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Ein Frühschoppen ohne Dorfwirtschaft ist nur halb so schön

Stuttgart / Lesedauer: 4 min

Der Amtzeller CDU-Abgeordnete Paul Locherer kämpft wider das Wirtshaussterben auf dem Land – Ministerium fördert Investitionen
Veröffentlicht:30.03.2012, 09:15

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Paul Locherer, CDU-Abgeordneter für den Wahlkreis Wangen, sorgt sich um die Lebensqualität auf den Dörfern. Der 57-Jährige will nicht widerstandslos hinnehmen, wie sich das Leben in vielen Dörfern immer mehr aufs Wohnen konzentriert. Deshalb hat der frühere Amtzeller Bürgermeister in einer Anfrage an die Landesregierung einen Überblick über die wirtschaftliche Situation von Dorfwirtschaften verlangt, wenige Monate nur nach einer Initiative zum Fortbestand von Dorfläden. „Mit dem Wirtshaussterben geht auch ein Teil der Lebensqualität und Dorfkultur verloren. Deshalb brauchen wir frische und kreative Ideen, wie man Wirtshäuser als regionale Genuss- und Gemeinschaftsorte erhalten und aufwerten kann“, schreibt Locherer in seiner Anfrage. Und er erwartet, dass das Fachministerium für den ländlichen Raum bei der Zusammenstellung seiner Fördertöpfe auch an die Dorfkneipen denkt: „Mit wenig Mitteln ist viel zu erreichen.“

Der Blick nach Adrazhofen, einer Teilgemeinde Leutkirchs, verdeutlicht Locherers Anliegen. Der frühere Dorfgasthof, lange Zeit auch als Restaurant über den Flecken hinaus bekannt, hat längst geschlossen. Im „Adler“ werden jetzt Schaltanlagen für Biogas- und Photovoltaikanlagen hergestellt. Der Bedarf, gerade auf dem Land, ist vorhanden. Die heimelige Dorfbäckerei gibt es nicht mehr, auch die frühere Metzgerei mit kleinem Ladengeschäft hat geschlossen. Direkt vor Ort, und das im Allgäu , wird im früheren Milchwerk auch kein Käse mehr produziert. Im noch offenen Ladengeschäft fehlen mittlerweile Frischeangebote wie Quark oder offener Joghurt. Ortsvorsteher Georg Weh hat deswegen schon mit den heutigen Eignern, die in Oslo sitzen, Kontakt aufgenommen – ohne Erfolg. Dabei ist Adrazhofen kein aussterbendes Dorf. Ein neues Baugebiet soll mehr junge Familien anziehen, die Einwohnerzahl steigt. Viele Menschen aus dem Dorf arbeiten bei dem Molkeverarbeiter Milei, auch wenn dessen Firmengelände auf Leutkircher Gemarkung steht, direkt am Ortseingang Adrazhofens. Ein Bauunternehmen, ein Getränkehandel, eine Schreinerei bieten weitere Arbeitsplätze vor Ort. Nur die Zahl der Bauernhöfe nimmt ab. Früher waren es sieben im Dorf, bald sind es nur noch drei. Ein vierter Betrieb steht vor der Aufgabe.

Georg Weh schildert an einem Beispiel, wie sehr auch diesem Dorf ein Gasthaus fehlt. Traditionell zog es manchen Kirchgänger im Anschluss an die Sonntagsmesse in den „Adler“. Jetzt organisieren Interessierte ihren Frühschoppen im privaten Umfeld. Mit Schwierigkeiten auf der Suche nach festen Räumlichkeiten kämpfen auch die Vereine. Weh versucht deshalb, im kleinen Rathaus den Sitzungssaal so herrichten zu können, dass dort die Landfrauen, die Narrenzunft und die katholische Kirchengemeinde bessere Möglichkeiten vorfinden. Auch die bislang in einer kleinen, stadteigenen Wohnung untergebrachte Krabbelgruppe und die vom Kindergarten angebotene musikalische Früherziehung könnten dort unterkommen.

Das Ministerium für Ländlichen Raum (MLR), seit dem Regierungswechsel von Alexander Bonde (Grüne) geführt, hat auf Locherers Fragen gründlich geantwortet. Ganz erschöpfend ist die Auskunft wegen fehlender statistischer Daten aber nicht. Was ist ein Dorf? Dafür gibt es keine verbindliche Kenngröße. Zahlen liefert Bondes Haus immerhin für Gemeinden bis 5000 Einwohner. Eine Aussage lautet: 2009 waren in 480 Gemeinden noch 2011 gastronomische Betriebe angesiedelt. In 60 kleinen Ortschaften oder Ortsteilen, das ist aber eine Schätzung, fehlen klassische Einkehrmöglichkeiten. Eine andere Zahl alarmiert Locherer, auch wenn sie sich auf ganz Baden-Württemberg und nicht nur auf den ländlichen Raum bezieht. 4000 Betriebsübergaben stehen demnach an, häufig aber fänden sich keine Nachfolger. Irgendwie erinnert das an die Landwirtschaft und das Handwerk. „Vor diesem Hintergrund geht die Landesregierung davon aus, dass die rückläufige Entwicklung der Dorfgastronomie anhalten wird“, schreibt Bonde.

„ELR“-Programm bietet Chancen

Schon die von der CDU geführten Landesregierungen haben bei der Förderung des ländlichen Raums die Gastronomie nicht außer Acht gelassen. Aus dem „Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum“ (ELR) flossen bereits drei Millionen Euro für „innovative Dorfgaststättenprojekte“ in die Regionen. Damit konnten Investitionen mit einem Anteil von bis zu 20 Prozent gefördert werden. Auch die L-Bank bietet auf die Gastronomie ausgerichtete günstige Darlehen an. Bonde macht für Fördermaßnahmen aber zur Bedingung, dass eingereichte Projekte auch eine Perspektive bieten. Aber da bewegt er sich auf einer Linie mit Locherer.

Letztlich geht es beiden darum, durch gute Vermarktungsstrategien Tradition und Originalität zu bewahren und zu stärken. Die Kampagne „Schmeck den Süden“ wurde schon vor 16 Jahren vom Gaststättenverband und dem Landwirtschaftsministerium aufgesetzt. Das im Allgäu länderübergreifende, mittlerweile etablierte „LandZunge“-Konzept gilt als Vorbild dafür, wie Gasthöfe und regionale Erzeuger „vom Acker bis zum Teller“, so Locherer, an einem Strang ziehen können. In ihm jedenfalls haben die Dorfwirtschaften einen engagierten Verbündeten: „Jedes Wirtshaus hat seine eigene Tradition und jeder bringt seine Geschichten mit. Dort entstehen gute politische Ideen, die ich auch in meine Arbeit mitnehme“, sagt der Mann aus dem Allgäu. Er erntet damit keinen Widerspruch.