StartseiteRegionalBaden-WürttembergDemokratiebildung in der Schule soll verstärkt werden

Demokratiebildung

Demokratiebildung in der Schule soll verstärkt werden

Stuttgart / Lesedauer: 4 min

Kultusministerium erarbeitet Leitfaden – Berufsschüler im Fokus
Veröffentlicht:10.12.2018, 19:13

Von:
Artikel teilen:

Hätte Baden-Württemberg mal auf die Jugend gehört: Der Landesschülerbeirat hatte 2015 erfolglos darauf gedrängt, die Demokratiebildung als eine der fächerübergreifenden Leitperspektiven in den Bildungsplänen zu verankern, die seit dem Schuljahr 2016/2017 in Kraft sind. Laut einer Studie des Berliner Instituts für Gesellschaftsforschung im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung kommt das Thema Demokratie in deutschen Schulen zu kurz – und das in Zeiten, in denen Populisten auch in gefestigten Demokratien wie den USA oder Italien Wahlen gewinnen. Im Kultusministerium wird nun nachgebessert. Die Baden-Württemberg-Stiftung nimmt derweil die Berufsschüler in den Blick – dort sei der Bedarf an Demokratiebildung besonders groß, sagt Stiftungschef Christoph Dahl.

„Politische Bildung und solide Kenntnisse darüber, was unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ausmacht, sind wichtiger denn je“, sagt Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Die Fünft- bis Zehntklässler an den weiterführenden Schulen im Südwesten haben insgesamt vier, maximal fünf Stunden Gemeinschaftskunde. Doch auch in vielen anderen Fächern sei die Demokratiebildung fester Bestandteil, etwa im Geschichtsunterricht, betont das Kultusministerium.

Kritik von Eisenmann

Bereut Ex-Kultusminister Andreas Stoch ( SPD ), dass er die Demokratiebildung als Leitperspektive abgeschmettert hat? „Bereuen tu ich nichts, weil mit dieser Entscheidung nicht verbunden ist, dass keine Demokratieerziehung an den Schulen erfolgt“, erklärt er. Seine Nachfolgerin im Amt äußert sich kritischer. „Ich bedaure, dass die Vorgängerregierung dieses wichtige Anliegen des Landesschülerbeirats nicht aufgegriffen hat“, so Eisenmann. Zumal die Diskussion um Defizite in der politischen Bildung seit Jahren diskutiert würden.

Deshalb plant sie einen Leitfaden zur Demokratieerziehung als Ergänzung zu den Bildungsplänen. Die Konzeptgruppe hierfür, zu der unter anderem die Landeszentrale für politische Bildung und das Institut für politische Bildung „Studienhaus Wiesneck“ gehört, hat laut einer Sprecherin Eisenmanns vergangenen Donnerstag erstmals getagt. Die Aufgabe an die Gruppe: Der Leitfaden soll mit den Bildungsplänen kompatibel sein, sich an alle allgemeinbildenden Schulen von der ersten bis zur 13 Klasse richten und etwa auch Gedenkstätten als Lernorte mit einbeziehen. Im Schuljahr 2019/2020 soll er in Kraft treten, nach und nach sollen passende Unterrichtsmaterialien entwickelt werden.

Die Grünen regierten mit der SPD das Land, als die Bildungspläne in der vorigen Legislatur neu entwickelt wurden. Nun unterstützt der grüne Koalitionspartner Eisenmann darin, die Demokratiebildung an Schulen zu stärken. „Die Herausforderungen der Gegenwart zeigen deutlich, dass wir die politische Bildung an Schulen als Querschnitt weiter stärken und ausbauen müssen“, sagt Sandra Boser, Bildungsexpertin der Grünen-Fraktion im Landtag. Ihre Forderungen gehen noch weiter: Sie fordert unter anderem Kinderkonferenzen, in denen Grundschüler demokratisch mitbestimmen können – das gibt es bislang nicht. Und sie wünscht sich, dass Lehrer mit ihren Schülern stärker rechtsextreme Medien und Musik als „rechte Einstiegsdroge“ thematisieren.

Vor allem an Berufsschulen kommt die politische Bildung zu kurz – zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Technischen Universität Dresden im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung. Politikverdrossenheit und rechtes Gedankengut seien dort keine Seltenheit. Stefanie Hofer von der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) räumt dies ein. Im Geschäftsbericht für 2017 weist die LpB 77 Veranstaltungen an Berufsschulen aus. Zum Vergleich: In Gymnasien waren es 326. „Hier liegt ein Defizit, das wir als Institution erkannt haben – und nun gegensteuern.“

Gemeinsam mit der Stiftung Weltethos und der Baden-Württemberg-Stiftung bietet die LpB seit Oktober das Programm „Läuft bei Dir“ an. „Da wurde eine Lücke geschlossen“, sagt Christoph Dahl , Chef der Baden-Württemberg-Stiftung. Berufsschüler sollen dabei in Workshops erleben, dass und wie sie sich selbst in politische Prozesse einbringen können. In der Laufzeit von zwei Jahren sollen 600 Schüler erreicht werden. Begleitend tourt ein Escape Room durch die Berufsschulen im Land, der weit mehr Schüler erreicht. Die Teilnehmer müssen dabei – wie bei den beliebten kniffligen Escape Rooms, die es in vielen Städten gibt – in einer gewissen Zeit Rätsel lösen. Konkret: Sie müssen einen medialen Shitstorm voller falscher Nachrichten abwenden. In Tuttlingen hat der Escape Room bereits Halt gemacht, in Bad Saulgau wird er für Ende März erwartet.

„Jedes Format, das in die Richtung geht, hilft“, sagt Peter Lehle, Leiter des Kreisberufsschulzentrums in Ellwangen. Berufsschüler seien tendenziell eher rechte Mitläufer glaubt er. Zumal gerade Handwerk-Azubis in den Vesperpausen mitunter Stammtischparolen von ihren älteren Kollegen mitbekommen. Wer eine duale Ausbildung absolviert, hat in den 13 Stunden Schule pro Woche eine Stunde Gemeinschaftskunde – da sei es für die Lehrer nicht gerade leicht, Demokratiebildung zu forcieren, so Lehle. Sein Wunsch: „Mehr kostenlose Lehrmittel würden wir dankend annehmen, und gerne auch entsprechende Veranstaltungen.“