StartseiteRegionalBaden-WürttembergDer neue Papst muss um die Vielfalt in der Einheit kämpfen

Vielfalt

Der neue Papst muss um die Vielfalt in der Einheit kämpfen

Ravensburg / Lesedauer: 5 min

Die Erwartungen an Benedikts Nachfolger sind hoch – Das römisch geprägte Weltbild steht infrage
Veröffentlicht:27.02.2013, 09:35

Von:
Artikel teilen:

Der deutsche Jesuitenpater Klaus Mertes bringt es auf den Punkt: „Die Sehnsucht aber ist, dass die katholische Kirche endlich wieder positive Nachrichten bringt und klarmacht, worum es im Katholizismus wirklich geht.“

Mertes, der die Aufdeckung der kircheninternen Missbrauchsfälle auslöste, darf auf breite Zustimmung zählen, wenn er darauf hofft, dass mit einem neuen Papst Schlagzeilen über Intrigen im Vatikan , Ärger mit den Piusbrüdern, weltfremde Sexualmoral und lebensferne Hierarchien ein Ende haben. Mertes sagt, worum es ihm in einem neuen Pontifikat gehen würde: „Um Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit und echte Frömmigkeit.“ Aufgaben, denen sich der neue Papst stellen muss, gibt es zahlreiche:

1. Den Gedanken der polyzentristischen Weltkirche entwickeln

So leicht diese Forderung klingt, so schwer wird sie zu erfüllen sein. Denn in Europa, gar aus römischer Sicht, werden die Begriffe Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit und Frömmigkeit anders verstanden als in Manila, Rio de Janeiro oder Kapstadt. 1,2 Milliarden Katholiken gibt es weltweit, Tendenz steigend. Vor allem in Asien, Lateinamerika und Afrika lassen sich immer mehr Menschen taufen. Allein die Vorstellung, dass ein einziger Mann – der Papst – sie alle allein auf dem Fundament des Glaubens zusammenhalten muss, ist abenteuerlich. Daher wird der neue Papst dieser Entwicklung Rechnung tragen müssen: Gab es früher mit Rom ein klar definiertes Zentrum der Weltkirche, so gibt es heute schon viele und sehr selbstbewusste Nationalkirchen. „Die Einheit wird immer eine Einheit in der Vielfalt sein mit unterschiedlichen Akzenten, unterschiedlichem kulturellen Hintergrund“, sagt der deutsche Kurienkardinal Walter Kasper .

„Wir sind auf dem Weg zu einem polyzentrischen Christentum“, formulierte schon vor 40 Jahren der Münsteraner Theologe Johann Baptist Metz. Er sprach von der „Einheit der Kirche und der Vielfalt der Ortskirchen“. Der neue Papst wird diesem Übergang Rechnung tragen müssen: Bestimmten bis vor 30, 40 Jahren westliche und stark deutsche sowie französische Theologen die Diskussion, so hat sich längst die individuelle „Rede von Gott“ vor Ort etabliert. Allein im Kardinalskollegium, das in wenigen Tagen den neuen Papst wählt, ist diese Entwicklung noch nicht abgebildet: Aus Europa und Nordamerika kommen 75 der 115 abstimmenden Kardinäle. Aber drei Viertel der Katholiken sind in Asien, Afrika und Lateinamerika sowie Ozeanien daheim.

2. Die Ökumene weiter im Gespräch halten

Ein weiterer Punkt auf der Agenda des neuen Papstes dürfte die Fortsetzung des interreligiösen und ökumenischen Dialogs, vor allem mit der Orthodoxie, sein: Hier hat Benedikt XVI. starke Akzente gesetzt. „Das wird in Deutschland unterschätzt, ebenso seine Liebe zum Judentum“, sagt Kardinal Kasper, der selbst für eine stärkere Betonung der Ostkirchen gekämpft hat. So ermutigend diese Schritte waren, so ernüchternd waren die Begegnungen mit evangelischen Christen, sodass Hans Küng, einer der bekanntesten Kirchenkritiker, nun fordert: „Ich wünsche uns einen, der offen ist, erstens für die Anliegen der Reformation und zweitens für die der Moderne.“

3. Den Kampf gegen die Christenverfolgung aufnehmen

Bei aller Freude über den Dialog vergessen viele Beobachter, dass 100 Millionen Christen weltweit verfolgt werden. Kommunistische oder islamische Staaten sind die größten Feinde der Christenheit: In Nordkorea und China können Christen ihren Glauben nur im Untergrund ausüben, in Saudi-Arabien, im Iran und auch in Afghanistan sind Christen schweren Repressionen ausgesetzt. Hier fordern deutsche Politiker wie Volker Kauder, Bundestagsabgeordneter aus Tuttlingen und Chef der CDU/CSU-Fraktion, mehr Mut: „Das Thema Christenverfolgung muss sensibel, aber ohne falsche Rücksichtnahme behandelt werden. Aus Sorge, die Konflikte mit der islamischen Welt könnten sich verfestigen, wird die Verfolgung von Christen oft nicht offen angesprochen. Diese Tabuisierung ist der falsche Weg.“

4. Die Reform der Kurie beginnen

Flüchtete sich Johannes Paul II. auf seinen 104 Auslandsreisen vor der Aktenarbeit und den Intrigen im Vatikan, so flüchtete sich Benedikt XVI. in seine Welt der Theologie: „Er war eben ein lehrender Papst, kein regierender“, formuliert es das Magazin Der Spiegel. Insgesamt 35 Jahre lang, seit dem Tod Pauls VI. im August 1978, konnte der römische Zentralismus weitgehend ungestört sein Eigenleben entwickeln. Die Vatileaks-Affäre und der bisher geheimgehaltene Bericht dreier Kardinale über angeblich skandalöse Zustände wie auch moralische Verfehlungen sind nur zwei Beispiele dafür.

Will der neue Papst aber die Vielfalt leben, selbst regieren, so braucht er „dringend ein Kabinett, mit neuen kompetenten Männern und – warum nicht? – auch Frauen, um aus der Krise herauszufinden“, regt Hans Küng an, der ein „Ende des römischen Hofstaates fordert: „Ohne eine Kurienreform wird auch einem neuen Papst kein Durchbruch und Aufbruch gelingen.“

5. Die deutschen Befindlichkeiten zurückstellen

Und die Fragen nach dem Zölibat, der Frauenordination, der Sexualmoral, der stärkeren Beteiligung von Laien an Führungsaufgaben? Es sind weitgehend europäische, wenn nicht rein deutsche Fragen, die in den „Wachstumsregionen des globalen Glaubensmarktes“ (Der Spiegel) entweder keine Rolle spielen oder belächelt werden. Wer für „Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit und Frömmigkeit“ kämpft, hat für die Akademie-Theologie einer schrumpfenden Region auf eben jenem Glaubensmarkt keinen Sinn.

Und das Resümee? „Vor allem das Evangelium präsent machen in einer weitgehend säkularisierten Welt“, definiert Kardinal Kasper als die wichtigste Aufgabe des „Neuen“. Wenigstens diese Forderung dürfte unwidersprochen bleiben.