StartseiteRegionalBaden-WürttembergCDU-Energieexperte: Atomkraftwerke weiter nutzen - auch wenn es schmerzt

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CDU-Energieexperte: Atomkraftwerke weiter nutzen - auch wenn es schmerzt

Stuttgart / Lesedauer: 5 min

Raimund Haser fordert, den Ausstieg zu überdenken. Es geht ihm dabei nicht um eine Grundsatzdebatte oder generelle Kehrtwende, sondern um realpolitische Zwänge.
Veröffentlicht:19.03.2022, 05:00

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Insgesamt drei Kernkraftwerke sind in Deutschland noch am Netz. Zwei davon stehen in Bayern und Baden-Württemberg . Eigentlich sollen die letzten Meiler bis Ende des Jahres abgeschaltet werden.

Raimund Haser , umwelt- und energiepolitischer Sprecher der CDU Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, fordert, den Ausstieg zu überdenken – zumindest kurzfristig. „Wenn wir mit Russland nicht mehr die Wirtschaftsbeziehungen pflegen, wie wir das bisher getan haben, müssen wir uns auf den nächsten Winter vorbereiten“, sagt er.

Herr Haser, einer neuen Umfrage zufolge fürchten 71 Prozent der Baden-Württemberger, dass es deutschlandweit zu Engpässen in der Gas- und Energieversorgung kommen könnte. Langfristig setzt Deutschland auf erneuerbare Energien, mittelfristig zum Beispiel auch auf Flüssiggas. Welche Lösung sehen Sie, um kurzfristig, also für die nächsten ein bis zwei Jahre, abgesichert zu sein?

Wir müssen die Energiequellen separat betrachten. Russische Lieferungen von Öl und Kohle können ersetzt werden. Aber bei Gas lässt sich die Abhängigkeit von Russland so kurzfristig nicht lösen. Was elektrische Energie angeht, gibt es keinen ungünstigeren Zeitpunkt für die Abschaltung von Neckarwestheim II und den anderen beiden Kernkraftwerken in Deutschland als den 31. Dezember 2022. Wenn wir mit Russland nicht mehr die Wirtschaftsbeziehungen pflegen, wie wir das bisher getan haben, müssen wir uns auf den nächsten Winter vorbereiten und es wackelt die Strom- und grüner Wasserstoffstrategie Baden-Württembergs, weil sie stark auf Erdgas als Brückentechnologie ausgelegt ist.

Angenommen Gas als Brückentechnologie hin zu einer auf Wasserstoff basierenden Energieversorgung fällt tatsächlich weg. Rettet uns dann der Weiterbetrieb von Meilern wie Neckarwestheim 2? Aktuell leisten die drei verbliebenen Meiler gerade einmal einen Anteil von sechs Prozent an der Stromerzeugung ...

Der Strommarkt ist regionaler als man denkt. Und die Frage ist nicht, was die drei Meiler liefern, sondern was Neckarwestheim II liefert: nämlich laut EnBW etwa ein Sechstel des Stromverbrauchs in Baden-Württemberg. Das sind im Schnitt rund 10 000 Gigawattstunden jährlich. Die gesamte Windkraft in Baden-Württemberg erzeugt momentan 3000 Gigawattstunden pro Jahr. Das heißt, mit allen baden-württembergischen Windrädern produzieren wir nicht einmal ein Drittel der Leistung von Neckarwestheim II. Wenn wir das Kernkraftwerk wie gesetzlich festgelegt abschalten, müssen diese 10 000 Gigawattstunden woanders herkommen.

