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Handwerkstag

Für die Energiewende fehlt das Personal

Stuttgart / Lesedauer: 5 min

Verbände fordern vom Land mehr Anstrengungen für die berufliche Bildung
Veröffentlicht:08.09.2022, 06:49

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Scheitert die Energiewende am Personalmangel? Laut Baden-Württembergischem Handwerkstag (BWHT) gibt es jedenfalls viel zu wenige Jugendliche, die sich auf Ausbildungsplätze in Klimaberufen bewerben. „Die Sorge ist groß“, sagt etwa BWHT-Bildungsreferent Patrick Wolf .

„Vor zehn Jahren hat noch niemand davon gesprochen, das hat die Politik ein Stück weit verschlafen.“ Mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) und dem Berufschullehrerverband (BLV) hat er am Mittwoch in Stuttgart erklärt, wie die Landesregierung gegensteuern sollte. Andere nehmen aber auch die Betriebe in die Pflicht, an ihrem Image zu feilen. Ein Überblick:

Wie ist die Lage?

Andrea Bosch spricht von einem rätselhaften Phänomen. Während der Pandemiejahre 2020 und 2021 sei die Zahl der Azubis im Land um 15 bis 20 Prozent zurückgegangen, so die Geschäftsführerin Berufliche Bildung und Fachkräfte der IHK Stuttgart. Die Zahl der Studienanfänger sei aber ebenso gesunken. „Wir fragen uns alle, wo sind die jungen Menschen?“

Der Trend habe sich dieses Jahr fortgesetzt. In Zahlen: Im Vergleich zu 2021 gab es 2020 landesweit 7,8 Prozent mehr Ausbildungsplätze (rund 75 200), aber 3,1 Prozent weniger Bewerber (etwa 47 200). Im Juli waren noch fast 36 000 Stellen unbesetzt. „Die Schülerzahlen gehen nicht so weit zurück, dass es die Differenz erklären könnte“, so Bosch.

Warum ist das problematisch?

Aus klassischen Handwerksberufen wie Elektriker, Mechatroniker, Installateur und Dachdecker sind Klimaberufe geworden. Sie bauen und montieren Photovoltaik- und Winkraftanlagen, reparieren Elektroautos, sanieren Gebäude klimafreundlich und digital vernetzt. Elektriker und Heizungstechniker etwa müssen voneinander lernen, denn dank Wärmepumpe soll elektrisch geheizt werden.

Laut Bundesagentur für Arbeit gibt es in fast all diesen Berufen bundesweit Engpässe. Dabei ist der Bedarf an Fachkräften laut einer Studie, die die Grünen-Bundestagsfraktion in Auftrag gegeben hatte, riesig. Um die Energieziele der Bundesregierung zu erreichen, brauche es bis 2030 zusätzlich 440 000 Fachkräfte, so die Studienautoren.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft kam in einer Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums zu der Erkenntnis, dass im vergangenen Jahr die Fachkräftelücke vor allem beim Handwerk hoch war. Rund 75 500 Stellen für Gesellen und mehr als 7000 für Meister blieben bundesweit unbesetzt. Über alle Berufsgruppen hinweg fehlen laut Prognosen allein in Baden-Württemberg bis 2035 mehr als eine Million Fachkräfte, erklärt IHK-Geschäftsfüherin Bosch.

Hinzu komme laut Wolf vom BWHT, dass rund ein Viertel aller Handwerksbetriebe in den kommenden Jahren vor der Übergabe steht. „Die Klimawende muss gemanagt werden“, betont er.

Wie lässt sich die Lust an einer Ausbildung steigern?

„Ohne Fachkräfte werden wir keine Klimawende, keine Transformation der Wirtschaft hinbekommen“, sagt der BLV-Vorsitzende Thomas Speck. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen verfügt laut nationalem Bildungsbericht inzwischen über die Allgemeine oder die Fachhochschulreife. Mehr als Dreiviertel von ihnen entscheiden sich für ein Studium.

Das gemeinsame Ziel der drei Verbände ist es, die Berufsorientierung noch viel intensiver als bisher an den Schulen zu verankern. Ein Sprecher von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) betont, dass diese bereits fest an den Schulen verankert sei – etwa durch die fächerübergreifende Leitperspektive Berufliche Orientierung und das Fach Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung.

Die Verbände loben dies und begrüßen, dass die Landesregierung im Sommer ihre Anstrengungen zur Beruflichen Orientierung verstärkt hat, etwa durch Praktikumswochen.

Die Verbände fordern nun einen Runden Tisch zur Berufsorientierung, an dem alle relevanten Ministerien, Schulen, Verbände, Gewerkschaften, auch Eltern und Schüler beteiligt werden sollten. „Wir müssen alle gemeinsam überlegen, wie tragen wir das in die Fläche“, sagt Speck. Zudem müsse Berufliche Orientierung tatsächlich fester Bestandteil ab Klasse 5 in allen Schularten sein, erklärt er.

Denn: „Berufliche Orientierung ist wie Lesen, Schreiben und Rechnen unverzichtbare Grundlage.“ Vor allem an Gymnasien gebe es hier noch Nachholbedarf. Nicht überall seien etwa Ausbildungsbotschafter der IHK dort bei Elternabenden erwünscht. Grundsätzlich geht es den drei Verbänden darum, dass die berufliche mit der gleichen Aufmerksamkeit und Wertschätzung behandelt wird wie die akademische Bildung.

Speck lobt hierzu den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion. Sie will im Schulgesetz verankern, dass an Gymnasien als Bildungsziel neben der Studienfähigkeit auch verbindlich die Vorbereitung zur beruflichen Ausbildung vorgegeben wird.

Reicht mehr Information?

Nein, sagt Detlef Sonnabend. Er leitet die Berufsschule an der Richard-Fehrenbach-Gewerbeschule in Freiburg und unterrichtet selbst angehende Anlagenmechaniker – also diejenigen, die Solar-Panele, Pellet-Heizungen und Wärmepumpen bauen sollen. „Es braucht nicht nur Orientierung, sondern auch ein gutes Image“, sagt er und nimmt die Betriebe in die Pflicht.

Im Handwerk verdienten Azubis deutlich weniger als in kaufmännischen Berufen und sollten dafür auch noch am Samstag ran wegen voller Auftragsbücher. Aus demselben Grund versuchten auch viele Betriebe, ihre Azubis vom Unterricht fernzuhalten. „Da gibt es viele schwarze Schafe“, sagt Sonnabend.

Die Klassen für Anlagenmechaniker seien zwar voll – allerdings vorwiegend mit Migranten, denen es oft an grundlegender Vorbildung mangele. Ein Drittel von ihnen breche die Ausbildung ab. „Die 30 Leute pro Klasse sitzen bei mir drin mit glasigen Augen und warten, bis es am Monatsende Geld gibt“, sagt Sonnabend.

Industrie und Kammern müssten aus seiner Sicht Druck auf die Betriebe ausüben, attraktivere Arbeitgeber zu werden. Helfen könnte, den Klassenteiler für Mangelberufe zu senken und die Schüler stärker zu qualifizieren, vor allem auch sprachlich, betont Sonnabend.