StartseiteRegionalBaden-WürttembergDas neue Sammelbecken der Unzufriedenen

Sammelbecken

Das neue Sammelbecken der Unzufriedenen

Baden-Württemberg / Lesedauer: 5 min

Das neue Sammelbecken der Unzufriedenen
Veröffentlicht:30.09.2014, 18:25

Von:
Artikel teilen:

Die Alternative für Deutschland (AfD) schürt Ängste, ohne Lösungen zu präsentieren. Die CDU will in der Auseinandersetzung mit ihr nun eine klare Kante zeigen.

Muss man die AfD fürchten? Nach ihrem Erfolg bei der Europawahl im Frühjahr und ihrem Einzug in drei Landtage im Spätsommer ist die neue Partei in den Schlagzeilen. Auch wegen ihrer Probleme mit der Abgrenzung nach rechts. Entstanden ist die AfD 2013 eigentlich als Anti-Euro-Partei. Doch längst hat sie für jeden etwas im Gepäck. Sie benennt Ängste und vertieft Vorurteile, ohne Lösungen anzubieten.

Als Partei gegründet wurde die AfD 2013, ihre Ursprünge hat sie 2012 in dem erneuten Aufflammen der Eurokrise. Die AfD fordert in ihrem Programm eine geordnete Auflösung des Eurowährungsgebiets. Sie hält eine Wiedereinführung der DM für wünschenswert. Wie ein Europa ohne den Euro funktionieren soll, wer dann die deutschen Waren kauft, das verrät die AfD nicht. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat die AfD deshalb massiv kritisiert. Ein „Jobkiller“ sei die AfD. „Wer sich so fahrlässig zu Europa äußert, der kapiert nicht, dass Millionen von Arbeitsplätzen von einem funktionierenden Europa abhängen“, so Gabriel. Die AfD hat deshalb auch wenig Unterstützung von der Industrie, die weiß, dass Arbeitsplätze vom Export abhängen.

Eurogegner im EU-Parlament

Ihre Brüsseler Abgeordneten wie Parteichef Bernd Lucke und der frühere BDI-Chef Hans-Olaf Henkel sitzen zwar im Europaparlament. Doch wie sinnvoll ist es, in einem Parlament mitzuarbeiten, das man für überflüssig hält? „Scheitert der Euro nicht, dann scheitert Europa“, ist schließlich Henkels Überzeugung. Das ist genau die entgegengesetzte Meinung zu Kanzlerin Angela Merkels und Finanzminister Wolfgang Schäubles Überzeugung, dass der Euro Europa zusammenhält. Wolfgang Schäuble hat seine Partei gerade zu einer härteren Gangart gegenüber der AfD aufgefordert. Nicht nur wegen ihrer Europapolitik, sondern wegen ihrer Fremdenfeindlichkeit.

Seitdem die Eurokrise langsam verebbt, rücken bei der AfD andere Themen ins Zentrum. Innere Sicherheit, Asyl, Familienpolitik. Die AfD erinnere ihn an die Republikaner, sagt Schäuble. Die waren in einer Zeit in die deutschen Landtage gekommen, als die Asylbewerberzahlen in die Höhe schnellten. 1992 baten 438000 Menschen um Asyl. Es gab die Anschläge in Mölln und Rostock-Lichtenhagen, im gleichen Jahr zogen die Republikaner in den baden-württembergischen Landtag ein, wo sie sich bis 2001 hielten.

Auch Unionsfraktionschef Volker Kauder fühlt sich an diese Zeit erinnert, als die Republikaner in den Stuttgarter Landtag kamen. Kauder war damals CDU-Generalsekretär. Doch er hält heute die Gefahr für gering, dass die AfD sich rechts neben der Union etabliert. „Wenn es keine Machtperspektive gibt, sind die ganz schnell weg“, hofft er. Eine reelle Machtperspektive hat die AfD nicht, weil die Union jedes Bündnis mit ihr ausgeschlossen hat.

