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Fußballmetropole

Mit der „Mentalität von elf Kriegern“ zur Wende

Sotschi / Lesedauer: 3 min

Sotschi soll nach Samstag nicht in einer Reihe mit Cordoba und Gijón stehen
Veröffentlicht:22.06.2018, 19:02

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Es sind nicht die großen Fußballmetropolen, sondern kleinere Städte, die für historische Dramen der deutschen WM-Geschichte stehen. Cordoba 1978 mit dem peinlichen 2:3 gegen Österreich. Oder Gijón 1982 mit dem Nichtangriffspakt gegen Österreich sowie Lyon 1998 als Kroatien die DFB-Elf im Viertelfinale mit 3:0 nach Hause schickte.

Reiht sich in diese Aufzählung der Schande am Samstagabend „ Sotschi 2018“?

Der Kurort am Schwarzen Meer, der in den letzten Tagen dank seiner kilometerlangen Strandpromenade Fans, Spieler sowie Bundestrainer Joachim Löw zum Flanieren, Sonnen und Baden einlud, könnte künftigen Generationen als Synonym für das Scheitern der Weltmeister von 2014 dienen. Bei einer Niederlage im zweiten Gruppenspiel gegen Schweden (20 Uhr, ARD und Sky) und einem Erfolg der Mexikaner wenige Stunden zuvor gegen Südkorea droht dem DFB-Team das Undenkbare: Chancenlos auf die K.o.-Runde nach zwei Partien, kein Super-, eher ein Mega-GAU. Historisch schlecht. Das ohnehin irgendwie dämlich-nichtssagende, aber immerhin selbstbewusst daherkommende Motto der Titelverteidiger „Best Never Rest“ würde ihnen im vorzeitigen Urlaub pausenlos in den Ohren klingeln.

„Wir haben keinen Joker mehr. Wir haben sechs K.o.-Spiele“

Doch warum zweifeln? Warum vom Scheitern ausgehen? Das wäre gegen jede Sportlerehre und kontraproduktiv für die 90 Minuten Wahrheit auf dem Platz. „Wir sind überzeugt, dass wir das Spiel gewinnen“, sagte Sami Khedira , als ihm ein schwedischer Journalist am Donnerstag ein Rückflugticket andrehen wollte. So geht Optimismus. Khedira weiter: „Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Mannschaft den Charakter und den Willen hat, dieses Turnier noch weiterzuführen.“ Er sagte aber auch: „Wir haben keinen Joker, keinen Bonus mehr. Wir haben sechs K.o.-Spiele“, sagte er und forderte die „Mentalität von elf Kriegern“.

Braucht dieses Team den maximalen Druck? Geht es nur dann, wenn man sich nicht mehr – wie zuvor im Trainingslager und trotz der Warnschüsse in den Tests gegen Österreich (1:2) und Saudi-Arabien (2:1) – einreden kann, dass es doch immer gut gegangen und diese Mannschaft wie selbstverständlich auf den Punkt fit und bereit sei?

Die Mexikaner führten den Titelverteidiger taktisch an der Nase herum. Die Führungsspieler der WM-Helden von Rio wirkten wie Autofahrer, die im nahenden Stauende trotz aller Warnungen gedanken- und tatenlos auf die bereits gecrashten Wagen auffuhren. Tilt! Ein Auffahrunfall ohne GPS, ohne taktischen Airbag, ohne Lösungsansätze vom Trainer oder den Leadern der Reisegruppe.

Weil sich die Voyeure dieser kollektiven Havarie, also Fans und Medien, in den Tagen danach die Protagonisten vorknöpften, reagierten die Unfallfahrer teils einsichtig und gaben wie Khedira eine Selbstanzeige auf, teils aber auch genervt und beleidigt. Etwa Mats Hummels, der nun jedoch wegen eines ausgerenkten Halswirbels ausfällt. Als Alternativen für die Innenverteidigung stehen Niklas Süle oder Antonio Rüdiger parat.

Auch ohne Hummels – nach der angespannten Aufarbeitung der Mexiko-Pleite kann Trotz entstehen, eine Jetzt-zeigen-wir-es-allen-Haltung. Mit dieser aus Wut gespeisten Energie hat eine deutsche Nationalelf schon oft ihren Karren wieder flottbekommen.

Löw nutzte die Bühne Sotschi, Lässigkeit zu demonstrieren

Das Spiel gegen Schweden könnte zum Nadelöhr dieses Turniers werden. Auch an früheren WM-Kreuzungen (das 4:2 gegen Schweden 1974 in der Zwischenrunde, das 2:1 gegen Holland im Achtelfinale 1990, das 2:1 gegen Algerien im Achtelfinale vor vier Jahren) nahm Deutschland die richtige Ausfahrt und parkte am Ende an der Haltestelle Weltmeister. Schweden wird ein sportlicher Stresstest, eine moralische Charakterprüfung. Ende oder Wende?

Besonders Joachim Löw hatte die Bühne des Kurorts Sotschi ganz bewusst dafür genutzt, Lässigkeit zu demonstrieren. Er poste sonnenbebrillt und kurzbehost für Fotos an der Strandpromenade als wäre er schon im Titelverteidigerurlaub. Tollkühn? Gar dreist oder einfach nur keck und von Selbstverständnis übermannt? „Jogi cool“ setzte alles auf eine Karte.

Für Samstagabend sind in Sotschi Gewitter angesagt. Es wird knallen.

So oder so.