StartseiteRegionalBaden-WürttembergBaden-Württembergische Gefängnisse haben zu viele Häftlinge - und zu wenig Personal

Haftanstalten

Baden-Württembergische Gefängnisse haben zu viele Häftlinge - und zu wenig Personal

Stuttgart / Lesedauer: 5 min

Trotz 273 neuer Stellen gibt es im Strafvollzug weiterhin viel aufzuholen
Veröffentlicht:27.11.2022, 19:00

Von:
Artikel teilen:

Die Landesregierung möchte 273 neue Stellen in Baden-Württembergs Haftanstalten schaffen.

Michael Schwarz , Landesvorsitzender des Bunds der Strafvollzugsbediensteten (BSBD) begrüßt die Entscheidung. Aber aus seiner Sicht braucht es weitere Entlastung: Weniger Haftstrafen für eine bestimmte Gruppe von Verurteilten.

„ Baden-Württemberg ist bundesweit das Schlusslicht beim Verhältnis Gefangene zu Bediensteten“, erklärt Schwarz. Die Arbeit im Strafvollzug staffelt sich naturgemäß in Schichten rund um die Uhr. Mitarbeiter in Gefängnissen müssten häufig allein ein gesamtes Stockwerk beaufsichtigen.

„Keine Polizeistreife geht allein raus. Security-Teams oder die DB-Sicherheit sind immer zu zweit. Nur im Strafvollzug sind die Mitarbeiter allein auf dem Stockwerk“, so Schwarz. Über die vergangenen sechs Jahre schuf die Regierung schrittweise 557 Neustellen im Justizvollzug. Mit 273 zusätzlichen Stellen fällt der Posten im Haushaltsentwurf für die kommenden zwei Jahre ungewöhnlich groß aus.

Zusätzliche Haftplätze in Ravensburg

In der Zwischenzeit gab das Land außerdem den Bau neuer Gebäude in den Justizvollzugsanstalten Ravensburg , Heimsheim und Schwäbisch Hall in Auftrag. In der JVA Ravensburg wird zudem ein Trakt ausgebaut.

Insgesamt entstehen so etwa 450 zusätzliche Haftplätze. Der Personalbedarf im Strafvollzug wächst dadurch jedoch weiter. Das Land sei auf dem richtigen Weg, lobt Schwarz. Es würden jedoch immer noch 300 bis 400 Mitarbeiter fehlen.

Häufig müssten die Beamten Überstunden leisten, berichtet Schewarz. Bei Engpässen werde ihnen regelmäßig ihre dienstfreie Zeit gestrichen. Dem gegenüber steht ein Trend, den Michael Schwarz schon länger beobachtet: „Planbare, zuverlässige Freizeit ist die Währung schlechthin bei unseren neuen Kollegen – teilweise mehr wert als gute Bezahlung.“

Die Ausbildung zum Justizvollzugsbeamten dauert zwei Jahre. Es sei jedoch schwierig, genügend geeignete Bewerber zu finden. Beamte im Strafvollzug werden nach dem Bundesbesoldungsgesetz bezahlt. Je nach Alter, Familienstand Qualifikation und Erfahrungsstufe variieren die Richtwerte zwischen 2200 Euro und 4300 Euro Brutto.

Zu wenig Zeit für Gespräche

Nicht zuletzt komme durch die dünne personelle Besetzung der Behandlungsvollzug zu kurz: Häftlinge sollen dadurch auf ein Leben ohne Straftaten nach der Haft vorbereitet werden.

Zu zweit in einer Schicht bleibe den Beamten deutlich mehr Zeit, um Gespräche mit den Inhaftierten zu führen und so ihre Resozialisierung zu fördern. Außerdem gehe es darum, „Handlungsbedarf rechtzeitig zu erkennen, auch in Blick auf mögliche Suizidalität“, berichtet Schwarz.

In der Politik sei der Wille vorhanden, die Defizite aufzuholen, erkennt Schwarz an. Probleme sieht er aber in der Finanzierung und dem in Krisenzeiten angespannten Haushalt. Allerdings gebe es nur wenige Alternativen zu neuem Personal.

