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Pascal Wehrlein: Viele kleine Siege

Sport / Lesedauer: 5 min

Für den Worndorfer ist die Ergebnisliste allein im Formel-1-Debütjahr bei Manor Racing nicht Maß allen Gasgebens
Veröffentlicht:30.06.2016, 21:37

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„Unglaublich – wirklich Wahnsinn, das Auto!“ Ein breites Grinsen bemächtigt sich Pascal Wehrleins, der Formel-1-Novize des britischen Manor-Racing-Teams strahlt. Man lenkt schließlich nicht jeden Tag einen Mercedes-Benz W 196 Monoposto durchs Asphaltgeschlängel des Motodroms. Der „Media Day“ von Hockenheimring Baden-Württemberg und Mercedes-Benz hielt diese Überraschung für den 21-Jährigen aus Worndorf (Landkreis Tuttlingen) parat. 300 Sachen, kein Sicherheitsgurt („irgendwie ein komisches Gefühl!“), „dieses riesige Lenkrad“, „der Sound extrem laut – mir hat’s fast die Ohren rausgehauen“. Kurz: eine „supertolle Erfahrung“.

Erfahrung(en) sammelt Pascal Wehrlein seit gut drei Monaten im Zwei-Wochen-Turnus. Nicht in einem Weltmeister-Wagen – den W 196 chauffierte Juan Manuel Fangio 1954 und 1955 zum Titel –, sondern im MRT05. Mercedes steckt auch unter dessen Haube, die „Mercedes-Benz PU 106C Hybrid“-Antriebseinheit sorgt 2016 bei Manor Racing für PS. Der Kundenmotor-Deal hatte es letztlich – etwas – leichter gemacht, dass die Untertürkheimer ihrem Hochbegabten, DTM-Champion 2015, Formel-1-Test- und Ersatzfahrer überdies, Rennpraxis ermöglichen können. Als Stammpilot beim Kellerkind, unter besonderer Beobachtung des Branchenprimus, mit langfristig allen Optionen: „Dieses Jahr“, weiß Pascal Wehrlein, „ist sehr wichtig für mich.“

Schwierig ist es auch. Manor war 2015 weit abgeschlagen, ohne Punkte; die Ressourcen sind begrenzt. Finanziell, personell. Beobachter schätzen das Budget auf unter 100 Millionen Euro, „140 Personen“, überschlägt Pascal Wehrlein, sei das Team stark. „Und 60 Leute sind während der Saison immer am Reisen, permanent. Also haben wir noch 80 Leute in der Fabrik, die das Auto designen, die neue Teile produzieren, dann maßanfertigen und so weiter. Da bleiben nicht mehr viele übrig, die das Auto weiterentwickeln. Und deswegen machen die ’ nen super-sensationellen Job.“

Platz 18 kann auch ein Erfolg sein

Leidenschaft, Herzblut – „jeder im Team ist am Pushen“. Pascal Wehrlein inklusive. In Resultaten liest sich das so: 16., 13., 18., 18., 16., 14., 17., Ausfall. Bei 22 Startern. Und einer klaren Ansage: „Man geht in ein Renn-Wochenende und man weiß: Selbst, wenn man ’nen Super-Job macht, ist vielleicht Platz 18 realistisch oder – wenn niemand ausfällt – Platz 19, Platz 20.“ Für einen, der in allen Rennserien, die er fuhr, ums Podest fuhr, ist das neu. „Damit hat man schon zu kämpfen.“ Pascal Wehrlein ist eine ehrliche Haut. Aber keiner, der den Kampf nicht annehmen würde. „Alles geben, ein so gutes Rennen wie möglich fahren“ – das geht auch, das muss auch gehen, wenn Platz 18 Maß allen Gasgebens ist.

