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Medizinervereinigung

„Ich kann mein Essen selber bezahlen“

Baden-Württemberg / Lesedauer: 5 min

Der Ravensburger Arzt Jochen Welte will keine Geschenke von der Pharmaindustrie haben – auch um sich seine Individualität zu bewahren
Veröffentlicht:30.01.2018, 19:06

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Der Ravensburger Kinderarzt Jochen Welte ist Mitglied der Medizinervereinigung Mezis (Mein Essen zahl’ ich selbst – Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte). Erich Nyffenegger hat er im Interview erklärt, warum er von der Pharmaindustrie keine Geschenke annimmt und ihre Vertreter hin und wieder höflich aber bestimmt bittet, seine Praxis zu verlassen.

Herr Welte, sind Sie als Mitglied von Mezis in Ihrer Zunft ein harmloser Exot oder ein Nestbeschmutzer?

Ich werde sicher als Exot wahrgenommen, weil ich ja auch eine etwas andere medizinische Richtung vertrete und neben der Schulmedizin auf Homöopathie und Naturheilverfahren setze. Diese kleinen naturheilkundlich orientierten Firmen zahlen sowieso kein Essen. Die sind auch nicht sehr reich und einflussreich. Meine Fortbildung habe ich immer schon selbst bezahlt. Das Problem ist, dass der Mainstream der medikamentösen Behandlung von Pharmafirmen beeinflusst wird. Dieser Einfluss ist sehr stark zu spüren, sodass ich als Homöopath und naturheilkundlich tätiger Arzt doch hin und wieder als Nestbeschmutzer erscheinen mag.

Welche Avancen der Pharmabranche haben Sie erlebt?

Mir ist schon vieles begegnet: Rezeptblöcke, Bücher, Einrichtungsgegenstände. Dass ich das alles abgelehnt habe, war zunächst gar nicht so sehr der Gedanke der Korruption. Meine Praxis sollte aussehen wie meine eigene Praxis und nicht wie ein Ableger der Arzneimittelfirmen. Ein Beispiel bleibt mir präsent: Es ging darum, ganz banal eine Messlatte aufzuhängen, mit der man die Größe der Kinder misst. Die habe ich mir einfach in einem Geschäft gekauft, weil ich die sehr hübsch fand. Natürlich hat mir eine bekannte Firma ihre Karton-Messlatte in Form einer Giraffe angeboten. Ich habe die Giraffe zunächst nicht wegen einem Korruptionsaspekt abgelehnt, sondern weil ich so einen Verflachungseffekt sehe. Und ich will kein Werbeträger irgendeiner Firma sein. Und es wäre schade, wenn jede Praxis irgendwann gleich aussähe.

Wo fängt bei Ihnen Beeinflussung oder Korruption an?

Ich will einfach nichts geschenkt haben. Ich finde, wir Ärzte verdienen unseren Lebensunterhalt und brauchen keine Gratis-Kugelschreiber, die ja sowieso nicht gut schreiben. Und ich kann mein Essen auch selber bezahlen. Korruption ist ja oft etwas sehr Indirektes. Zum Beispiel Anwendungsbeobachtungen. Da wird man als Arzt gebauchpinselt, bestimmte Medikamente einzusetzen, angeblich um deren Wirkung am Patienten zu beobachten. Man bekommt eine Aufwandsentschädigung und lässt sich einbinden. Dabei ist der einzige Sinn dieser angeblichen Studie, ein Medikament langfristig bevorzugt zu verschreiben. Dass Problem dabei ist, dass man dann nicht evidenz-basiert verschreibt, sondern eben Pharmaindustrie-basiert. Ärzte werden mit solchen Anwendungsstudien meines Erachtens nur in eine bestimmte Richtung gelenkt.

Nützen solche Studien nicht dem medizinischen Fortschritt?

Ich versuche aus meiner Sicht eine pragmatische und naturheilkundlich unterstützte Medizin zu machen, mit allen modernen Methoden, für die ich mich entscheiden kann. Aber um ein Beispiel zu nennen: Ich verordne in bestimmten Fällen immer noch das gleiche Antibiotikum wie zu Beginn meiner ärztlichen Praxis. Weil ich mir nicht habe einreden lassen, dass man heutzutage etwas anderes nehmen soll. Nur weil alte Medikamente vergessen werden, heißt das doch nicht, dass sie schlechter wirken. Nehmen Sie zum Beispiel Paracetamol. Irgendwann lief das Patent dafür aus und der neue Wirkstoff Nurofen ist sehr gepusht worden, obwohl es erst viel kürzer untersucht worden ist und man viel länger Erfahrung mit Paracetamol hatte und dies viel besser kannte. Aber die Kultur der Medizin ist schon ein bisschen pharmazeutisch diktiert.

Bekommen Sie in Ihrer Praxis oft Besuch von Pharmavertretern?

Es hat sich bereinigt – und ich lebe sehr gut damit. Ich bleibe in meiner Praxis mit meiner Individualität erhalten, wenn ich Kugelschreiber und Ähnliches ablehne. Wir Ärzte sind aus Pharmakonzernsicht die End-Verschreiber. Wenn man uns überzeugt hat, sind wir die Theke für ihre Medikamente. Diese Theke gilt es zu bedienen. Die Besuche der Vertreter haben sich bei mir drastisch reduziert. Und wenn einer kommt, sage ich ihm höflich, dass er seine Sachen gerne wieder mitnehmen kann. Ich finde übrigens, da ist auch viel Müll dabei – jede Menge Infoblätter. Inzwischen kommen nicht mehr viele Vertreter in meine Praxis . Ein Apotheker hat mir einmal gesagt, dass die Pharmakonzerne die Umsätze jedes Arztes sehr genau prüfen können und anhand der umliegenden Apotheken feststellen, ob sich der Besuch ihres Vertreters auf die Verschreibungen ihrer Produkte positiv ausgewirkt hat. In meinem Fall sind sie weitgehend von selber verschwunden.

Ärzte ohne Medikamente geht nicht. Wie sieht aus Ihrer Sicht das ideale Verhältnis zwischen Medizin und Pharmaindustrie aus?

Wir brauchen diese Industrie, da bin ich mir sicher. Das Problem ist der monetäre Aspekt, weil die Firmen kapitalorientiert sind. Sie sind an der Börse vertreten und ihren Aktionären Rechenschaft schuldig. Doch Medikamente sollen in erster Linie zu Gesundheit verhelfen. Nicht alles, was Gewinn macht, macht auch gesund! Das ist meine Hauptsorge. Darum weiß ich nicht, ob Studien, die gesponsert werden, in eine Richtung laufen können, wo kein Geld verdient wird. Nicht patentierbare Stoffe wie Vitamine wären für die medizinische Forschung vielversprechend – für die Industrie sind sie aber uninteressant. Da steckt kein Geld drin. Darum geht die Studienlage in die Richtung, die die Pharmaindustrie will. Wenn man den Gelddruck wegnehmen könnte, dann käme sicher mehr Gutes dabei raus.