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French Open

Zverevs Rendezvous in Paris mit der Vergangenheit

Paris / Lesedauer: 4 min

Nur ein Jahr nach dem Verletzungsschock bietet sich Alexander Zverev bei den French Open schon wieder die große Chance auf das Finale. Der Weg zum Titel führt über einen Unvollendeten.
Veröffentlicht:08.06.2023, 07:20

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Alexander Zverev startete seine Vorbereitung auf das große Halbfinale bei den French Open bester Laune. Mit breitem Grinsen im Gesicht und einem „Guten Morgen“ als Begrüßung ging der Tennis–Olympiasieger auf den Trainingsplatz.

Beobachtet von seinem Vater schlug er am Vortag der Partie in der Pariser Mittagshitze zunächst ein paar Aufschläge. „Ich bin extrem glücklich, dass ich hier bin, aber das Turnier ist noch nicht vorbei“, sagte er vor dem Duell mit dem Norweger Casper Ruud am Freitag angesichts des großen Traums vom ersten Grand–Slam–Titel.

Am Vorabend war Zverev selbst noch ein wenig genervt gewesen. Vom Interview auf dem Platz bis zum chinesischen Fernsehen musste der Olympiasieger seinen Weg nach dem Verletzungsschock zurück ins Halbfinale erzählen — und wollte den Blick doch am liebsten auf die Chance auf den ersehnten Premierentriumph bei einem der vier großen Turniere richten. 

„Wir können über die Verletzung so oft wir wollen reden. Am Ende des Tages bin ich hier, um Tennis–Matches zu gewinnen. Ich bin im Halbfinale von Roland Garros, es gibt nicht sehr, sehr viele Spieler, die das geschafft haben“, betonte der 26–Jährige. „Man kommt nicht in das Halbfinale von Roland Garros, wenn da immer noch was fehlt.“

Nun gegen Ruud

371 Tage nach seinem Umknicken am gleichen Ort im Halbfinale gegen Rafael Nadal steht Zverev am Freitag wieder unter den Top Vier — und will gegen den Ruud in sein erstes Endspiel beim Sandplatzklassiker in Paris. Als erster Deutscher seit Michael Stich 1996. „Ich bin froh, wieder hier zu sein, aber ich habe hier hoffentlich noch zwei Matches, und sie werden nicht einfacher“, sagte Zverev. Spätestens in einem Endspiel gegen den überragenden Weltranglistenersten Carlos Alcaraz (20) aus Spanien oder den serbischen 22–maligen Grand–Slam–Turniersieger Novak Djokovic (36) wäre Zverev krasser Außenseiter.

Dabei wird Zverev am Freitag erst nach den beiden Topfavoriten auf den Platz gehen. Die Partie des Deutschen wird frühestens um 17.30 Uhr beginnen — es könnte aber auch deutlich später werden, sollten Alcaraz und Djokovic sich ein langes Duell liefern.

Anerkennend blickte Zverev während seines Interview–Marathons nach dem Viersatzerfolg gegen den Argentinier Tomás Martin Etcheverry kurz auf den Fernseher an der Wand des Untergeschosses am Court Philippe–Chatrier. Dabei sah er, wie Ruud gerade den dänischen Youngster Holger Rune überraschend deutlich im Griff hatte. „Er ist ein sehr, sehr guter Tennisspieler, ein sehr solider Tennisspieler“, sagte Zverev über seinen nächsten Gegner. „Casper war schon mal in dieser Situation, er war letztes Jahr hier im Finale, er weiß ganz genau, was zu tun ist.“

Als der 24 Jahre alte Norweger vor einem Jahr im Finale gegen den Sandplatz–Dominator Nadal unterlag, stand Zverev kurz vor der Operation am kaputten Knöchel. „Es ist großartig, Sascha zurück im Halbfinale zu sehen“, sagte Ruud. Von Zverevs „Rendezvous“, schrieb die französische Sporttageszeitung „L'Équipe“ angesichts des dritten Halbfinals von Zverev in Serie auf der Titelseite.

Für Zverev ist es sein sechstes Halbfinale bei einem Grand–Slam–Turnier. Bei den US Open 2020 kam er ins Finale und unterlag dem Österreicher Dominic Thiem. Viermal setzte es bislang eine Niederlage: Bei den Australien Open 2020 gegen Thiem, den US Open 2021 gegen Djokovic, den French Open 2021 gegen Stefanos Tsitsipas — und 2022 bei der Aufgabe gegen Nadal. „Er ist zurück da, wo er vor einem Jahr war. So wird es für jeden Gegner schwer gegen ihn“, sagte Eurosport–Experte Boris Becker.

Zverev: „Ich erwarte ein sehr schwieriges Match“

Seit seiner Rückkehr wartet Zverev jedoch noch auf einen Sieg gegen einen Spieler aus den Top Ten der Weltrangliste — sechs Niederlagen setzte es seit seinem Comeback. Nicht nur deshalb wäre ein Erfolg über den Weltranglistenvierten Ruud die endgültige Bestätigung der Rückkehr zu alter Extraklasse. „Zverev kommt stark nach seiner Verletzung zurück, aber aktuell sehe ich Casper im Finale“, orakelte jedoch Ruuds unterlegener Viertelfinalgegner Holger Rune.

Der Norweger ist jedoch ein Unvollendeter — noch viel mehr als Zverev, der zwar auch noch kein Grand–Slam–Turnier gewann, aber Olympia–Gold, fünf Masters–Titel und zwei Siege bei den ATP Finals vorzuweisen hat. Bei den French Open und den US Open schaffte es der Norweger ins Endspiel, wartet aber auf den großen Triumph. Alle zehn Titel seiner ATP–Karriere holte der Sandplatzspezialist bislang bei Turnieren der vierthöchsten Kategorie. „Ich erwarte ein sehr schwieriges Match“, sagte Zverev.

Am späten Abend blickte er dann selbst doch noch einmal in die eigene Vergangenheit zurück. „Jede Reise hat ihre Herausforderung“, war auf Englisch auf seinem Instagram–Account zu lesen. Dazu ein Bild mit erhobenem Daumen im Krankenbett und ein Jubel–Foto. „Ein Jahr danach bin ich zurück.“