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Bis 2035 fehlen bis zu 27.000 Lehrkräfte im Südwesten

Baden-Württemberg / Lesedauer: 4 min

Bis 2035 fehlen bis zu 27.000 Lehrkräfte im Südwesten
Veröffentlicht:07.10.2022, 02:03

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Der Mangel an Lehrkräften im Südwesten wird sich nach einer neuen Studie bis zum Jahr 2035 nochmals massiv verschärfen. Nach einer Analyse des Bildungswissenschaftlers Klaus Klemm im Auftrag der Bildungsgewerkschaft GEW dürften bis dahin fast 17.000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen. Wenn das Land seine Ziele bei den Grundschulen und der Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen erreichen wolle, müssten bis 2035 sogar noch deutlich mehr Lehrkräfte eingestellt werden. Nach Berechnungen von Klemm vergrößert sich die Lücke damit auf insgesamt 27.000.

GEW-Landeschefin Monika Stein sagte am Freitag in Stuttgart: «Das sind erschreckende Zahlen.» Sie forderte die Regierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zum Handeln auf. Wenn diese mehr Studienplätze und neue Stellen schaffe, «kann sie ihre eigenen Fehler der vergangenen elf Jahre etwas korrigieren und einen langfristigen Lehrkräftemangel verhindern». Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) hält die eigenen Kalkulationen für «schärfer und passgenauer». Das Land rechnet derzeit mit einer Lücke von etwa 5000 fehlenden Lehrkräfte bis 2035.

Stein sagte, für die Inklusion und eine bessere Ausstattung der Grundschulen müssten sofort weitere Studienplätze geschaffen werden. Hier sei die Lage am prekärsten. Stein schlug eine Werbekampagne des Landes vor, um mehr junge Menschen für den Lehrerberuf zu begeistern: «Wir bieten den schönsten Beruf der Welt, das könnte man von Seiten der Landesregierung auch mal bewerben.» Sie appellierte auch an das Land, zu akzeptieren, dass viele Lehrkräfte in Teilzeit arbeiten wollten. Die Gewerkschafterin forderte eine Enquête-Kommission zum Fachkräftemangel im Bildungsbereich. Dass Kretschmann zu vielen Themen einen Strategiedialog ins Leben gerufen habe, aber ausgerechnet zur Bildung nicht, ärgere sie enorm.

Schopper sagte, das Land stehe vor großen Herausforderungen bei der Unterrichtsversorgung. Man steuere aber mit unterschiedlichen Maßnahmen gegen. So seien die Studienplätze für angehende Grundschul-Lehrkräfte fast verdoppelt worden. In der Sonderpädagogik werde ein neuer Studiengang in Freiburg hinzukommen, wodurch weitere 175 Plätze geschaffen werden. «Die Ausbildung mit Studium und Referendariat dauert aber», räumte Schopper ein. Man werde sich daher kurzfristig auch um Quereinsteiger mit einschlägigen Berufserfahrungen wie etwa Sozialpädagogen bemühen.

Erst am Dienstag hatte eine Studie des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) ergeben, dass viele Schulen im Südwesten schon wenige Wochen nach dem Start des Schuljahres teils dramatische Probleme haben, die planmäßigen Unterrichtsstunden abzudecken. Schopper hielt dem entgegen, dass das Land mit mehr als 98 Prozent Versorgungsgrad in allen Schularten, außer in den Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren, beim bundesweiten Problem Lehrkräftemangel nicht so schlecht dastehe. «Das stimmt uns nicht zufrieden und bremst auch unser Engagement nicht. Aber das ist wichtig bei der Betrachtung.»

Schopper hielt den Gewerkschaften vor: «Es helfen uns nämlich weder der Ausruf eines vermeintlichen Notbetriebs noch Lösungsvorschläge, die das Problem eher verschärfen würden. Denn wenn wir auf das System Schule eindreschen, gewinnen wir sicher keine neuen Lehrkräfte.» Auch der Grünen-Bildungsexperte Thomas Poreski entgegnete der GEW: «Wenn die Lösung nur so einfach wie die Aufgabe wäre.» Die Regierung erhöhe seit Jahren die Zahl der Studienplätze. «Wir befinden uns aber offenbar in einer Woche, in der so manchem populäre Forderungen für den Bildungsbereich einfacher über die Lippen gehen als tragfähige Alternativen.»

Laut Klemms Berechnungen müssen bis 2035 etwa 64.800 Stellen neu besetzt werden, weil Lehrkräfte in Pension gehen und die Schülerzahlen steigen. Im Gegenzug werden demnach aber nur 48.000 angehende Lehrkräfte ihr Studium und Referendariat beendet haben. Die Prognose der Kultusministerkonferenz (KMK), wonach das Angebot an neuen Lehrkräften in Baden-Württemberg bis 2035 bei 60.550 liege, hält Klemm für unseriös. Da die Zahl der Abiturienten sinke, müsse auch mit weniger Studierenden gerechnet werden, die mit einem Lehramtsstudium beginnen.

Hinzu komme, dass bei der Rechnung der Kultusministerkonferenz die Ziele im Koalitionsvertrag im Land nicht einbezogen worden seien. «Allein für die drängendsten Maßnahmen einer im Bundesdurchschnitt liegenden Ausstattung der Grundschulen, der Inklusion und für Schulen in herausfordernden Lagen werden weitere 10.400 Lehrkräfte benötigt», erläuterte Stein. Es könne nicht so weiter gehen, dass die Lehrerinnen und Lehrer bei der Inklusion «verheizt» würden, weil sie viel zu wenige seien.

Stefan Fulst-Blei kritisierte für die SPD-Fraktion, das Land kalkuliere mit Zahlen, die jeglichen Anspruch an Reformen und Verbesserungen vermissen ließen. «Es geht doch nicht darum, den schon jetzt mangelhaften Zustand zu erhalten, sondern die Schulen für die Zukunft besser aufzustellen und krisenfest zu machen.» Der bisherige Ausbau der Studienkapazitäten sei nur ein «Tropfen auf den heißen Stein».

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