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Umweltkatastrophe

Fischesterben: Jagst hat sich noch nicht erholt

Baden-Württemberg / Lesedauer: 10 min

Fischesterben: Jagst hat sich noch nicht erholt
Veröffentlicht:14.08.2016, 19:00

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Vor einem Jahr ist nach einem Brand in Kirchheim mit Düngemitteln verunreinigtes Löschwasser in den Fluss Jagst gelangt - ein großes Fischsterben war die Folge.

Am 23. August 2015 hat Bruno Fischer am Ufer der Jagst gestandene Männer weinen sehen. Es war er Tag nach dem Mühlenbrand in Lobenhausen (Landkreis Schwäbisch Hall). Mit Düngemitteln verunreinigtes Löschwasser war in der Nacht in den Fluss gelangt. Heute, rund ein Jahr nach einer der größten Umweltkatastrophen in Baden-Württemberg seit Jahrzehnten, hat sich der Fluss noch nicht erholt. Doch mittlerweile können einige der Anrainer der Katastrophe wenigstens etwas Positives abgewinnen. Allerdings gibt es auch Streit: um Unglücksursachen, Geld, Vorschriften und Kormorane.

Am Tag des Unglücks trieb die Giftfahne Meter für Meter flussabwärts. Das im Dünger enthaltene Ammoniumnitrat reagierte mit dem Wasser, es bildete sich giftiges Ammoniak. Bereits mehr als 0,5 Milligramm Ammoniak pro Liter sind für viele Fischarten tödlich, der Wert in der Jagst lag zum Teil bei über 14,5 Milligramm.„Wir konnten den Fischen beim Sterben zusehen“, erinnert sich Fischer, Vorsitzender des Naturschutzbunds in Kirchberg. Wo am Tag zuvor noch eine einzigartige Vielfalt an Arten lebte, kochte nun das Wasser. Fische versuchten, an die Oberfläche zu gelangen, um Sauerstoff zu atmen. Raubfische sprangen aus dem Wasser, während kleiner Fische bereits mit dem Bauch nach oben trieben. „Wenn Sie sich jahrelang um ein Gewässer gekümmert haben, dann nimmt Sie so etwas mit“, sagt Fischer. Tagelang barg er mit Hunderten von Helfern entlang der Jagst toten Fisch aus dem Fluss. In der brütenden Hitze holten Freiwillige 20 Tonnen Kadaver aus dem Wasser. „Schon am Geruch konnte man Hundert Meter vorher sagen, wo einer der Container stand. Ich habe jede Nacht von toten Fischen geträumt“, erzählt Fischer.

Zehn Kilometer unterhalb der Mühle starb nach dem Unglück jeder Fisch bis zu 45 Kilometer wurden Tiere getötet, es traten Missbildungen auf. Kleinstlebewesen wie Muscheln oder Krebse überlebten. In einem riesigen Rettungseinsatz sperrten Feuerwehr, technischem Hilfswerk und Fischereiverein Nebenarme ab, um diese vor dem Gift zu schützen. Die Helfer pumpten Wasser aus dem Fluss, um es mit Schläuchen wieder hinein regnen zu lassen und so Sauerstoff ins Wasser zu bringen. „Für uns kam das zu spät“, sagt Fischer. Bis klar war, welche Stoffe ins Wasser gelangt waren, mussten Ergebnisse von Laborproben abgewartet. „Für künftige Fälle wie diesen brauchen wir Einsatzpläne, damit alle Stellen wissen, was sie tun müssen“, sagt Fischer. Diese wollen ab Herbst Landkreisen, Umweltministerium und Regierungspräsidium gemeinsam erarbeiten.

Heute flirren über die Jagst schwarz-blaue Libellen, stellenweise wächst der Fluss fast zu, so stark wuchern Pflanzen. Sowohl Libelle als auch Wasserpflanzen sind Zeichen dafür, dass das Ökosystem Jagst weiter nicht im Gleichgewicht ist. Denn Fische gibt es hier auch ein Jahr nach der Katastrophe kaum. „Im Mai bei der letzten Probe haben wir keinen gefunden“, sagt Fischer. Die Folge: Insekten können sich ungehindert vermehren. Normalerweise fressen Fische 80 Prozent der Mückenlarven, die auf dem Wasser abgelegt werden. Die Überdüngung des Flusses hat zu dem extremen Bewuchs geführt. Es gab bereits Versuche, Fische von anderen Stellen der Jagst umzusiedeln, bislang allerdings wenig erfolgreich. „100 Kilo Fisch vor 20 Fotografen und einem Regierungspräsidenten umzusiedeln, reicht eben nicht“, kritisiert der FDP-Landtagsabgeordnete Friedrich Bullinger. Umweltministerium und Regierungspräsident Wolfgang Reimer (Grüne) lieferten „viel Show, aber wenig Brauchbares“. Die fachliche Begleitung der Renaturierung des Flusses sei zwar gut organisiert. „Aber die Umsiedlung der Fische soll man doch denen überlassen, die sich damit auskennen: den Fischereivereinen“, fordert der FDP-Politiker. Er wirft Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) vor: „Vor der Wahl hat er große Versprechungen gemacht, doch jetzt läuft vieles zu langsam, zu bürokratisch und ohne die nötigen finanziellen Sondermittel des Landes“.

