StartseiteSportSo freunden sich Kletterer mit der neuen Disziplin für Olympia an

Vorstieg

So freunden sich Kletterer mit der neuen Disziplin für Olympia an

Innsbruck / Lesedauer: 5 min

Zum ersten Mal messen sich Spitzenkletterer bei WM in Innsbruck in der Kombination – Deutscher holt Bronze
Veröffentlicht:17.09.2018, 18:51

Von:
Artikel teilen:

Jakob Schubert hängt in etwa 20 Meter Höhe und umklammert zwei kleine gelbe Griffe, wie ein Schraubstock packen seine Finger zu. Dann setzt er behutsam die Füße höher und tastet mit der linken Hand nach oben. Weiter als bis zu diesem Punkt ist fast keiner seiner fünf Konkurrenten gekommen – außer Superstar Adam Ondrak, der wenige Minuten zuvor am vorletzten Griff der Route abrutschte. Schubert ist noch etwas weiter unten. Er packt zu und hält auch diesen Griff fest. „Yes, Jockel“, ruft der Hallensprecher aus dem Häuschen, „das isser, das isser, das isser, das isses, das ist Gold“. Damit wird der 27-jährige Österreicher der erste Weltmeister der neuen Kletterdisziplin namens „Kombination“. Und das auch noch bei der WM im eigenen Land.

Aber wie kann das sein, dass der Tscheche Adam Ondra zwar höher klettert, Schubert aber Gold gewinnt? Das liegt am Punktesystem dieser neuen Disziplin, die am Sonntag in Innsbruck das erste Mal ausgetragen wurde. Die gut inszenierte Show war ein Testlauf für die Olympischen Spiele in Tokio 2020. Da feiert Klettern seine Premiere als olympische Sportart. Aber nicht in den traditionellen Disziplinen Vorstieg und Bouldern, sondern zusammen mit dem „Speedklettern“ als Dreifachwettkampf.

Es hagelte Kritik aus der Kletterelite

Als das bekannt wurde, hagelte es Kritik aus der Welt der Elitekletterer: „Die IOC will sich doch nur Medaillen sparen“, raunte es. „Speedklettern hat doch mit dem Kerngedanken des Kletterns nichts zu tun“, höhnte es. Tatsächlich wird Speedklettern, bei dem auf Zeit geklettert wird, nur in wenigen Ländern professionell betrieben. „Dann werden nur mittelmäßige Kletterer um die Olympia-Medaillen kämpfen, weil die Superstars unerfahren im Speedklettern sind“, munkelte es.

Tatsächlich dachte Adam Ondra laut drüber nach, den Kombinationswettbewerb zu boykottieren – und damit auch Olympia . Nun ist er aber dabei. Auch der Deutsche Alexander Megos, in Innsbruck sensationeller Bronzegewinner im Vorstieg, hat sich „noch nicht vollends entschieden“, ob er bei Olympia dabei sein will. Doch genau das – wenn die Stars fehlen würden – wäre für die Olympiapremiere das größere Problem als der Wettkampfmodus. Denn all die Befürchtungen entpuppen sich am Sonntagabend als ungerechtfertigt. Kombination, das zeigt sich hier das erste Mal vor großem Publikum, ist ein ziemlich spannungsgeladener Wettkampf, bei dem von Anfang bis Ende alles möglich ist – auch und vor allem für die Kletter-Superstars.

Das liegt am Wertungssystem, das leicht zu verstehen ist: Sechs Kletterer treten im Finale in drei Disziplinen an. Zuerst wird ein Geschwindigkeitsturnier ausgetragen. Danach muss jeder Athlet vier knackig kurze Boulderprobleme auf Absprunghöhe bewältigen. Zum Schluss geht es zum Vorstieg in die große Wand, die nach etwa zweieinhalb Stunden Wettkampf noch mal Ausdauer abverlangt. Die jeweiligen Ränge der Einzeldisziplinen werden miteinander multipliziert. Wer den niedrigsten Punktestand hat, gewinnt.

Adam Ondra wird in Innsbruck Fünfter beim Speed, Zweiter beim Bouldern , Erster beim Vorstieg. Fünf mal zwei mal eins ergibt zehn Punkte. Jakob Schubert wird Zweiter beim Speed, Erster beim Bouldern und Zweiter beim Vorstieg. Zwei mal eins mal zwei ergibt vier Punkte. Ondra gewinnt Silber, Schubert Gold. Doch das ist bis zum letzten Moment, in dem Jakob Schubert in der Wand hängt, unsicher. Über den Verlauf des Wettkampfs wechselt die Führung zwischen allen sechs Athleten hin und her.

Und auch ein Deutscher kämpft vorne mit: Weil Jan Hojer Gefallen am Speedklettern gefunden und eigens trainiert hat, zieht er alle anderen sprichtwörtlich ab. Und weil eine 1 ein ziemlich geringer Multiplikator ist, gelingt ihm, obwohl er im Vorstieg nur Platz sechs erreicht, mit 24 Punkten eine kleine deutsche Sensation: Bronze. Eigentlich klettert Hojer, der im Einzel die Finals verpasst hat, eher im Mittelfeld. „Für mich ist das die Bestätigung, dass ich nichts falsch gemacht habe“, sagt der 26-Jährige nach seinem Wettkampf. In der Qualifikationsrunde wurde er 13. im Speed, Sechster im Bouldern und 20. im Vorstieg.

Wer eine Einzeldisziplin gewinnt, hat die besten Chancen auf den Sieg

Das Finale aber zeigt: Wer eine Einzeldisziplin gewinnt, hat die besten Chancen auf eine Medaille. Die Multiplikation macht es eben spannend. Durch die zwei Medaillen war die WM in Innsbruck die erfolgreichste der Geschichte für den Deutschen Alpenverein.

Spannend für alle, egal ob Kletterer oder nicht. Zuschauerin Johanna Filzmoser ist das erste Mal bei einem Kletterwettkampf und klettert selbst nicht: „Es kann sich jederzeit was ändern“, sagt die Innsbruckerin, „das ist sehr spannend.“ Laura und Adam Turner aus England finden den Wettkampf insgesamt auch gut, aber etwas unfair, weil Speedklettern für viele Athleten als ganz neue Sportart zu bewerten ist. Aber da das Punktesystem das Teilnehmerfeld ausbalanciert, bleibt die Spannung erhalten.

In nur drei Stunden bekommt der Zuschauer in allen drei Disziplinen Sport auf dem höchsten Niveau zu sehen. Für den Auftakt bei Olympia ist das ein gutes Zeichen. Für alle Kletterer sollte das bedeuten: Jetzt erst recht mitmachen, damit in Tokio die Sensation perfekt wird.

Der Wettkampf der Frauen, der am Vormittag stattfand, war mindestens genauso spannend. Selbst wenn die Slowenin Janja Garnbret die Kombination dominiert: Zwar Fünfte beim Speed, aber Erste beim Bouldern und Erste beim Vorstieg. Mit fünf Punkten wird sie die erste neue Weltmeisterin im Kombinationsklettern. Die Koreanerin Sol Sa kommt mit zwölf Punkten auf Platz zwei und die Österreicherin Jessica Pilz mit 24 Punkten auf Platz drei.

Zum Schluss, als Jakob Schubert nach dem 37. Griff aus der Wand fällt, stehen die Zuschauer auf, um den ersten Weltmeister dieser Disziplin zu feiern, der damit gleich ein Doppeltweltmeister wird. Denn eine Woche zuvor gewann Schubert Gold im Vorstieg. Und das im eigenen Land.