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Abenteuer

Der Trubel wird das größte Abenteuer

Lindau / Lesedauer: 4 min

Tischtennisspieler Thomas Brüchle aus Lindau hofft auf Medaillen bei den Paralympics
Veröffentlicht:25.08.2012, 10:55

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Heute hebt Thomas Brüchle ab. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der 36-Jährige macht sich auf den Weg nach London zu den Paralympics – nicht als Fan, sondern als Aktiver. Im Tischtennis will der Vize-Europameister im Einzel und Europameister mit der Mannschaft nach Medaillen greifen.

Doch beim Blick voraus beweist er Bodenhaftung: „Das schwierigste werden die äußeren Umstände sein“, befürchtet er: der Medienrummel, beispielsweise, „außerdem habe ich noch nie vor 6000 Menschen gespielt.“ Aber vielleicht kann er der Situation ja auch komische Seiten abgewinnen. „Ich weiß nicht, wie das ist, wenn auf dem Videowürfel in der Halle mein Gesicht beim Aufschlag gezeigt wird, und ich vielleicht sehe, wie ich es gerade verziehe.“

Für den Lindauer sind die Paralympics das größte sportliche Abenteuer seines Lebens. Zehn Jahre war er alt, als eine Rückenmarkblutung aus dem begeisterten Fußballer zunächst einen Rollstuhlfahrer machte. Ein Schlag, aber keiner der ihn umwarf. „Ich wollte unbedingt weiter Sport machen“, erinnert er sich.

Nun gibt es kaum eine Sportart, in der sich Rollfahrer und Fußgänger mit so einer Selbstverständlichkeit messen können, wie im Tischtennis. Natürlich hat ein Rollstuhlfahrer Nachteile. Eine schnelle Beinarbeit ist im Tischtennis die halbe Miete. „Als Rollstuhlfahrer muss ich mehr improvisieren, weil ich oft nicht optimal zum Ball stehe“, nennt er einen Unterschied.

Doch auch in seinem eigenen Spiel gibt es Unterschiede. Steht er für Lindau-Zech in der Landesliga an der Platte, dann versucht er mit dem Tempo des Gegners mitzuspielen. „Gegen Rollstuhlfahrer versuche ich stärker, ihre Schwächen zu nutzen.“ Mal ist dies ein kurzer Ball hinter das Netz, wenn ein Gegner nicht über die entsprechende Reichweite verfügt, es kann aber auch ein Ball nah an den Körper sein. Denn in einem unterscheidet sich Rollstuhl-Tischtennis nicht von der Fußgänger-Variante: Es gibt unglaublich viele Spielmöglichkeiten, Schnittvarianten. Vor allem ist es eine Frage der Einstellung und der Konzentrationsfähigkeit. Körperliche und vor allem psychische Robustheit helfen da entscheidend weiter.

Eigenschaften, die Brüchle durchaus ausstrahlt. Eine gewisse Härte gegen sich selbst ist bei seinem Programm ohnehin notwendig. Denn während die Konkurrenz beispielsweise aus China den Sport als Vollprofis betreibt, ist Brüchle voll berufstätig. Als Grund- und Hauptschullehrer in Kressbronn hat er ein volles Deputat. Andererseits verhilft ihm diese Anstellung auch zu einer gewissen finanziellen Sicherheit.

Denn während in anderen Ländern der Behindertensport längst professionell betrieben und vermarktet wird, macht in Deutschland auch gern nochmal das böse Wort von der „Krüppelolympiade“ die Runde, wenn es um die Paralympics geht. Nur wenige Athleten schaffen es, wie die gebürtige Lindauerin Verena Bentele, ins Licht einer breiteren Öffentlichkeit zu treten.

Brüchle hat immerhin drei Sponsoren und etwas Geld von der Sporthilfe. „Das hilft zumindest, die Kosten zu decken“, sagt er. Wobei er nicht verschweigt, dass er in den vergangenen zwei Jahren das Startgeld von 500 Euro bei Weltranglistenturnieren noch selbst bezahlt hat.

Ohnehin hat er nicht mehr mit einer Nominierung für London gerechnet. Denn 17 Jahre lang hat Brüchle kein Rollstuhltischtennis gespielt. Vor zwei Jahren stieg er wieder ein und auf Anhieb in die europäische Spitze. Vize-Europameister im Einzel, dazu den Europameistertitel mit der Mannschaft: Ein Aufstieg in Rekordzeit. Gleichzeitig etablierte er sich mit Frankfurt in der Bundesliga und gewann zuletzt den Deutschland-Pokal.

Allesamt Erfolge, die Selbstvertrauen geben. Auch, wenn in London die Konkurrenz deutlich härter wird. Natürlich sind hier die Chinesen das Maß aller Dinge. Außer gegen die beiden Chinesen habe ich gegen alle Spitzenspieler schon gespielt und auch mal gewonnen“, sagt Brüchle. Doch die Einschränkung folgt: „Wir spielen in acht Dreier-Gruppen und nur der Gruppensieger kommt weiter.“ Das heißt: „Man muss in jedem Spiel voll da sein.“

Seine Eltern werden ihn begleiten. „So eine Rückendeckung tut gut“, findet er. „Ich will dort einfach mein bestes Tischtennis zeigen“, hat er sich ganz bodenständig zum Ziel gesetzt. Sollte das für eine Medaille reichen, dann bekommt er Besuch in London. TSG-Vorsitzender Werner Schönberger hat bereits angekündigt: „Dann hole ich den persönlich ab.“