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Ärztemangel

Gesundheitsämter schlagen wegen Ärztemangel in Baden-Württemberg Alarm

Stuttgart / Lesedauer: 4 min

15 Prozent der Arztstellen sind nicht besetzt – Expertin warnt vor Organisationsversagen
Veröffentlicht:18.10.2018, 19:28

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Sie kämpfen gegen multiresistente Keime in Krankenhäusern und schreiten ein, bevor sich gefährliche Infektionen an einem Ort ausbreiten: Ärzte an Gesundheitsämtern nehmen nicht einzelne Patienten, sondern die Gesellschaft in den Blick. Dieser Aufgabe könne manche Behörde wegen Ärztemangels kaum mehr nachkommen, sagt Brigitte Joggerst , Vorsitzende des baden-württembergischen Ärzteverbands des öffentlichen Gesundheitsdienstes. „Wenn sich im Laufe der nächten Jahre nichts ändert, halte ich auch ein Organisationsversagen für möglich.“

15 Prozent aller Arztstellen in den 38 Gesundheitsämtern im Land sind nicht besetzt. Eine Pensionierungswelle steht bevor: Laut Joggerst werden in den kommenden eineinhalb Jahren 16 Amtsleiter oder Stellvertreter in den Ruhestand gehen. „Unser Problem ist, wir kriegen niemanden mehr“, sagt sie. „Wenn die Leute offen dafür sind, sehen sie, wie spannend der Beruf ist.“ Sie und ihre Kollegen wirken etwa in Schulen darauf hin, Softdrinks wegen des Zuckers aus dem Angebot zu nehmen. Sie bringen sich in der Stadtplanung ein: Denn wenn Orte per Rad und zu Fuß gut zu erschließen seien, bewegen sich die Menschen mehr – das senke die Gefahr, an Diabetes zu erkranken.

Ärzte verlören das Interesse aber meist sofort, wenn es ums Geld geht. Im Krankenhaus und in Reha-Kliniken, beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen oder bei den Rentenversicherungen verdienen Ärzte 1000 Euro brutto mehr, sagt sie. „Die Gehaltssituation ist ein ganz wichtiger Punkt.“

„Die Situation ist alarmierend“, sagt auch Alexis von Komorowski, Hauptgeschäftsführer des Landkreistags. In Gesundheitsämtern auf dem Land sei der Notstand besonders groß – etwa im Schwarzwald und auf der Schwäbischen Alb.

Ärzte im Ruhestand springen ein

Den Mangel bekommen zum Teil auch die die Behörden in der Region zu spüren. Im Gesundheitsamt Sigmaringen etwa sind in den vergangenen sechs Jahren vier Ärzte in Ruhestand gegangen. „Die Stellenbesetzung war sehr schwierig“, erklärt ein Sprecher. Geeignetes Personal sei oft erst nach langer Suche und mehrfacher Ausschreibung gefunden worden. Auf der Suche nach weiteren Ärzten für die Landeserstaufnahmeeinrichtung in Sigmaringen behalf sich das Landratsamt auch mit externen Ärzten, die dafür ein Honorar bekamen. Vorübergehend wurden auch Klinikärzte beschäftigt, die bereits im Ruhestand waren. Derzeit sei zwar nur eine halbe Stelle unbesetzt, erklärt der Sprecher. Aber die nächste Ruhestandswelle sei schon in Sicht: in acht bis zehn Jahren.

Die Gesundheitsämter sind zwar bei den Landratsämtern angesiedelt, verantwortlich ist aber Sozialminister Manfred Lucha (Grüne). Er hat auch eine Projektgruppe zum Thema eingesetzt – von Komorowski vom Landkreistag kritisiert aber, dass Ergebnisse bis heute ausstünden. „Wir brauchen jetzt dringend ein Konzept mit kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Maßnahmen.“ Entsprechende Vorschläge habe der Landkreistag frühzeitig eingebracht.

Zu diesen gehöre unter anderem eine bessere Entlohnung der Ärzte. „Wir haben Minister Lucha gebeten, dafür das Besoldungsrecht voll auszuschöpfen“, sagt von Komorowski. Rund zwei Drittel der etwa 400 Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst sind verbeamtet. Sie sollen zum Berufsstart gleich in einer höheren Besoldungsgruppe als bisher einsortiert werden. Später sollen sie Löhne bekommen, die eigentlich nur für Führungskräfte gedacht sind. Entsprechend sollen die angestellten Ärzte bezahlt werden. Die Gesundheitsminister der Länder – auch Lucha – haben 2016 gemeinsam beschlossen, die Löhne der Ärzte im Gesundheitsdienst denen etwa an Krankenhäusern anzugleichen. Von Komorowski mahnt zudem an, bei der Vergabe von Medizin-Studienplätzen eine Quote für diejenigen einzuführen, die später im öffentlichen Dienst tätig sein wollen.

Eine Sprecherin von Minister Lucha verweist auf Anfrage auf die Projektgruppe. Und sie betont, dass das Ministerium die bessere Bezahlung ausdrücklich befürworte. Dafür brauche es aber zunächst einen Beschluss der Tarifpartner. Die verlaufen aber seit zehn Jahren immer wieder im Sande, kritisiert Joggerst. Deshalb ruft ihr Verband zu einer Kundgebung am Mittwoch in Fellbach auf, wo Minister Lucha zur jährlichen Gesundheitskonferenz geladen hat. Von Komorowski erinnert Lucha an den grün-schwarzen Koalitionsvertrag. Darin haben sich die Regierungspartner im Frühjahr 2016 dazu verpflichtet, „den öffentlichen Gesundheitsdienst sowie das Landesgesundheitsamt weiter (zu) stärken“. „Jetzt ist schon Halbzeit“, sagt von Komorowski, „die Zeit tickt.“