw, und dann…“, so der Mann.

"Fünffacher Mord"

Die Familien der fünf Toten, alle Schausteller, trotzten der Tragödie auf einer bunten, und dennoch zutiefst traurigen Beerdigung. Noch immer sind die engsten Angehörigen in psychiatrischer Behandlung, berichtet ihr Anwalt. Er hatte zuvor für eine deutlich härtere Strafe plädiert, drei Jahre für „eine Serie von Fehlern“ des Fahrers. Dennoch spricht der Jurist nach dem Urteil jene Wahrheit aus, die es allen Beteiligten so schwer macht an diesem Tag. Die Familie komme noch immer nicht klar mit dem Verlust: „Auch ein anderer Richterspruch ohne Bewährung hätte daran nichts geändert.“

Die Schuld, die der Lkw-Fahrer in den Augen der Familie auf sich geladen hat, ist klar. „Für uns ist das fünffacher Mord“, hatte einer der Angehörigen aus Wut über das Plädoyer des Staatsanwaltes in den Saal gerufen. Dieser hatte ebenfalls nur ein Jahr auf Bewährung gefordert.

Sowohl die Strafkammer als auch die Ankläger sahen keine schwere Fahrlässigkeit. Für diese hätten bis zu fünf Jahre Haft gedroht. Aus Sicht der Richter verwechselte der Fahrer des Müllwagens zwei Hebel. Das legten die Gutachten und die Aussagen des Mannes nahe. Er wollte die Motorbremse bedienen, um auf abschüssiger Straße nicht schneller zu werden. Doch stattdessen aktivierte der Fahrer wohl den Tempomaten. 10 Sekunden lang, so zeigen es Daten der Bordelektronik des Lkw, rollte der 20-Tonner mit konstant 39 km/h. Dann beschleunigte er langsam. Wahrscheinlich, weil der Fahrer nun leicht auf die Bremse tippte, der Tempomat sich ausschaltete und das Fahrzeug nun ungebremst auf der abschüssigen Straße rollte. Etwa zwei Sekunden hatte der 55-Jährige hinter dem Steuer nun, um das zu bemerken, eine Schrecksekunde gesteht ihm die Wissenschaft zu. Nach Aussage eines Gutachters blieben noch höchstens weitere zwei Sekunden. In denen hätte der Mann auf die Bremse treten können. In Panik, so die Richter, reagierte er jedoch gar nicht. Eine Panik, die auf einem ähnlichen Unfall zurückgehen könnte. Bereits 2010 war der 55-Jährige mit einem Lkw umgekippt. Er verlor für einige Zeit seinen Führerschein. Doch weil dies bereits so lange zurückliegt, darf es strafrechtlich nicht mehr gewertet werden.

Hebel verwechselt

Zu Recht, führte der Verteidiger am Montag aus: „Mein Mandant ist seit 2010 rund zwei Millionen Kilometer unfallfrei gefahren.“ Auch am Tag der Tragödie fuhr der Angeklagte meist sogar langsamer als erlaubt, das dokumentierte der Bordcomputer.

„Er war kein Raser, er war nicht betrunken, er hat nicht telefoniert“, sagte die Vorsitzende Richterin Mechthild Weinmann. Zu einer Nachlässigkeit seien mehrere äußert unglückliche Umständen hinzugekommen. Der 55-Jährige hatte den Lkw erst kurz vor dem Unfall von seinem Beifahrer übernommen. Der Müllwagen war nicht jener, den der Mann sonst lenkte. Das Modell vom Unfalltag kannte er zwar, doch er hatte lange nicht mehr hinter dem Steuer gesessen. Unter diesem waren zwei Hebel - für Motorbremse und Tempomat. Anders als im gewohnten Lkw: dieser hat nur einen Hebel, mit dem der Fahrer die Motorbremse aktiviert. Statt sich vor Fahrtbeginn noch einmal mit dem Cockpit vertraut zu machen, fuhr der Angeklagte los. Und verwechselte die beiden Hebel.

Er selbst hatte bei Polizei und vor Gericht ausgesagt, die Fußbremse habe nicht funktioniert. Doch das glaubten die Richter nicht. Zum einen, weil Gutachter den Lkw untersuchten. Ergebnis: Die Bremsen funktionierten bestens. Zum anderen machte der Angeklagte immer wieder verschiedene Angaben zu jenen kritischen Momenten, in denen das Unheil seinen Lauf nahm. Außerdem hatte er auf die Frage, welchen Hebel er denn nun bedient habe, geantwortet: „Den größeren“. Das ist aber genau jener für den Tempomaten, nicht für die Motorbremse.

"Angeklagter ist ein gebrochener Mann"

Juristisch betrachtet liegt die Schuld des Mannes in drei Punkten. Er bereitet sich nicht ausreichend auf den ungewohnten Lkw vor, er verwechselte zwei Hebel und versäumte dann zu bremsen. Menschlich gesehen haben wenige Sekunden ausgereicht, um fünf junge Leute zu töten. Und, so die Richterin: „Der Angeklagte ist ein gebrochener Mann“. Ärzte diagnostizierten bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung. Er konnte drei Monate lang nicht zu Hause wohnen, die Polizei fürchtet nach Angaben seines Anwalts Übergriffe der Opfer-Familie. Den Richterspruch akzeptiere sein Mandat natürlich. Denn das wichtigere Urteil sei längst gefallen. „Mein Mandat hält sich für zutiefst schuldig.“