Neu ist die Erkenntnis nicht, dass das Auto wichtig(st)er Erfolgsfaktor ist in der Formel 1 . Und da hat Manor aufgeholt, wegen des Mercedes-Motors, wegen des Getriebes von Technikpartner Williams. Aber die Annäherung ist keine rasante. Wie auch, als kleines Team? 2017, ja, da könnte der Sprung ein größerer werden. Die Kompetenz nämlich, die sich Renndirektor Dave Ryan mit etwa dem Technischen Berater Pat Fry, mit Aerodynamiker Nikolas Tombazis (beide früher Ferrari) geholt hat, wird erst beim MRT06 durchschlagen. Pascal Wehrlein: „Die sind im Dezember, Januar dazugekommen, da war das diesjährige Auto komplett fertig.“

So bleibt als Qualitätsnachweis – weil allein aussagekräftiger Vergleich – die Manor-interne Bilanz. Rio Haryanto, der 23-jährige Indonesier, war vorab gerne als Bezahlfahrer abgetan worden, staatlich subventioniert, minder schnell. Doch der Mann aus Surakarta entpuppte sich als hartleibig, als mitnichten langsam. Da ist das 7:1 zu Pascal Wehrleins Gunsten ein Statement, PR in eigener Sache. Deshalb gleich die Klarstellung: „Ich hätt’ ihn in allen acht Rennen geschlagen, wenn mir in Baku nicht zehn Runden vor Schluss die Bremsen versagt hätten.“ Nachsatz: „Unsere Mechaniker haben sich noch keinen Fehler erlaubt“, Bremsen sind Bauteile externer Herkunft! Übrigens: Dass das Kollegenduell im Qualifying 4:4 steht, unterschlägt Pascal Wehrlein nicht. „Da lief dieses Jahr einiges schief.“

Er soll das Team mit sich ziehen

Selbstbewusst, selbstkritisch, wohl wissend, dass Boxencrew und Ingenieure Fahrer-Lob aufmerksam registrieren – nach einem Vierteljahr Formel 1 kommt Pascal Wehrlein dem Anspruch schon recht nahe, den Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff für die Manor-Zeit des Worndorfers definiert hat: „Er muss als Formel-1-Neuling gleich ein Team mit sich ziehen.“ Fazit nach einem Saisondrittel: „Das macht er richtig gut.“ Auch auf der Strecke, sagt Dave Ryan: „Er ist schnell, hat tolle erste Rennrunden, hält sich aus Schwierigkeiten heraus und geht gut mit Rückschlägen um.“

Die wird es weiter geben. Im Zweikampf speziell mit Sauber um Platz zehn der Konstrukteurswertung (und damit ein wesentlich höheres Preisgeld). Im Geduldsspiel um Modifikationen, Updates am MRT05. Im permanenten Lernprozess, als den Pascal Wehrlein seine Premierensaison sieht. Im Mühen um die vielen kleinen Siege, die auch für einen Manor-Rennfahrer möglich sind: hier ein geglücktes Überholmanöver, da ein cleveres Verteidigen der Position, hier sieben gewonnene Plätze gleich nach dem Start (wie in Melbourne), da eine Erkenntnis in Sachen Abstimmung, Reifenmanagement und, und, und ...

Ein „sehr wichtiges“ Formel-1-Jahr, dieses erste. Jetzt, in der Gegenwart, die dieses Wochenende Red-Bull-Ring in Spielberg heißt (Rennen Sonntag, 14 Uhr/RTL). Aber auch mit Blick nach vorne. Pascal Wehrlein lächelt. Still vor sich hin, ertappt fast. Sein „persönliches Ziel“, sagt er, sei es, „in naher Zukunft um Rennsiege zu fahren. Und wenn man um Rennsiege fährt, kann man auch um die Weltmeisterschaft fahren.“ Okay, das sei „noch zu weit gedacht momentan“. Aber „wenn die Leistung stimmt, kann es möglich sein, dass ich die Chance bekomme“. In zwei Jahren, in drei. Irgendwann. „Und dann muss ich bereit sein.“

Womöglich für den Silberpfeil am Horizont. Nein, nicht den W 196 ...