StartseiteRegionalBaden-Württemberg„Deutschlands tödlichste Firma“ kämpft ums Überleben

Waffenfirma

„Deutschlands tödlichste Firma“ kämpft ums Überleben

Stuttgart / Lesedauer: 7 min

Die Waffenschmiede Heckler & Koch verordnet sich eine Antikorruptionsstrategie, doch es bleiben offene Fronten
Veröffentlicht:14.05.2018, 18:49

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Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Trutzburg: Hoch über Oberndorf , im Stadtteil Lindenhof, thront die Waffenfirma Heckler & Koch. Das passt: Hier dringt nichts nach außen und wer rein will, der sieht sich nicht nur hohen Eisengittern gegenüber, sondern auch strengen Männern des Werkschutzes mit undurchdringlichen Blicken und Überwachungskameras, die jeden Muckser festhalten. In großen Teilen der Belegschaft hat sich nach all den Jahren der Beschuldigungen und Feindseligkeiten ohnehin die Einstellung festgesetzt: Wir gegen die da draußen!

Dann, plötzlich, Anzeichen für eine historische Wende in der 69-jährigen Firmengeschichte. Es ist der 15. August 2017, der eine Art Glasnost auf Schwäbisch hätte einleiten sollen: Gut 30 Aktionäre treffen sich an diesem heißen Sommertag in Sulz am Neckar zur Hauptversammlung – direkt neben dem idyllischen Wasserschloss Glatt, beschützt von Polizeistreifen. Mittendrin sieben der größten Kritiker der Waffenfirma, darunter Filmemacher Wolfgang Landgrebe und Rüstungskritiker Nummer 1 Jürgen Grässlin. Sie hatten sich über komplizierte Umwege jeweils eine Aktie und damit auch Zugang zum innersten Zirkel verschafft. Der Anteil der sieben Aktien liegt bei 0,0…1 Prozent, der Einfluss ist deutlich größer.

Die kritischen Aktionäre sind die einzigen, die sich in dem Raum mit den zugezogenen Vorhängen und heruntergelassenen Jalousien zu Wort melden. Sie legen schriftlich mehr als 150 Fragen vor – und zur eigenen Überraschung sogar prompt Antworten Dafür kramen Angestellte hektisch in Akten und Archiven. Als Grässlin schließlich noch einen Fonds für Opfer von Heckler-&-Koch-Waffen anregt, sagt Norbert Scheuch (58), der Vorstandsvorsitzende, zu, den Vorschlag zu prüfen. Mehr noch: Scheuch geht hinaus auf die Straße, stellt sich den Fragen der wartenden Journalisten und macht ihnen Hoffnung, die Hauptversammlung künftig für die Presse zu öffnen. So etwas hatte es bei Heckler & Koch noch nie gegeben.

Jürgen Grässlin, der in dieser Branche während mehr als drei Jahrzehnten an vorderster Front schon viel erlebt hat und Heckler & Koch als „tödlichstes Unternehmen Deutschlands“ bezeichnet, ist baff. „Das ist eine völlig neue Entwicklung“, sagt er zu den Journalisten,

ich glaube, es ist möglich, einen Wandel bei Heckler & Koch herbeizuführen.“

Keine zwei Wochen später ist Vorstandsvorsitzender Scheuch gefeuert. Fristlos. Eine öffentliche Begründung gibt es nicht, allenfalls naheliegende Spekulationen. Ist ihm seine Offensive für eine neue Offenheit zum Verhängnis geworden? Oder waren es die jüngsten Fertigungs- und Lieferprobleme?

Einer fehlt bei der Hauptversammlung: Andreas Heeschen , der starke Mann bei Heckler & Koch, ein Finanzinvestor, der in London lebt. Im Jahr 2002 stieg er bei der Waffenschmiede ein, als diese noch eine Beteiligungsgesellschaft war. Als sie 2013 in eine Krise geriet, schoss Heeschen Geld nach und rettete das Unternehmen letztlich. 2014 ging Heckler & Koch an die Börse. 2015 steigerte Heeschen sein Engagement um weitere 50 Millionen Euro. Und bei der Hauptversammlung 2017 bewilligten seine Mittelsmänner noch einmal 50 Millionen. Mittlerweile besitzt er 66 Prozent der größten deutschen Kleinwaffenfirma. Seit Jahren kämpft sie ums Überleben, und Beobachter fragen sich, ob beziehungsweise wie Heckler & Koch noch zu retten ist.

Heeschen, den der Friedensaktivist Grässlin einmal als „Manager der Mortalität“ bezeichnet hat, scheut die Öffentlichkeit. Nur einmal zeigte er sich. Es war im Bundestagswahlkampf 2009, als der Wahlkreis-Abgeordnete Volker Kauder (CDU) und der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung zu einer Inspektion in Lindenhof vorbeischauten und ein denkwürdiges Bild haften blieb: Rechts von Heeschen saßen die einflussreichen Politiker, links stand ein Maschinengewehr.