Die Landesregierung hat ein 14 Millionen Euro teures Renaturierungsprogramm aufgelegt. In neu angelegten Biotopen sollen Fische laichen und der Nachwuchs geschützt groß werden, Fischtreppen an Wasserkraftwerken vorbei sind geplant und einiges mehr. 15 konkrete Projekte sind umgesetzt, mehr als 40 weitere folgen ab Herbst. Dennoch: „Es wird zehn, wenn nicht zwanzig Jahre dauern, bis wir wieder den Bestand und die Artenvielfalt haben wie vor dem Unglück“, glaubt Nabu-Mann Fischer. Seltene Tiere wie der Eisvogel, die sich von Fischen ernähren, wandern bereist aus dem Jagsttal ab.

Weiter unten an der Jagst ist die Lage deutlich besser. „Der Fluss hat sich gut erholt“, sagt Arnulf von Eyb , CDU-Landtagsabgeordneter für Hohenlohe - auch, weil man hier mehere Tage Zeit hatte, sich auf die Giftfahne vorzubereiten. Von Eyb ist seit Jahrzehnten Angler und seit April Vorsitzender des 60 000 Mitglieder starken Fischereiverbandes in Baden-Württemberg. Nahe des Schlosses zeigt er mehrere Stellen, an denen Helfer tagelang ausharrten, um die Fische zu retten. „Einer der Retter erzählte mir, er habe in wenigen Tagen zwei Kilo zugenommen, weil Anwohner so viel Kuchen vorbeigebracht haben“, erinnert sich von Eyb. Das ist aus seiner Sicht eine der wenigen positiven Erkenntnisse des Unglücks. Die große Solidarität. Arbeitgebern die ihre Mitarbeiter tagelang frei gaben, damit diese helfen konnten, Werksfeuerwehren, die ausrücken durften, um die Jagst zu retten. Ein weiterer positiver Aspekt: „So viel Öffentlichkeit hatten wo für den Fluss noch nie“, sagt von Eyb. Davon profitiert nicht nur die Gegend, sondern auch die Fischerei, glaubt er. Denn Fischen fehlt der Flauschfaktor. Schuppen statt kuscheligem Fell, starrer Blick statt trauriger Rehaugen, unter Wasser statt auf Wald oder Wiese unterwegs. Deshalb haben Fische keine Lobby wie andere Tiere. Und auch die Angler haben es schwer, wahrgenommen zu werden. Dass es die Fischer waren, die mit ihrem Fachwissen und ihren guten Kontakten vor Ort viel Hilfe leisten konnten, freut von Eyb. Es gehe Anglern ja nicht darum, einfach nur Fisch aus dem Fluss zu ziehen. Sie pflegten die Gewässer und hegten die Fische.

Auf Ortsebene sind Naturschützer und Angler oft einig. Bestes Beispiel ist Bruno Fischer, der nicht nur örtlicher Nabu-Chef ist, sondern auch im Vorstand des Fischereiverein sitzt. Auf Landesebene dagegen streitet man sich gerne, etwa um das Thema Kormorane. Die stören die Angler, weil sie Fische aus dem Fluss fressen. Erst jüngst gab das Regierungspräsidium Stuttgart einige der geschützten Vögel zum Abschuss frei. Den Fischern ist das nicht genug, sie bemängeln, dass die Folgen der Jagst-Katastrophe zu wenig berücksichtigt wurden. Naturschützer dagegen betonen, der Kormoran-Bestand habe sich zwar erholt, müsse aber weiter geschützt werden Bis 2022 dürfen 170 Kormorane getötet werden, maximal 50 pro Jahr. Selbst dem Landratsamt Schwäbisch Hall ist das nicht genug. Die Behörde fordert in einem Brief an das vom Regierungspräsidium Stuttgart ein entschiedeneres Vorgehen gegen die Vögel. Die Wiederansiedlung von Fischen hänge davon ab, inwieweit die Tiere vor ihren natürlichen Feinden geschützt würden — insbesondere vor dem Kormoran, heißt es in einem Brief des Landratsamts an das Regierungspräsidium.

