StartseiteRegionalBaden-WürttembergSo begründet das Gericht das Mordurteil gegen Hussein K.

Mordurteil

So begründet das Gericht das Mordurteil gegen Hussein K.

Freiburg / Lesedauer: 8 min

Die Vorsitzende Richterin Kathrin Schenk verurteilt Hussein K. für den Mord an einer Freiburger Studentin zu lebenslanger Haft - und attestiert ihm Abartigkeit.
Veröffentlicht:22.03.2018, 20:53

Von:
Artikel teilen:

In sich zusammengesunken sitzt Hussein K. am Donnerstagmorgen auf der Anklagebank im Freiburger Landgericht. Das behaarte Kinn des schwarz gekleideten afghanischen Flüchtlings ist auf die Brust gesunken. Immer wieder reibt er sich die Augen, verzieht das bleiche Gesicht. Es scheint, als weine der in Untersuchungshaft korpulent gewordene Mann, der von sich behauptet, als Minderjähriger nach Deutschland gekommen zu sein.

Vielleicht ist ihm klar geworden, dass es mit Freiheit für viele Jahre nichts mehr wird – eventuell sogar nie wieder. Lebenslange Haft wegen des Mordes an der Medizinstudentin Maria L. und deren „besonders schwere Vergewaltigung“ hat das Schwurgericht geurteilt. Aber nicht nur das alleine. „Die besondere Schwere der Schuld ist erwiesen“, attestiert die Vorsitzende Richterin Kathrin Schenk . „Sicherungsverwahrung bleibt vorbehalten.“

Die Zuschauer klatschen

Auf den Zuschauerrängen klatschen einige ältere Leute spontan Beifall. Schenk wirft ihnen einen tadelnden Blick zu. Das Urteil scheint die Gefühlslage der Beifallklatscher zu treffen. Elisabeth Wagner gehört zu dieser Gruppe. Sie hat schon zuvor getönt: „Der darf nie mehr rauskommen. So jemand muss von der Bildfläche verschwinden.“ Aber auch stillere Zeitgenossen stoßen ins selbe Horn. Vor der Urteilsverkündung ab 9.30 Uhr hat es genug Zeit für Gespräche mit Prozessbesuchern gegeben. Die ersten haben sich bereits drei Stunden zuvor in die Schlange vor der noch verschlossenen Landgerichtstür eingereiht.

In der frühmorgendlichen Kälte sagt etwa die fröstelnde Rentnerin Rita Haberstroh: „Alles andere als lebenslänglich mit Sicherungsverwahrung wäre inakzeptabel.“ Ihr Begleiter Arnold Gruninger betont, „nur eine äußerst harte Strafe ist erträglich“. Die Tat habe Freiburg verändert. Seitdem würden sich viele Frauen nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße trauen.

Ob dies so ist, lässt sich nicht allgemeingültig abklären. Offensichtlich ist aber, dass der Mord am 16. Oktober 2016 weite Kreise gezogen hat – jedenfalls weitere als jener Fall eines rumänischen Fernfahrers. Er hatte seinerzeit im Spätherbst beim nahen Endingen eine Joggerin vergewaltigt und ermordet. Das Urteil fiel vergangenen Dezember: Lebenslänglich mit Sicherungsverwahrung. Bei dieser Tat blieb das Interesse jedoch meist regional begrenzt.

Anders entwickelte sich die Aufmerksamkeit im Fall der Studentin Maria L. Nachdem klar geworden war, dass ein Asylbewerber dahinter steckt, der zudem noch mit der großen Flüchtlingsbewegung nach dem Spätsommer 2015 ins Land kam, wurde ihr Schicksal politisiert. Die örtliche AfD meldete sich zuerst und machte die Asylpolitik von Kanzlerin Angela Merkel verantwortlich.