Alternative zur Haft

„Was uns vielleicht eine Hilfe wäre, ist die Haftvermeidung für kurze Ersatzfreiheitsstrafen“, meint der BSBD-Vorstand. Menschen, die ins Gefängnis kommen, weil sie eine Geldstrafe nicht bezahlen können, seien häufig psychisch auffällig oder suchtkrank. Obwohl sie meist nur für rund einen Monat in Haft kämen, sei ihre Betreuung besonders personalaufwändig.

Es gebe bereits gute Ersatzprogramme. Dabei landen Betroffene nicht im Gefängnis, sondern werden stattdessen etwa in sozialpädagogisch betreute Wohnprojekte aufgenommen oder leisten gemeinnützige Arbeit.

In Baden-Württemberg organisiert ein Zusammenschluss aus Bewährungshilfs-Verbänden zum Beisiel das Angebot „Schwitzen statt sitzen“. Allein im vergangenen Jahr wurden im Rahmen des Programms mehr als 130.000 Hafttage durch gemeinnützige Arbeit ersetzt.

Laut Landesjustizministerium war der Strafvollzug zwischen 2016 und 2019 im Durchschnitt mit rund 500 Inhaftierten belegt, die eine Ersatzfreiheitsstrafe leisteten. In den vergangenen beiden Jahren fiel die Zahl niedriger aus, weil die Justizverwaltung viele Ersatzfreiheitsstrafen aufgrund der Corona-Pandemie aufschob. Der Durchschnitt für das laufende Jahr lag Stand Oktober wieder bei 488 belegten Haftplätzen.

Den Strafvollzug entlasten

„Eine Gefängnisstrafe muss das allerletzte Mittel bleiben“, sagt Daniela Evers, Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion für den Strafvollzug. Entsprechende Programme würden den Strafvollzug entlasten und Kosten sparen. Außerdem könnten „unnötige Gefängniserfahrungen und negative Folgen der Kurzzeithaft damit vermieden werden“.

Noch wirksamer wären laut Evers aber rechtliche Reformen im Bund: „Dazu zählen das Abschaffen der Ersatzfreiheitsstrafe, das Herabstufen des Schwarzfahrens zur Ordnungswidrigkeit, eine Reform des Betäubungsmittelrechts und die Entkriminalisierung veralteter Straftatbestände.“

Auch die SPD betrachtet Ersatzfreiheitsstrafen kritisch. Sie beträfen überwiegend Menschen, die in ihrer aktuellen Lebenssituation überfordert sind, sagt Jonas Weber, Fraktionssprecher für Strafvollzug. „Diese Probleme können im Justizvollzug nicht aufgefangen werden, sondern stellen für die Justizvollzugsbeamtinnen und Justizvollzugsbeamten eine zusätzliche Belastung dar.“

Die FDP-Abgeordnete Julia Goll teilt die Einschätzung, dass eine „Ersatzfreiheitsstrafe nur Ultima Ratio sein darf“. Als Positivbeispiel hebt die ehemalige Richterin das Programm „Schwitzen statt Sitzen“ hervor.

Das von der FDP geführte Bundesjustizministerium wolle zudem die Berechnungsgrundlage von Ersatzfreiheitsstrafen ändern. Ein Tag hinter Gittern soll künftig nicht mehr nur einen, sondern zwei Tagessätze einer nicht bezahlten Geldstrafe ausgleichen.

AfD will an Ersatzfreiheitsstrafen festhalten

Anders urteilt der AfD-Abgeordnete Anton Baron. Gemeinnützige Arbeit und andere Ersatzstrafen seien ungeeignet, um Straftäter von künftigen Vergehen abzuhalten. „Häufig tritt an Stelle einer Haft eine eher bequeme Freizeitbeschäftigung, die nicht abschreckt, sondern eher zu weiteren Straftaten ermutigt“, sagt Baron. Nach Ansicht der AfD verfügt der Justizvollzug über genug Personal, um Ersatzfreiheitsstrafen weiterhin zu bewältigen.

Wo die neuen Beamten eingesetzt werden sollen, ist noch nicht bestimmt. Auch die Kosten für das zusätzliche Personal können laut Justizministerium erst nach der endgültigen Entscheidung des Landtags abgeschätzt werden.