StartseiteRegionalBaden-WürttembergIn Neu-Ulm werden neue Medikamente an Versuchspersonen erprobt

Medikament

In Neu-Ulm werden neue Medikamente an Versuchspersonen erprobt

Baden-Württemberg / Lesedauer: 6 min

Für die Pharmaindustrie geht es dabei um viel Geld
Veröffentlicht:31.03.2015, 10:07

Von:
Artikel teilen:

Die Firma Nuvisan liegt mitten im Wohngebiet. An der Ecke gibt es einen Lebensmittelladen und einen Drogeriemarkt. Das Gebäude wirkt unscheinbar: rote Backsteinmauern, viele Parkplätze, kein Zaun. Es ist es ein Ort voller Geheimnisse – und einer, an dem es um sehr viel Geld geht. Was man von außen nicht sieht: Hier werden Tests an Menschen durchgeführt.

Die Nuvisan GmbH ist ein unabhängiges Forschungsinstitut. Ihren Sitz hat sie im Neu-Ulmer Stadtteil Wiley, einem ehemaligen amerikanischen Kasernenareal. Das Unternehmen macht sein Geschäft mit Arzneimittelstudien. Die Medikamente werden aber nicht an Tieren erprobt, sondern an menschlichen Probanden. Aufträge kommen von pharmazeutischen Unternehmen weltweit. Pro Jahr sind es mehr als 20 Studien, die Nuvisan übernimmt.

Cremes gegen Fußpilz werden ebenso getestet wie Blutdrucktabletten oder Hormonspritzen. Neue Medikamente sind darunter, aber auch sogenannte „Generika“, also Nachahmerpräparate, die bereits etablierte Medikamente kopieren. Was genau erforscht wird und in welcher Phase sich eine Studie befindet, bleibt geheim. Denn die Untersuchungsdetails hält Nuvisan während laufender Studien unter Verschluss, erst bei Marktzulassung des Medikaments werden die Ergebnisse öffentlich gemacht.

„Ich kann und darf wirklich keine Kundennamen nennen“, erklärt Ilja Weber . Bei der Firma Nuvisan leitet er seit einem Jahr als Projektmanager die Abteilung „Frühklinische Untersuchungen“. Weber ist Anfang 40, hat physikalische Chemie studiert und war in die Studien zum Grippemittel Tamiflu involviert. Wenn er über seine Arbeit spricht, benutzt er Fachbegriffe, die ein Laie nicht versteht. Sein Büro bekommen Besucher nicht zu sehen. „Aus Sicherheitsgründen“, sagt Weber. Gäste empfängt er ersatzweise im Foyer.

Verschwiegenheit bei Probanden

Ein Gespräch mit Probanden ist nur schwer zu bekommen. Die einen wollen nichts sagen, die anderen nicht erkannt werden. Doch wer letztlich plaudert, können auch die Forschungsinstitute nicht umfassend kontrollieren. Eine Verschwiegenheitsklausel gibt es nicht.

Lothar Wiesmiller aus Krumbach spricht gerne über seinen Nebenjob als Proband. In dem Geschäft ist er schon ein alter Hase. Vor 18 Jahren hat der 53-Jährige das erste Mal an einer Studie teilgenommen. Mehr als 25 Studien hat er mittlerweile mitgemacht. Die Nuvisan-Mitarbeiter nennen ihn nur noch „Loddl“. So vertraut ist man schon.

Wiesmiller arbeitet als Fahrzeugpfleger. Das Geld, das ein Proband bekommt und im drei- bis vierstelligen Bereich liegt, konnte er immer gut gebrauchen. „Andere gehen ins Dschungelcamp, und ich mache Studien“, scherzt Wiesmiller. Als Versuchskaninchen sieht er sich nicht. „Man wird im Voraus doch über alles aufgeklärt und die ganze Zeit überwacht“, sagt er. „Außerdem lernt man viele interessante Leute kennen“, meint der 53-Jährige. Ganz normale Hausfrauen und Studenten habe er getroffen, aber auch einen ehemaligen Bundeswehrpiloten und einen Schlangenzüchter.

Die Entwicklung eines Medikaments dauert im Durchschnitt zwischen zwölf und 15 Jahre und kostet rund 1,2 Milliarden Euro. Ungefähr die Hälfte der Zeit fließt in die Studien. „Klar haben die Pharmaunternehmen da Angst, dass die Konkurrenz von ihren Studien Wind bekommen könnte“, erklärt Ilja Weber. „Wenn bei uns zwei Kunden zur selben Zeit einen Termin haben, dann achten wir darauf, dass sie sich auf dem Gang nicht begegnen“, sagt Weber. Um den Mitbewerbern zuvorzukommen, hätten die Arzneimittelhersteller nur eine Chance: Sie müssen schnell ein Patent anmelden und ihr Medikament auf den Markt bringen. „Denn jeder Tag, an dem ein Medikament verkauft wird, bringt Geld“, so Weber.

