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Corona und der Profifußball: Die Vorbildfunktion ist längst verschwunden

Sport / Lesedauer: 4 min

Zu Beginn der Pandemie setzte die Bundesliga alles daran, wieder spielen zu dürfen. Das Argument: eine Vorbildwirkung. Davon ist eineinhalb Jahre später nichts mehr zu spüren. Der Fall Anfang könnte ein neuer Tiefpunkt sein, kommentiert Martin Deck.
Veröffentlicht:21.11.2021, 20:45

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Natürlich, eine ordentliche Portion Populismus ist sicher dabei, wenn Politiker wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ( CSU ) oder Nordrhein-Westfalens Landeschef Hendrik Wüst (CDU) auf der großen Bühne eine Impfpflicht für Profifußballer fordern. Zu gerne greift die Politik die Chance auf, mit dem vorwurfsvollen Fingerzeig auf prominente Persönlichkeiten von den eigenen Versäumnissen abzulenken. Dabei gibt es eigentlich keinen Grund, weshalb gerade für diese Gruppe besondere Bedingungen herrschen sollen. Soweit bekannt, sind Profisportler weder besondere Pandemietreiber, noch besteht für sie eine erhöhte Gesundheitsgefahr. Der Kontakt zu vulnerablen Gruppen hält sich ganz sicher in Grenzen.

Aus ethischer Sicht ist die Debatte dennoch berechtigt. Schließlich erscheint es nur fair, dass für die Akteure auf dem Spielfeld dieselben Regeln gelten wie für die Personen auf den Tribünen – nämlich der Status als geimpft oder genesen. Natürlich lässt sich nun argumentieren, das eine sei Arbeit und das andere Freizeit. Dennoch wäre der Profifußball gut beraten, sich bei einer 2G-Bestimmung nicht querzustellen. Klar, andere Berufszweige würden dann anders behandelt. Aber andere Berufszweige sind auch anders durch die Pandemie gekommen – und haben sicher nicht die Freiheiten bekommen wie die Bundesliga zu Beginn der Krise. Mit der wichtigen Vorbildfunktion des Profifußballs argumentierten hohe Funktionäre damals im Frühjahr 2020, warum der Ball wieder rollen muss. Der Fußball bekam seine Sonderrolle – und hat diese, so viel weiß man heute, mit der strikten Einhaltung von Hygienekonzepten auch gerechtfertigt.

Doch längst hat der Profifußball jene vor eineinhalb Jahren beschworene Vorbildfunktion eingebüßt. Immer wieder sorgten die gesamte Branche einer teils bedenklichen Ignoranz der gesamtgesellschaftlichen Situation gegenüber und einzelne Kicker mit Verstößen gegen die Corona-Maßnahmen für negative Schlagzeilen. Dass sich die meisten Akteure der Bundesliga an die Regeln halten, gerät angesichts dieser Fälle ebenso in den Hintergrund wie die Tatsache, dass die Impfquote von rund 90 Prozent im Fußball-Oberhaus weit über dem Bundesdurchschnitt liegt. Das Negative überwiegt. Dei teils halbherzigen Kampagnen für eine höhere Immunisierung in der Bevölkerung haben wenig gefruchtet, stattdessen ist das Impf-Nein prominenter Nationalspieler wie Joshua Kimmich Wasser auf die Mühlen der Verweigerer. Vor allem aber ist es leichtsinnig und unsolidarisch.

Gar kriminell wäre das Verhalten von wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten. Dem mittlerweile Ex-Trainer von Zweitligist Werder Bremen wird vorgeworfen, für den Nachweis seiner Corona-Impfung ein falsches Zertifikat benutzt zu haben. Das Gesundheitsamt Bremen stellte Strafanzeige, die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf. Anfang weist die Vorwürfe zurück. Trotzdem bot er seinen Rücktritt an. Der Verein nahm an. „Der Vorwurf, der im Raum steht, ist massiv“, sagte Geschäftsführer Frank Baumann . Mit tiefen Augenrändern kommentierte der Sportchef das Aus für Anfang, der mit seiner gemeinsamen Kündigung mit Co-Trainer Florian Junge einer Freistellung nur zuvorkam. „Wir hätten uns aufgrund der Indizienlage natürlich auch mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen auseinandergesetzt“, sagte Baumanns Geschäftsführer-Kollege Klaus Filbry .

Die Staatsanwaltschaft hat Anfangs Impfpass beschlagnahmt. „Inwieweit der Impfausweis tatsächlich falsch ist, das werden wir zeitnah klären können“, sagte Staatsanwalt Frank Passade . Nach Angaben des Internetportals Deichstube sollen im Nachweis des Trainers die Chargennummer des Impfstoffs und ein Impfdatum unstimmig sein. Ein Impftermin soll sich mit einem Einsatz als Werder-Trainer überschneiden. Eine Verfehlung eingeräumt hat der 47-Jährige, der am Freitag noch vehement seine Unschuld beteuert und angegeben hatte, geimpft zu sein, bislang nicht. Dass Anfang selbst nicht mehr um seinen Job gekämpft hat, gibt bei der Suche nach der richtigen Bewertung der Geschichte aber schon die Richtung vor. Bestätigt sich der Verdacht und wird Anfang verurteilt und bestraft, wäre er als Trainer kaum noch vermittelbar. Vor allem würde es dem Profifußball großen Schaden zufügen. Wenn sich bekannte Gesichter aus Ablehnung der Impfung jetzt sogar der Dokumentenfälschung schuldig machen, wäre eine neue Dimension erreicht.