Brutalität des Verbrechens bewegt

Anhänger dieser politischen Richtung sind auch am Donnerstag zum Demonstrieren vor dem Landgericht aufmarschiert – gerade mal ein zwölf Köpfe starkes Fähnlein. Es blieb trotz seiner megafonverstärkten Worte weitgehend unbeachtet. In Gesprächen mit Gerichtsbesuchern ergibt sich, dass zwar eine harte Justiz gefordert wird, eine politische Instrumentalisierung hingegen auf wenig Verständnis stößt: „Man muss doch erst an das Leid der Eltern denken. Da verbietet sich doch so etwas“, erklärt Klaus Meininger, der bei der Urteilsverkündung ebenfalls klatschte.

Ihn bewegt vor allem die Brutalität des Verbrechens. Richterin Schenk beschreibt in der Urteilsbegründung nochmals, was nach Ansicht des Gerichts in der Oktobernacht geschah. Demnach trieb sich Hussein K. zuerst in der verrufenen Freiburger „Sonderbar“ herum. Er soll Alkohol getrunken und Haschisch geraucht haben. Einem Mann bot der Afghane gegen Geld sexuelle Dienste an, heißt es in einer Zeugenaussage. Des Weiteren seien von ihm an diesem Abend zwei Frauen belästigt worden, berichtet Schenk.

Danach entwickelte sich das Geschehen rasch in Richtung Tat. Gegen 2.10 Uhr habe sich Hussein K. laut Urteilsverkündung beim Fußballstadion am Flüsschen Dreisam herumgedrückt, einer nächtens einsamen Gegend. Um 2.55 Uhr sei dort Maria L. mit dem Fahrrad auf dem Heimweg von einer Studentenparty vorbeigekommen. Das Gericht hält es für erwiesen, dass Hussein K. die zierliche Frau „zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs“ attackierte. Er soll sie vom Rad gerissen, bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und dann stückweise entkleidet haben, um sich an ihr zu vergehen. Der Mann muss völlig enthemmt gewesen sein.

Verbrechen auf Korfu

Für Richterin Schenk ging es folgendermaßen weiter. Es sei zu „einem Verdeckungsmord“ gekommen. Hussein K. habe sein bewusstloses Opfer mit dem Gesicht nach unten ins flache Wasser der Dreisam gelegt. „Maria L. sollte sterben, damit er als Täter unentdeckt bleibt“, sagt die Richterin.

Dieser Aspekt hatte bei der Urteilsfindung ein erhebliches Gewicht. Hier kommt das Verbrechen ins Spiel, das Hussein K. 2013 auf der griechischen Insel Korfu begangen hat. Er wollte damals offenbar abends auf einer Strandpromenade die Handtasche einer jungen Frau stehlen. Laut Schenk sei aber ein Auto vorbeigekommen. Hussein K. habe seine Entdeckung befürchtet und deshalb die Frau über ein Geländer hinweg die Klippe hinuntergeworfen – zehn Meter tief. „Er hat ihren Tod in Kauf genommen, um selber davon zu kommen“, meint die Richterin.

Fatale Fehler in Griechenland

In Griechenland wurde Hussein K. daraufhin zu zehn Jahren Haft verurteilt. Wobei er nach gut zwei Jahren gegen Auflagen freikam. Doch die Auflagen interessierten ihn nicht. Er setzte sich nach Deutschland ab. Schenk folgert, dass die Strafe den Afghanen wohl nicht beeindruckt habe – denn schließlich sei es ja zur tödlichen Verdeckungstat an der Dreisam gekommen. Das Gericht schließt sich aus diesem Grund dem forensischen Gutachter Hartmut Pleines an. Dieser hatte Hussein K. als Person mit psychopathischen Zügen beschrieben. Er sei darüber hinaus „ausschließlich selbstbezogen“ und dazu noch manipulativ. Letzteres heißt, er gebe sich nach außen hin so, wie es sich für ihn am besten gestalte.

Richterin Schenk wirft dem Verurteilten dann auch vor, er habe sich auf eine Tat im Alkohol- und Drogenrausch hinausreden wollen – mit der Chance, eine mildere Strafe zu erhalten. Sie hält ihn für völlig unfähig, „Mitgefühl für andere zu zeigen“. Es fallen sogar die Worte „abartig“ und „sadistisch“.