Das ist kurzfristig, also im Winter 2022/23, die dringendste Herausforderung. Aber auch mittelfristig müssen wir uns Gedanken machen. Wir können Strom aus dem Ausland einkaufen, aber erneuerbar ist der dann wahrscheinlich nicht. Auch Kohlekraftwerke sind eine Option, aber das würde uns im CO2-Verbrauch ganz weit zurückwerfen, weil das Abscheiden, Weiterleiten an alte Gasfelder zum Beispiel in den Niederlanden und Verpressen des Kohlenstoffs in Deutschland leider nicht erlaubt ist. Wenn wir die komplette Leistung von Neckarwestheim II über die Steinkohle abdecken, dann emittieren wir für die Stromerzeugung zusätzlich 35-mal so viel CO2, wie alle Liegenschaften des Landes Baden-Württemberg zusammen. Das ist die Dimension, über die wir hier sprechen.

Die Bundesministerien für Wirtschaft und Umwelt kamen nach einer Prüfung zu dem Schluss, dass eine Verlängerung der Laufzeiten nicht sinnvoll ist. Zusätzliche Strommengen gäbe es demnach frühestens ab Herbst 2023 nach Befüllung mit neu hergestellten Brennstäben. Außerdem wären umfangreiche Sicherheitsprüfungen nötig und es käme zu massiven Personalengpässen. Warum sind Sie anderer Meinung?

Es geht zunächst einmal nicht um den Ausstieg vom Ausstieg, sondern um einen Streckbetrieb über den 1. Januar 2023 hinweg, weil wir nicht wissen, wie die Lage im kommenden Winter sein wird. Das erreichen wir, indem man ein Kernkraftwerk über den Sommer zur Wartung herunterfährt und dafür bis Ende März 2023 laufen lässt, weil der Strombedarf im Sommer niedriger ist als im Winter. Also ich frage mich schon, was da genau geprüft worden ist. Auch mittelfristig wäre keine Hürde unüberwindbar, wenn der politische Wille vorhanden ist und das Gesetz geändert wird. Man kann dafür sorgen, dass die Wartungsintervalle, die nicht gemacht wurden, nachgeholt werden. Man kann Arbeitsverträge so ändern, dass ein Weiterbetrieb gewährleistet ist.

Die Betreiber selbst, bei Neckarwestheim II ist es die EnBW, zeigen kein größeres Interesse an einem Weiterbetrieb ...

Natürlich ist das so. Es hat doch niemand Lust auf einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. Auch ich habe darauf keine Lust. Aber wir hatten den Krieg nicht auf der Rechnung. Und der hat kurzfristig, aber auch auf Dauer, massive Auswirkungen für ein energiearmes Land wie Baden-Württemberg. Davor darf man die Augen nicht verschließen.

Sind wir angesichts des Klimawandels zu schnell aus Atomenergie ausgestiegen?

Wir sind zu langsam in die Erneuerbaren eingestiegen. Dazu gehört, dass die Leitungen aus dem Norden noch nicht einmal im Bau sind. Das ist unser Problem. Wir können zum 1. Januar nicht auf die erneuerbaren Kapazitäten zurückgreifen, von denen wir erwartet haben, dass sie 2023 zur Verfügung stehen.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll viel schneller werden, darin ist sich die baden-württembergische Landesregierung einig. Gleichzeitig gibt es an vielen Orten Widerstand gegen Windenergie – zum Beispiel im Altdorfer Wald. Konterkariert das nicht die Energiewende?

Ja, aber der Widerstand gegen die Windkraft hat viel mit durchaus nachvollziehbarer persönlicher Betroffenheit zu tun. Und deswegen freut es mich, dass 92 Prozent der Deutschen grundsätzlich für den Ausbau der Erneuerbaren sind. Ich hoffe, dass das Verständnis wächst, dass das auch für die Wind- und PV-Anlagen, Wasserstoff- und Stromtrassen in der Nachbarschaft gelten muss.

Die Regierungsfraktionen haben diese Woche ein Gesetz zur Abschaffung des Widerspruchsverfahrens bei der Windkraft eingebracht. Wir haben im Januar eine Verfahrensbeschleunigung versprochen, nun liefern wir noch vor der Sommerpause den ersten Baustein dafür. Das zeigt, wie ernst die Lage und wie ernst uns die Sache ist.