Wer sich neun Monate nach der Offensive von Sulz-Glatt als Journalist wegen ein paar unverfänglichen Firmendaten an Heckler & Koch wendet, stößt auf eine Mauer des Schweigens. Erster Anruf: Der Pressesprecher N. sei schon weg, heißt es. Zweiter Anruf: N. sei gar nicht der Pressesprecher, lautet jetzt die Auskunft. Dritter Anruf. Es meldet sich „der Werkschutz“, will den Namen des Verantwortlichen nicht nennen und rät, die Fragen schriftlich an eine allgemeine E-Mail-Adresse einzureichen. Man erledigt das unverzüglich, wartet aber wochenlang vergeblich. Vierter Anruf: Der Werkschutz verspricht, das Anliegen weiterzugeben. Es dauert fast vier Wochen, bis die Antworten eingehen.

„Die Pressestelle“ berichtet darin, Heckler & Koch beschäftige insgesamt 900 Mitarbeiter, davon 800 in Oberndorf. Die Zahl sei gestiegen, „um der hervorragenden Auftragslage Rechnung zu tragen“, heißt es. So hätten sich jüngst die Armeen aus Frankreich, Lettland und Litauen ebenso für Waffen von Heckler & Koch entschieden wie die Landespolizei von Bayern und von Berlin.

Das Sortiment umfasse, so die Angaben weiter, Pistolen, Maschinenpistolen, Sturmgewehre, Präzisionsgewehre, Maschinengewehre, Trainingssysteme sowie 40-mm-Systeme. Für den Geschäftserfolg seien alle Produkte gleichermaßen wichtig. Wichtig ist dem Unternehmen auch der Hinweis, „ein verlässlicher Partner für EU, Nato, ihre befreundeten Staaten, die Sicherheitsbehörden und Streitkräfte zum Schutz der Bürger zu sein“. Es folgt der Hinweis, dass es bei Heckler & Koch sehr wohl einen Wandel gebe: Bereits im Frühjahr 2016 habe man die neue Strategie eingeführt, sich „aus den Krisenregionen dieser Welt zurückzuziehen“ und in Zukunft „konsequent“ nur noch an „grüne Länder“ zu liefern, die „demokratisch und nicht korrupt sind“, also rund um Nato und EU. Ein Maßstab sei der Korruptionsindex. Allerdings gibt es entscheidende Ausnahmen: Verträge und Vereinbarungen, die vor 2016 abgeschlossen worden seien, werde man erfüllen, betont Heckler & Koch.

Was nicht im Antwortschreiben steht: Heckler & Koch hatte 2017 erhebliche Fertigungs- und Lieferprobleme. Und: Den neuen Kurs hatte Norbert Scheuch eingeleitet.

Jürgen Grässlin hat die Zeit seit Sulz-Glatt mit Ernüchterung verfolgt. Er sieht zwar „gewisse Fortschritte, aber zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine große Lücke“. Nicht zuletzt beim Thema Transparenz.

Als zusätzlicher Rückschlag erweist sich die Bilanz 2017, die Heckler & Koch gerade erst an die Aktionäre verschickt hat: Das Jahr endete mit einem Verlust von 13,4 Millionen Euro (nach 7,2 Millionen Gewinn 2016). Der Umsatz ist von 202 auf 182 Millionen Euro gesunken. Damit steigt die Schuldenlast auf mehr als 180 Millionen Euro. Der heute vor dem Oberlandesgericht Stuttgart beginnende Prozess (siehe Kasten) könnte nicht nur zu einem gewichtigen negativen Image-, sondern auch Kostenfaktor werden.

Ein PR-Desaster am Valentinstag bestätigte die Gegner. Heckler & Koch veröffentlichte im Internet Fotos von Pistolen, die von einem Herz aus Patronen eingerahmt waren. Dazu den Text: „Liebesgrüße von HK“. Das war wenige Stunden nach dem Amoklauf an einer High School in Florida, bei dem 17 Menschen erschossen wurden. Das Unternehmen entschuldigte sich und erklärte, der Beitrag sei von der US-Tochter gekommen.

Heckler & Koch kämpft an vielen Fronten. Derzeit ranken sich neue Gerüchte um die Lage des Waffenherstellers: „Die Welt“ berichtet, ein unbekannter Aktionär habe im März einen zinslosen Überbrückungskredit über 30 Millionen Euro gewährt, das gesamte Anlagevermögen von HK sei verpfändet und die Aktienmehrheit von Andreas Heeschen auch nicht mehr sicher. Es sind keine gesicherten Informationen, aber sie lassen ahnen, wie sehr Heckler & Koch unter Druck steht.

In diesen Tagen sollte die Klage des ehemaligen Vorstandschefs Scheuch auf Wiedereinstellung vor dem Landgericht Rottweil verhandelt werden. Doch kurz vorher wurde der Termin abgesagt: Die beiden Parteien hatten sich nach zähen Verhandlungen auf einen Vergleich geeinigt. Der Scheuch-Nachfolger ist seit Anfang Mai im Amt: Jens Bodo Koch (45), bisher Vorstandssprecher der Bremer Atlas Elektronik GmbH. Der Nachname passt nur rein zufällig zur Firma.

Auf schriftliche Nachfrage nach dem Termin der Hauptversammlung 2018 steht die Antwort der HK-Pressestelle seit zwei Wochen aus; Glasnost ist abgeblasen. Inoffiziell verlautet, es werde Mitte Juni sein. Zwei Gewissheiten gibt es jetzt schon : Sie wird wieder hinter verschlossenen Türen stattfinden. Und: Die kritischen Aktionäre werden wieder viele Fragen haben.