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Krise

Klinsmann und Kretschmann wünschen sich offene Gesellschaft

San Francisco / Lesedauer: 4 min

Treffen sich zwei Schwaben in den USA: Winfried Kretschmann und Jürgen Klinsmann plaudern über Integration, Mesut Özil - und wieso "Klinsi" auf deutsche Brötchen in den USA nicht verzichten muss.
Veröffentlicht:17.09.2018, 07:13

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Seit mehr als 20 Jahren wohnt Jürgen Klinsmann in Kalifornien. „Wenn die Frage nach Heimat kommt, kommt spontan aus dem Mund Stuttgart“, sagt er am Sonntag (Ortszeit) in San Francisco. Und die Zunge in seinem Mund schlägt noch immer eindeutig schwäbisch. Er soll mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) über Integration und Heimat sprechen - und das geht natürlich nicht, ohne die Debatte um Mesut Özil zu sezieren.

Da sitzt er, im Raum Franciscan des Hotels Park Central. Die kalifornische Sonne hat Klinsmann offenbar nicht geschadet - er sieht noch immer genauso aus wie zu der Zeit, als ganz Deutschland mit ihm als Nationaltrainer 2006 das Sommermärchen träumte. Strahlendes Lächeln, lässige Klamotten, Turnschuhe. Gerne möchte die Delegation um Kretschmann hören, was Klinsmann, der Weltenbummler mit schwäbischem Herz, über Integration und Heimat zu sagen hat. Landesminister, Parlamentarier, Unternehmer und Journalisten wollen ihn reden hören. Es dauert 20 Minuten, bis er die ersten Worte sprechen darf. Denn zunächst gibt Hans Ulrich Gumbrecht, kürzlich emeritierter Professor der kalifornischen Stanford Universität, eine Abhandlung über die Herkunft des Begriffes Heimat. Er soll das Zwiegespräch moderieren - und füllt die Stunde letztlich zur Hälfte mit eigenen Ausführungen.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann vor dem Rathaus in San Francisco

Einiges darf Klinsmann - trotz Unterbrechungen - aber doch sagen. Für ihn ist Heimat in erster Linie ein Gefühl der Zugehörigkeit - zu einem Ort, zu einer Nachbarschaft, wie er sagt. Und das ist eben seit Jahrzehnten Orange County in Kalifornien , wo er mit seiner Frau Debbie nahe Los Angeles lebt und die beiden Kinder aufgewachsen sind. „Es gibt keinen schöneren Flecken als Kalifornien, wo man ständig im Jetzt und im Tomorrow lebt“, sagt Klinsmann. Selbst sein Tomorrow, also das Morgen, klingt ein bisschen nasal-schwäbisch. „Ich bin durch und durch Schwabe.“

Jürgen Klinsmann

Wie sein Gesprächspartner Kretschmann betont Klinsmann, dass die Herkunft prägt: „Man bleibt immer dem Flecken verbunden, emotional, wo man hergekommen ist.“ Und natürlich den Menschen. Deshalb fliegt Klinsmann auch mindestens einmal im Jahr in die Stuttgarter Heimat. „Ich geh jedes Jahr mit meinen Jugendfreunden zum Binokeln ins Montafon“, verrät Klinsmann.

Und natürlich geht es bei der Frage nach Heimat und Integration irgendwann um Mesut Özil. Um dessen Foto mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, um die vergeigte Weltmeisterschaft in Russland und wie Özil viel davon angelastet wurde. Um die harten Gefechte in Deutschland, ob ein Nationalspieler sich mehr als einem Land zugehörig fühlen darf.

Mesut Özil hatte sich Mitte Mai mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan getroffen. Foto: Pool Presdential Press Service/AP

Klare Haltung von Klinsmann: „Man muss es den Familien überlassen. Da hat man nicht das Recht sich einzumischen, wie sie ihre Wurzeln leben.“ Klinsmann selbst hat die doppelte Staatsbürgerschaft, hat in den fünf Jahren als Nationaltrainer der US-Fußballmannschaft bis 2016 sehr viele Spieler mit zwei Pässen trainiert. „Ich wurde ständig begleitet von dem Thema, was für einen Trainer wundervoll ist - zu sehen, wie die Familien ihre Zugehörigkeit leben.“

Die beiden Schwaben sind sich einig: Das deutsche Sommermärchen ist ausgeträumt. Kretschmann spricht von einem spielerischen, offenen Patriotismus, den die Deutschen 2006 in Schwarz-Rot-Gold von ihren Häusern wehen ließen und ihre Autorückspiegel damit verkleideten. „Das ist etwas, das ich außerordentlich sympathisch fand.“

Und genau das sei damals auch sein Wunsch gewesen, ergänzt Klinsmann: „Jetzt zeigen wir der Welt mal das neue Deutschland“ - offen und multikulturell. Doch der Wind habe sich gedreht, so Kretschmann. „Jetzt ist das Leichte wirklich weg, jetzt geht es um Ausgrenzung.“ Die schwere Krise, in der Europa stecke, das Erstarken der Rechtspopulisten, von dem Kretschmann spricht, werde auch in den USA ganz genau beobachtet, erklärt Klinsmann. „Wir unterschätzen uns selbst ein bisschen“, sagt der Wahl-Kalifornier. Vielleicht könne der Sport helfen, als Brückenbauer. „Sport verbindet.“

Kulinarisch muss der Bäckerssohn seine schwäbische Heimat nicht allzu sehr vermissen, sagt Klinsmann. Schließlich gebe es auch in seiner Wahlheimat Bäckereien, die gutes Brot und Brötchen nach deutscher Machart kreirern. Und ein deutsches Auto fahre er auch - made in Stuttgart , versteht sich. Die Veranstaltung soll sich übrigens in Stuttgart beim Klinsmanns nächstem Heimatbesuch wiederholen - dann vor größerem Publikum und mit einem anderen Moderatoren.