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Verkehrte Welten: Dortmund überholt auch die Bayern-Spitze

München / Lesedauer: 4 min

Die Bayern-Führung tritt vor dem Clásico beim BVB ungewohnt demütig auf
Veröffentlicht:09.11.2018, 22:51

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Die Fragen nach dem Druck, nach seinem Job, der bei einer klaren Pleite eventuell auf dem Spiel steht, das alles kann Niko Kovac nicht mehr hören. „Sie können mir glauben: Ich verspüre keinen Druck“, sagte der Bayern-Trainer am Freitag. Er weiß jedoch vor dem heutigen Spitzenspiel bei Tabellenführer und Herausforderer Borussia Dortmund (18.30/Sky): „Es geht für uns um viel. Wir wollen den Abstand zu Dortmund verringern.“ Seine Rechnung: „Sieben Punkte wären viel, einer wenig.“ Der 47-Jährige gibt vor, das wichtigste Spiel seiner bisherigen Amtszeit locker anzugehen. Denn, so Kovac: „Dortmund ist Favorit. Wir sind diejenigen, die jagen müssen.“

Dabei hat er es tatsächlich leichter als man vor ein paar Tagen glauben wollte. Dank Uli Hoeneß . „Man kann ja nicht nach Dortmund fahren und sagen, man will einen Dreier einfahren“, hatte der Präsident gesagt und auch fleißig an der Mär von der Außenseiter-Rolle des Abo-Meisters gestrickt. Die abermalige Titelverteidigung sei kein Muss, so die ganz neuen – unüblichen – Töne des Präsidenten. „Die Meisterschaft würden wir gerne immer haben, aber wenn es mal nicht so ist, wird der FC Bayern nicht untergehen.“ Kovac dazu: „Das zeigt ja, dass ich das absolute Vertrauen des Klubs habe. Aber das heißt nicht, dass wir nicht Meister werden wollen.“

Defensiv und demütig gehen die Bayern ins Spiel, erstmals seit 2012 treten sie bei einem Tabellenführer an. Verkehrte Welten allüberall.

Hoeneß, 66, ist immer noch die Stimme des FC Bayern neben Karl-Heinz Rummenigge (63), dem nicht ganz so extrovertierten Vorstandsboss, der sich nach der Veröffentlichung der Gedankenspiele um eine europäische Super League schwammig geäußert hatte, als Unwissender zeigte. Im Vergleich zu den souveränen BVB-Bossen gab Münchens Führungsetage zuletzt ein schlechtes Bild ab, vor allem als man die Medien zum Termin einlud, um sie zu attackieren und ihnen zu drohen. Mit auf dem Podium Sportdirektor Hasan Salihamidzic (41), der um seinen Ruf und die Erweiterung seiner Aufgabengebiete kämpft. Für ihn, so Bayern-Kenner und Ex-Trainer Ottmar Hitzfeld „wäre es besser gewesen, wenn er bei der Pressekonferenz nicht dabei gewesen wäre“. Rummenigge fuhr seinem Sportdirektor, der – so Hitzfeld in „Sport Bild“ – „Verbindungsglied zwischen Mannschaft und Führung“ ist, bei einer Frage über den Mund. Ein nach außen getragener Blick ins Innenleben der Bosse.

Dortmund profitiert von Sammer und Kehl

Beim BVB füllt Ex-Profi Sebastian Kehl (38) die Rolle aus, die Salihamidzic im Grunde bekleidet. Er ist seit Saisonbeginn Teammanager, kümmert sich um organisatorische Dinge abseits des Platzes und entlastet so Manager Michael Zorc (56), der seit 2005 im Amt ist. Der starke Mann in Dortmund ist Geschäftsführer Hans-Joachim „Aki“ Watzke (59), ebenfalls seit 13 Jahren in der Vereinsführung. Ihm gelang es, Matthias Sammer (51), von 2012 an drei Jahre Sportdirektor mit klarer Meinung und starker Stimme bei den Bayern, als Berater zu verpflichten. Laut Watzke stehe Sammer für „ungeschminkte Analysen und eine unbequeme, aber von Vertrauen geprägte Diskussionskultur“.

Hitzfeld, zunächst skeptisch über Sammers Mitmischen, findet nun: „Dortmund ist erfolgreich, also muss man sagen: Sammer tut ihnen gut!“ Es sind die Vielfalt an Meinungen, die Mischung aus Erfahrung und Tatendrang, die Dortmund auf Führungsebene dem Bayern-Tandem Rummenigge/Hoeneß voraushat. Innovative Denker wie Philipp Lahm oder Max Eberl hatten in den Gesprächen um den Posten des Sportdirektors abgesagt, nachdem ihnen das eingeschränkte Aufgabenprofil klar wurde.

Vor dem Duell der deutschen Topklubs überraschte Sammer mit dieser Aussage: „Der BVB spielt auf keinen Fall besser als die Bayern. Das ist eine Mär. Die Nation hebt die Borussia in ein unrealistisches Licht.“ Kalkül. In bester Hoeneß-Manier. Dass der nun von seinem Rücktritt sprach, muss als Koketterie gewertet werden. „Ich mache diesen Job noch zwei, drei Jahre und will meinem Nachfolger eine volle Kasse übergeben. Dann können sie mit dem Geld machen, was sie wollen“, sagte er. Kaum zu glauben. Hoeneß, der Schwabe, dessen Lebenswerk der FC Bayern ist? Sein Nachfolger solle „jemand sein, der eine menschliche Seite hat, und aus dem Fußball kommen. Wir müssen die eierlegende Wollmilchsau suchen. Das wird schwer. Wenn ich einen wüsste, würde ich nächstes Jahr aufhören.“

Wird er nicht. Denn: An der Säbener Straße wurde es bisher versäumt, eine Wollmilchsau mit Ulimilch aufzuziehen.