Streit gibt es nicht nur um Vögel. Zwar loben den Zusammenhalt zwischen Bürger, Helfern und Behörden loben sowohl Nabu-Mann Fischer als auch von Eyb. Allerdings endet für ihn die Harmonie beim Geld. Noch ist nicht entschieden, wer die Kosten für den Rettungseinsatz zahlt. Die drei Landkreise Schwäbisch Hall, Hohenlohe und Heilbronn haben beim Regierungspräsidium Stuttgart drei Millionen Euro geltend gemacht. Ein Sprecher des Umweltministeriums in Stuttgart betont, die Ansprüche würden geprüft, man werde sich an geltende Vorschriften halten. In der Landkreisordnung hießt es dazu: Kosten wie diese „werden vom Land dem Landkreis auf Antrag erstattet, soweit nicht von Dritten Ersatz zu erlangen ist“. Sprich: Zunächst prüfen Regierungspräsidium und Landesregierung, ob ein Verursacher des Unglücks für den Schaden haftbar zu machen ist. Das sei auch richtig, man könne dem Steuerzahlern keine Kosten aufbürden, für die jemand anders verantwortlich sei, sagt der Sprecher des Umweltministers. „Man kann den Landkreisen nicht das Risiko überlassen, auf dem Klageweg zum Erfolg zu kommen“ , erklärt dagegen CDU-Abgeordnete von Eyb. Er erwartet ebenso wie sein FDP-Kollege Bullinger, dass das Land hier rasch einspringt.

Die Frage zu klären, wer für die Katastrophe verantwortlich ist, könnte indes dauern. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Ellwangen zum einen gegen einen 21-jährigen, wegen fahrlässiger Brandstiftung. Er soll in der Nähe der Mühle Müll verbrannt haben, der Funkenflug hat dann wohl das Feuer ausgelöst. Zum anderen laufen Ermittlungen wegen Gewässerverunreinigung gegen die Mühlenbetreiber und gegen Unbekannt. Darin gilt es, viele offene Fragen zu klären, die es auch ein Jahr nach dem Unglück noch gibt. Warum lagerte das Düngemittel so nah am Fluss? Warum war ein Abfluss des Löschwasser-Rückhaltebeckens geöffnet, so dass die verseuchte Brühe in die Jagst gelangte? Was passierte mit dem Kissen, dass die Feuerwehr in den offenen Abfluss steckte, um diesen zu verschließen? War das ein technischer Defekt oder menschliches Versagen? Laut dem Landratsamt Schwäbisch Hall war die Düngemittel-Lagerung nicht genehmigt. In einem Bauantrag für die betreffende Halle sei nie die Rede davon gewesen, dass dort Dünger vorgehalten werden sollte.

Selbst wenn feststeht, wer Schuld an dem Unglück trägt bleibt offen, ob eine Versicherung einspringt oder der Betroffene selbst für die Kosten des Unglück aufkommen muss - ob er sie überhaupt tragen kann, scheint angesichts der im Raum stehenden Summen fraglich. Neben den strafrechtlichen Untersuchungen gibt es eine Zivilklage mehrerer Fischereivereinen. Sie wollen 650 000 Euro von den Mühlenbetreibern, auch hier läuft das Verfahren.

Als Konsequenz aus dem Unglück hat das Landesumweltministerium überprüft, wie viele Betriebe im Land Dünger oder andere gefährliche Stoffe in der Nähe von Gewässern lagen. Das Ergebnis nennt Untersteller „erschreckend“. Bei etwa der Hälfte der 307 begutachteten Lager stellten die Behörden fest, dass Vorrichtungen nötig sind, um Löschwasser im Brandfall zurückzuhalten. Nur in 54 Prozent dieser Fälle (rund 80 Anlagen) war eine solche Löschwasserrückhaltung vorhanden und nur bei etwa 35 Anlagen (23 Prozent) war sie auch tatsächlich ausreichend bemessen. In 81 Fällen waren die Betreiber verpflichtet, ihre Anlagen regelmäßig von Sachverständigen überprüfen zu lassen. Nur bei 32 Anlagen (40 Prozent) hatten die Betreiber diese Prüfungen tatsächlich veranlasst. Untersteller will deshalb prüfen, wie man Betreiber besser über ihre bestehenden Pflichten informieren und sie auf die bestehenden Risiken hinweisen kann. Der Streit um Befunde und Konsequenzen ist bereits entbrannt. Der Verband der agrargewerblichen Wirtschaft hält die Aufregung dagegen für übertrieben. Fachreferent Manfred Koppenhagen sagte der „Südwest Presse“, die Überprüfung des Ministeriums nur ein „alibimäßiges Rumstöbern“. In den meisten Betrieben laufe alles ordnungsgemäß.

Gottfried May-Stürmer von der Naturschutzorganisation Bund : „Solche Missstände hätte ich in einer Bananenrepublik erwartet, aber nicht in Baden-Württemberg.“ Er fordert: „Die einzig richtige Konsequenz aus der Jagstkatastrophe wäre: Leichtlösliche Dünger und Pestizide dürfen nicht in Gewässernähe gelagert werden.“ Darauf müsse das Umweltministerium drängen und bis zu einer Gesetzesänderung alle betroffenen Betriebe streng kontrollieren. „Nur über Pflichten informieren und auf Risiken hinweisen ist doch etwas arg wenig“, sagt May-Stürmer.