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Klinikzentrum

Land stärkt Klinikzentren mit 500 Millionen Euro

Stuttgart / Lesedauer: 5 min

Krankenhäuser kämpfen ums Überleben – Warum kleine Häuser keine Zukunft haben
Veröffentlicht:18.12.2018, 20:04

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Die Krankenhäuser in Baden-Württemberg bekommen 2019 mehr als 500 Millionen Euro vom Land, das ist der zweithöchste Betrag in der Landesgeschichte. Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) setzt weiter auf Klinikzentren. Für Patienten kann das längere Wege bedeuten, Experten versprechen dafür eine bessere medizinische Versorgung. Die Entwicklung im Überblick.

Immer weniger Krankenhäuser: Die Zahl der Krankenhäuser in Baden-Württemberg sinkt seit Jahren. Aktuell gibt es im Land 210 Krankenhäuser. Seit 2001 wurden nach Zählung der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft mehr als 40 Standorte geschlossen, unter anderem in Isny und Leutkirch, auf der Laichinger Alb, in Ulm und Bad Buchau. Alle Häuser zusammen behandeln 2017 mehr als 2,15 Millionen Patienten. Deren Zahl steigt seit Jahren, sie liegen aber immer kürzer im Krankenhaus: 2016 verbrachten sie dort im Schnitt 7,3Tage. 2010 waren es noch fast acht.

Woher das Geld kommt: Die Krankenkassen finanzieren den Großteil der Behandlungskosten, die für Patienten anfallen. In Baden-Württemberg flossen laut AOK 2017 rund 3,5 Milliarden Euro für die Therapie körperlicher Leiden. Das Land gibt Geld für Baumaßnahmen und Anschaffungen. 2019 stellt das Sozialministerium dafür 450 Millionen Euro zur Verfügung, das ist etwas weniger als im Vorjahr. Hinzu kommen aber weitere 120 Millionen Euro, die sich Bund und Land teilen. Oft müssen Träger – also Unternehmen, Kirchen oder Kommunen – einspringen, weil die Einnahmen nicht ausreichen.

Wirtschaftliche Lage: Von den 30größten Krankenhausverbünden macht mehr als die Hälfte Verluste. Die Probleme sind vielfältig. Zum einen zahlen die Krankenkassen nicht mehr wie früher pro Tag, den ein Patient im Krankenhaus verbringt. Stattdessen gibt es Pauschalen für bestimmte Krankheitsbilder. Das komplexe System verursacht einen hohen Verwaltungsaufwand. Oft ist es schwierig, Kosten für längere Liegezeiten eines Patienten von den Kassen erstattet zu bekommen. Diese argumentieren, dass nur auf diese Weise effizient behandelt wird. Früher hätten Kliniken zum Beispiel Patienten unnötig lange im Krankenhaus behalten, um Geld zu verdienen. Andererseits werden bestimmte Eingriffe häufiger durchgeführt, weil sie gut vergütet werden. Hinzu kommt, dass Personal teurer wird und die Patienten älter und kränker sind.

Was das Land tut: Als Reaktion auf diese Entwicklungen knüpfen Bund und Land ihre Förderpolitik oft an Bedingungen. Geld bekommen unter anderem solche Maßnahmen, die zur Konzentration beitragen. Ziel ist es, an Zentren eine gute medizinische Versorgung zu gewährleisten. Studien belegen: In aller Regel steigt die Qualität der Behandlung mit der Häufigkeit, in der Ärzte diese durchführen. Teure Geräte rechnen sich oft nur an großen Standorten mit vielen Patienten. Wo kleine Häuser schließen müssen, verspricht Lucha im Gegenzug Investitionen in Klinikzentren in der Region. Im Umland setzt der Minister darauf, ergänzende Angebote zu fördern – etwa Hospize, Pflegestationen und Medizinische Versorgungszentren. Dort arbeiten niedergelassene Ärzte. Im Schwarzwald und am Hochrhein etwa schlossen zuletzt Kliniken, dafür sollen in den kommenden Jahren 46 Millionen nach Emmendingen, 24,4 nach Elzach, 44nach Lörrach und 90 nach Freudenstadt fließen. In Oberschwaben und dem Allgäu wurden zuletzt die Klinikstandorte Biberach, Sigmaringen, Wangen und Ravensburg gestärkt, dafür sind zum Beispiel Riedlingen und Laupheim vom Aus bedroht.

Problem Klinikschließungen: Von 240 befragten Lesern der „Schwäbischen Zeitung“ im Landkreis Biberach waren mehr als 80 Prozent dagegen, Standorte in Riedlingen und Laupheim zu schließen. Andererseits sagten 45 Prozent, sie würden sich bei einem geplanten Eingriff nicht für eine Klinik im Landkreis entscheiden. Dieses Paradoxon gibt es überall: Die Menschen wehren sich dagegen, ihre Krankenhäuser zu verlieren, nutzen diese aber im Zweifel nicht. In Leutkirch und Isny hat man 2013 erlebt, was passiert, wenn Krankenhäuser schließen. Heute gibt es noch einen Notarztstandort, demnächst eröffnet eine Palliativstation mit Betten für Schwerstkranke. Claus Wolber setzte sich im Vorstand einer Bürgerinitiative für den Erhalt des Leutkircher Hauses ein. Heute sagt er: „Das ist der Lauf der Zeit, überall schließen kleine Häuser“. Immerhin habe es die Initiative geschafft, die Palliativstation in die Stadt zu holen. Damit haben Angehörige Schwerstkranker nicht so weite Fahrten vor sich. „Es wäre gut, wenn Bürger vor Ort schon wüssten, was nach einer Klinikschließung als Ersatz kommt“, so Wolber. Genau so sieht das auch der Leutkircher Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle (parteilos): „Schließen und dann alles erst mal stehen lassen, das ist nicht gut.“ Es fehle an medizinischer Grundversorgung. „Ältere Menschen werden von den großen Kliniken rasch entlassen, brauchen aber weiter Pflege“, moniert Henle. Trotz aller Bemühungen habe sich niemand gefunden, der ein solchen Anschlusspflege-Angebot im ehemaligen Krankenhaus betreibe. „Immer wieder berichten Bürger außerdem von Irrfahrten der Rettungswagen, weil der Standort Wangen nun überlastet ist“, sagt Henle. „Die Krankenhausschließung bleibt eine offene Wunde.“

Kritik an der Landesregierung: Die SPD hält Minister Lucha vor, die Zahlen schönzureden. Nur durch hartnäckiges verhandeln der Kommunen sei Lucha eingeschwenkt und habe zusätzliche Mittel freigegeben. Von einer gezielten Strukturpolitik könne keine Rede sein. Die Krankenhausgesellschaft ist grundsätzlich zufrieden. Sie verweist aber darauf, dass es weiterhin einen Sanierungsstau von 600 Millionen Euro an den Kliniken im Land gebe.