Die Union will sich aber mit den Themen der AfD verstärkt auseinandersetzen. Für den Sigmaringer CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Bareiß ist die AfD „eine Staubsauger-Partei, die alle Unzufriedenen ein Stück weit aufsaugt“. „Wir müssen die AfD ernst nehmen und sie nicht einfach in die rechte Schmuddelecke stellen.“

Bareiß empfiehlt, klare Kante zu zeigen, beispielsweise in der Innen- und Sicherheitspolitik. Die Menschen hätten große Sorge wegen eines überzogenen Toleranzdenkens. Jeder, der für die IS in den Krieg zieht, sollte die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren, so Bareiß.

Frühere CDU-Mitglieder

Manche Politiker, die heute in der AfD sind, waren früher bei der CDU, Alexander Gauland war sogar im konservativen Berliner Kreis der Union, dem auch Bareiß angehört. Bündnisse mit der AfD kommen auch für Bareiß nicht infrage. „Mit einer eurofeindlichen Partei können wir niemals zusammenarbeiten“, so Thomas Bareiß. Doch wie konnte die AfD groß werden? „Die Etablierten haben die Ressentiments in der Mitte der Gesellschaft nicht ernst genommen“, sagt Parteiforscher Karl-Rudolf Korte. Die AfD bereitet jetzt diese Ängste auf, ohne Lösungen anzubieten.

Beispiel Ausländerkriminalität: „Entlang der Oder in Brandenburg haben Sie 20 Prozent mehr Kriminalität“, sagt Bernd Lucke – und er hat damit recht. Doch drei von vier Hundertschaften der Bereitschaftspolizei sind in Brandenburg in Grenzregionen eingesetzt, der Innenminister hat – soweit Schengen es zulässt – verstärkte Grenzkontrollen angeordnet. Das Schengen-Abkommen aber, was den freien Grenzverkehr mit Polen regelt, kann Brandenburg nicht ändern. Auch die AfD kann das nicht.

Hinfällige Forderungen

Beispiel Thema Zuwanderung: „Es macht den Menschen Angst, was an Aufnahmebereitschaft verlangt wird“, sagt AfD-Chef Bernd Lucke, „wir brauchen eine Steuerung der Zuwanderung.“ Dass genau das geschieht, dass der Innenminister auf europäischer Ebene verhandelt, um Zuwanderung gerechter aufzuteilen, das sagt er nicht. Hans-Olaf Henkel wirbt dafür, dass Asylbewerber schneller arbeiten können, damit sie nicht „arbeitslos um die Häuser schleichen und auf dumme Gedanken kommen“. Genau das hat der Bundesrat gerade beschlossen. Nach drei statt wie bisher neun Monaten sollen Asylbewerber demgemäß arbeiten können.

Beispiel Familienbild: Die AfD schürt unterschwellig Ressentiments gegen Homosexuelle. Bernd Lucke spricht bei diesem Thema in einem Atemzug von „Verfallserscheinungen von Ehe und Familie“. Homosexualität also als etwas, was Familien schaden könnte. Die AfD propagiert die Drei-Kind-Familie. Doch was soll daran schlimm sein? Nichts. Bernd Lucke bemüht gerne das normale Volksempfinden, den gesunden Menschenverstand. Der Unterton des „man wird ja wohl noch sagen dürfen“ schwingt häufig mit. Die AfD ist nicht rechtsextrem, doch sie spielt mit dem Gedankengut.

Deshalb machen ihr auch rechtsextreme Unterströmungen zu schaffen. So hat gerade in Brandenburg der dortige AfD-Chef Alexander Gauland den designierten Landtagsabgeordneten Jan-Ulrich Weiß wegen einer antisemitischen Karikatur auf seiner Facebook-Seite aufgefordert, sein Mandat aufzugeben. Gauland sagte, die Karikatur habe an das Nazi-Hetzblatt „Der Stürmer“ erinnert. Parteichef Bernd Lucke weist gerne darauf hin, dass die AfD nicht rechts sei, sondern Wähler aus allen Lagern habe.

Bei den Landtagswahlen im Osten hat die AfD in der Tat viele Stimmen von der Linken geholt. Das entspricht allerdings der Hufeisentheorie der Politikwissenschaft, der zufolge die Ränder sich näher liegen als die Parteien der Mitte. Doch der Spagat, Wähler von der Linkspartei abzugraben gleichzeitig nach rechts zu blinken, könnte der AfD auf Dauer schwerfallen.