Mit Blick auf die Taten und die Persönlichkeit von Hussein K. kann sich das Gericht noch nicht einmal eine erfolgreiche Therapie vorstellen. Wobei einiges aus dessen Vergangenheit trotz Gerichtsrecherchen unklar bleibt. Er kommt wohl aus der afghanischen Stadt Ghazni. Entgegen seinen ersten Angaben wurde aber sein Vater nicht von den Taliban ermordet. Wie das Gericht festgestellt hat, lebt er in Iran. Hussein K. war wohl zeitweise auch dort. In U-Haft soll er einem Zellengenossen erzählt haben, dass er in Iran bereits vor einigen Jahren ein zwölfjähriges Mädchen vergewaltigt habe. Ein Fall, den das Freiburger Schwurgericht jedoch nicht verifizieren konnte. Entsprechend harsch beklagt Richterin Schenk „die wenig verlässlichen Aussagen“ von Hussein K. Trotz eines Geständnisses sei es letztlich nur mit Hilfe der Polizeiuntersuchungen, durch Gutachten und Zeugenaussagen gelungen, Licht in die Angelegenheit zu bringen.

Besonders zu schaffen machte dem Gericht die Altersfrage. Als Hussein K. am 12. Dezember 2015 in Freiburg einen Asylantrag stellte, gab er an, minderjährig zu sein und unterwegs ohne Angehörige. Worauf ihn das Jugendamt kurz darauf an eine Pflegefamilie überwies. Nach seiner Verhaftung rund ein Jahr später stand nach ersten Verhören aber rasch die Frage im Raum, ob die Altersangabe stimmen kann.

Bei der Tat war Hussein K. volljährig

Der Punkt ist insofern relevant, weil es über die Aburteilung durch das mildere Jugend- oder das härtere Erwachsenenstrafrecht entscheidet. Bis heute kennt das Gericht kein definitives Geburtsjahr. Gutachten inklusive der Untersuchung eines gezogenen Weisheitszahns legen nahe, dass Hussein K. in der ersten Hälfte seines dritten Lebensjahrzehnts steht. Richterin Schenk hält es insofern für erwiesen, dass sein Alter beim Tatzeitpunkt mindestens 18 Jahre betragen hat. Auf eine Festlegung, ob er womöglich bereits 21 Jahre alt gewesen sein könnte, verzichtete sie.

Kein Glaube an eine erfolgreiche Therapie

Ab dieser Altersstufe ist das Erwachsenenstrafrecht anzuwenden. Zwischen 18 und 21 Jahren kann es angewendet werden – vorausgesetzt, der Reifegrad eines Angeklagten lässt es zu. „Wir sehen dies bei Herrn K. nach allen Abwägungen als gegeben an“, erläutert Schenk die Haltung des Gerichts. Unter anderem sei er „zielstrebig“, „dominant“ und besitze eine ausgeprägte „Ich-Stärke“. Damit war der Weg frei zu lebenslänglich und der im Raum stehenden Sicherungsverwahrung. „Aus heutiger Sicht werden Sie eine erhebliche Gefahr für das Leben anderer bleiben, besonders für Frauen“, sagt Schenk dem Verurteilten ins dauerhaft gesenkte Gesicht. Sie erinnert nebenbei die Prozessbeobachter zu deren Beruhigung daran, dass lebenslänglich nicht automatisch bedeutet, nach den üblichen 15 Jahren auf Bewährung freizukommen. Dies sei nur möglich, wenn der Inhaftierte „nicht mehr gefährlich ist“. Durch die Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt bekomme er aber den Anspruch auf eine Therapie.

Schenk selber glaube zwar genauso wenig wie die gesamte Richterbank an der Erfolg einer Therapie. Hussein K. erhalte so aber wenigstens „eine vage Hoffnung“, vielleicht doch irgendwann die Strafe abschwächen zu können. Dies ist nach 24 Verhandlungstagen das Schlusswort. Justizbeamte führen Hussein K. in Fesseln ab. Ob der Fall damit geklärt ist, bleibt ungewiss. Die Verteidigung will in Revision gehen.