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Schaffensphase

Die Retro-Bayern

Sport / Lesedauer: 4 min

Der Fußball der Münchner ist nicht mehr stilbildend – die Prioritäten liegen woanders
Veröffentlicht:31.01.2017, 21:20

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Schuld ist Louis van Gaal. Während seiner Münchner Schaffensphase von 2009 bis 2011 bewies der Niederländer zwar, dass er mit Abstand der kauzigste Kauz im Fußball ist. Doch vor allem veränderte er nachhaltig die Spielidee des Rekordmeisters. Vor van Gaals Ankunft bestand die Spielidee der Bayern darin, Spiele zu gewinnen.

Fortan durften die Bälle auch im Training nicht mehr „hoppelen“, musste Thomas Müller immer spielen, verschoben sich ganze Mannschaftsteile in die Nähe des Balles, sollte der Ball so lange wie möglich in den eigenen Reihen gehalten werden. Die Folge waren Kurzpass- und teilweise auch Ballbesitzorgien, zumindest im ersten Jahr viele Tore und immerhin das Double. Kurz: Louis van Gaal erfand die Ballbesitz-Bayern. Zudem hinterließ er seinem Nachfolger Jupp Heynckes eine Mannschaft, die er nach kleineren Verfeinerungen der van Gaal’schen Taktik und einem Trauma (Finale dahoam!) 2013 zum Triple führte.

Guardiola und der Rondo

Schuld ist noch viel mehr Pep Guardiola , der Katalane mit dem Ballbesitzfetisch. Als er Heynckes beerbte, ließ er seine Profis als allererstes jenes Spielchen üben, das er fast so sehr liebt wie Ballbesitz: Rondo, das gute, alte Kreisspiel oder Fünf-gegen-Zwei, allerdings in der verschärften Variante: Zwei Spieler im Kreis, außen sechs bis acht Akteure, nur ein Ballkontakt erlaubt. Die Folge des exzessiven Rondo-Übens, stundenlangen Einstudierens aller möglichen Pass- und Spielsituationen und ausdauernden Videostudiums: noch orgiastischere Ballbesitzorgien und betörende Passstaffetten. Dazu Spieler, die auf jeder Position spielen konnten, Taktikwechsel auch während der Partien, eine unglaubliche Dominanz und Gier auf Tore. Mindestens zwei Jahre lang spielte der FC Bayern den modernsten und stilbildendsten Fußball der Welt. Teilweise schien es, dass Guardiola und seine Bayern den Zufall verbannt hatten aus ihrem Spiel, das nur im Halbfinale der Champions League gegen spanische Gegner an seine Grenzen stieß – das aber gleich dreimal.

Und jetzt? Gewinnen die Münchner wie eh und je, 14 Siege in 18 Bundesligaspielen sind ein weit überdurchschnittlicher Wert. Und natürlich stehen sie wie eh und je an der Tabellenspitze und haben auch im Pokal und der Champions League noch alle Chancen. Doch die Mannschaft erinnert nur noch in recht selten gewordenen lichten Momenten an die Mannschaft und das Spiel, das sie noch bis zum vergangenen Mai regelmäßig praktizierte. Die Power ist weg, die Dominanz, die Gegner erdrückte und Fans entzückte, ebenso, zuletzt in Bremen erkannte Trainer Carlo Ancelotti sogar eine gewisse „Ängstlichkeit“ nach dem Bremer Anschlusstreffer. Stilbildend ist der Fußball der Bayern längst nicht mehr, auch nicht in der Bundesliga. Der wird eher in Leipzig oder Hoffenheim praktiziert, wo gut geölte Pressingmaschinen am Werk sind.

Die Bayern dagegen kommen derzeit ziemlich rückwärtsgewandt daher, ziemlich retro. Es zählen, so scheint es, vor allem wieder: die Siege, die Titel. Das kann man ihnen nicht einmal unbedingt verdenken, die in ihren Grundzügen von van Gaal erfundene Mannschaft kommt langsam in die Jahre, ist aber noch immer unentbehrlich: Die jungen Flügelstürmer Kingsley Coman und Douglas Costa sind derzeit schwächer als das Evergreen-Duo Robbéry, das durch Franck Ribérys Verletzung nun auch noch für mindestens zwei Wochen gesprengt wurde. Im zentralen Mittelfeld setzt Ancelotti meist auf die Routiniers Arturo Vidal und Xabi Alonso statt auf Joshua Kimmich und Renato Sanches, der nach seiner Form von der Europameisterschaft sucht. Außerdem: Ancelotti wurde vor allem geholt, um das zu schaffen, woran Guardiola scheiterte. Er soll die Champions League nach München holen, mit aller Macht – und allen Motivationstricks – die Routiniers noch einmal zur Höchstleistung antreiben.

Dass das funktionieren kann, hat Ancelotti vor genau zehn Jahren schon einmal bewiesen, als er eine nach heutigen Fußballmaßstäben sogar uralte Milan-Mannschaft um Paolo Maldini und Filippo Inzaghi zum Triumph führte. Mit einer sehr defensiv und auf Konter ausgerichteten taktischen Grundordung – die Ancelotti am liebsten auch jetzt in München spielen würde. Dem „kicker“ sagte er dieser Tage: „Allmählich müssen wir vertikaler und direkter in die Spitze spielen. Ballbesitz alleine reicht nicht.“ Und: „Ich bin ein Italiener. Meine Meinung ist: Meister wird nicht, wer mehr Tore schießt – sondern wer weniger zulässt. Und da sind wir auf einem guten Weg.“

Franck Ribéry wird dem FC Bayern mindestens zwei Wochen fehlen. Der Flügelspieler zerrte sich im Training bei einem Zusammenprall mit Mats Hummels den rechten hinteren Oberschenkel.