Tests in vier Phasen

Die klinischen Studien sind in vier Phasen gegliedert: Bei der Phase 1 wird ein Wirkstoff an gesunden Probanden auf seine Verträglichkeit und sein Verhalten im Körper getestet. Dies geschieht in extra dafür eingerichteten klinischen Forschungszentren. Ist die Verträglichkeit bestätigt und kommt es zu keinen inakzeptablen Nebenwirkungen, dann beginnt die Phase 2 mit „echten“ Patienten. Diese Phase wird wie die folgenden meist an Universitätskliniken durchgeführt. Hier geht es um die Wirksamkeit eines Medikamentes und darum, ob es zur Behandlung von Krankheiten geeignet ist. Außerdem gibt es in dieser Phase eine Vergleichsgruppe, die ein Placebo verabreicht bekommt.

In den Phasen 3 und 4, die unter nahezu alltäglichen Bedingungen stattfinden, erfährt das Medikament einen Feinschliff. Zum Beispiel wird die Dosierung verbessert und die Wechselwirkung mit anderen Medikamenten überprüft. Damit ein Medikament für den Markt zugelassen werden kann, muss es alle Studienphasen erfolgreich durchlaufen haben. Nur bei Notfällen – wie der Ebola-Epidemie – ist es möglich, den Zulassungsweg zu verkürzen.

Die Firma Nuvisan hat sich auf Studien der Phase 1 spezialisiert. Das hausinterne Forschungszentrum ist ausgestattet wie eine Klinik – mit Überwachungsmonitoren, Krankenhausbetten und einem Labor. Den Probanden wird die Prüfsubstanz je nach Studie stationär oder ambulant verabreicht. Die Studiendauer reicht von wenigen Tagen bis zu vier Wochen. Die körperliche Verfassung der Probanden wird währenddessen beobachtet, untersucht und dokumentiert. Es gibt eine umfassende Voruntersuchung, bei der die Tauglichkeit der Studienteilnehmer überprüft wird, und eine Abschlussuntersuchung, um etwaige gesundheitliche Veränderungen festzustellen.

Bundesämter geben Zustimmung

Das muss auch so sein. Denn die gesetzlichen Vorschriften für Arzneimittelstudien sind akribisch ausformuliert. Als Grundlage dient die Deklaration von Helsinki, eine Schrift zur ärztlichen Ethik. Derzufolge dürfen Probanden keinem unverhältnismäßigen Risiko ausgesetzt werden. Ist Gefahr im Verzug, muss eine Studie sofort abgebrochen werden. „Seit dem Contergan-Skandal sind die Studien professionalisiert worden“, erläutert Ilja Weber. Wenn doch etwas passiert, haftet eine Probandenversicherung mit bis zu fünf Millionen Euro. Die Verantwortlichkeit hierfür liegt bei den Pharmaunternehmen.

Bevor ein Wirkstoff am Menschen getestet wird, muss die Studie von der Ethikkommission der Landesärztekammer und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beziehungsweise dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) genehmigt werden. Das BfArM ist bei Arzneimitteln zuständig, das PEI bei Impfstoffen. Das Studiendesign, das die Pharmaunternehmen vorlegen, nehmen sie genau unter die Lupe.

„Bei der Genehmigung einer Studie steht die Sicherheit der Patienten im Vordergrund“, verdeutlicht Maik Pommer vom BfArM. Wie bei der Arzneimittelzulassung müssten erwünschte Wirkungen und mögliche Risiken in einem positiven Verhältnis stehen. Kommt es beispielsweise bei einem Hustensaft zu Hautausschlägen, sind diese als Nebenwirkungen nicht hinnehmbar. Wenn dieselben Ausschläge dagegen bei Medikamenten gegen Krebs auftreten, wird das eher akzeptiert, weil der Nutzen überwiegt.

Hat das BfArM Einwände, muss das betroffene Unternehmen seine Studie korrigieren. „Im Durchschnitt muss die Hälfte aller Studien nachgebessert werden“, sagt Pommer. Seit dem Jahr 2004 hat das BfArM rund 10000 Studien genehmigt, also 1000jährlich. Zum Vergleich: Eine Zulassung bekommen 20 bis 30 Medikamente pro Jahr – und nur die bringen ihren Herstellern Geld ein.

Der FC Bayern ist immer dabei

Dauer-Proband Lothar Wiesmiller denkt indes schon an seine nächste Studienteilnahme. Planung ist hier alles. „Ich muss die Nachlieferung meiner Zeitung beantragen und koordinieren, wer mich wann besuchen kommt“, erklärt Wiesmiller lachend. Auf gar keinen Fall dürfe er seine Bettwäsche vergessen: „Ich bringe immer meinen FC-Bayern-Bettbezug mit, dann fühle ich mich richtig heimisch.“