Mit Tricks und Cancelo: So haben die Bayern den Turnaround geschafft
München / Lesedauer: 5 min

Diese Statistik sorgte selbst bei den Bayern-Profis für herzhafte Lacher – nach kurzem Überlegen. Das 4:0 im DFB-Pokal-Achtelfinale beim FSV Mainz 05 war tatsächlich der erste Sieg der Münchner seit November – und das am 1. Februar. Zwei Monate ohne einen Erfolg, was für eine Durststrecke. Die Unterbrechung der Vereinswettbewerbe durch die WM in Katar brachte insbesondere für die DFB-Nationalspieler im Bayern-Kader eine Menge Frust.
Mit drei unzufriedenstellenden 1:1-Unentschieden im Magen habe man nach dem ersten Sieg des Jahres „gelechzt“ gestand Thomas Müller, in Mainz habe er „in der Kabine in den Gesichtern mal wieder ein Lachen gesehen“. Wurde auch Zeit. Die zweite (Ergebnis-)Krise der Saison nach den vier Liga-Remis in Folge im Herbst hatte an den Nerven aller Beteiligten gezehrt. Die Roten kamen daher wie eine Ketchupflasche, die man mehrmals vergeblich schüttelt bis dann plötzlich alles auf einmal flutscht. Vier Tore, zuvor waren es lediglich drei in drei Partien. Dass mit Eric Maxim Choupo-Moting, Jamal Musiala und Alphonso Davies (wegen seiner Formdelle zunächst nur auf der Bank) drei Spieler – neben dem konstanteren Leroy Sané – trafen, die zuletzt durchhingen, erfreute die Münchner um Trainer Julian Nagelsmann.
Mehrere Faktoren bedingten den spielerischen und emotionalen Turnaround knapp zwei Wochen vor dem eminent bedeutsamen Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei Paris St.Germain. Nagelsmann rückte ein wenig von der Mannschaft ab – im Sinne der Eigenmotivation. Zum lange geplanten Mannschaftsessen am Sonntag erschien der 35-Jährige mit zwei Stunden Verspätung. Er entschuldigte sich, da er sich in die Nachbearbeitung und Vorbereitung von Spielszenen und Analysen gestürzt hatte. Das 1:1 gegen Frankfurt am Vortag bedeutete den schlechtesten Start in ein Kalenderjahr seit 2007.
Für Montag setzte Nagelsmann ein Training an, strich den geplanten freien Tag. Neue Härte? Nein, er wollte die Spieler überraschen, sie aus ihrem Trott bringen, der manche Profis zu locker und nachlässig hatte werden lassen. Die zweite Überraschung: Bei der Sitzung am Montag nahm sich der sonst wasserfallartig drauflosargumentierende Chefcoach zurück, verzichtete auf die üblichen Videosequenzen. Weniger ist mehr. Operation gelungen, Patient sehr lebhaft. Verheißt nichts Gutes für die Wolfsburger, dem nächsten Gegner am Sonntag (17.30 Uhr/DAZN) in der Autostadt.
„Man hat gespürt, dass die Spieler ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden wollten“, erklärte ein aufgeräumter und zufriedener Nagelsmann nach dem 4:0 und wiederholte sein Credo: „Die Spieler geben sich immer selbst die Antwort.“ Man muss sie nur anschubsen. Und für frische Impulse sorgen. So hatte das Remis gegen Frankfurt die Bosse darin bestärkt, noch kurzfristig auf dem Transfermarkt zu handeln – zumal sich eine unverhoffte Gelegenheit am Sonntag auftat. Die Bayern fackelten nicht lange und liehen João Cancelo (28) von Manchester City für die restlichen Monate der Saison aus – ohne Gebühr, man übernimmt lediglich das Gehalt des portugiesischen Nationalspielers. Ein Glücksfall.
Trotz lediglich einer Trainingseinheit mit den Kollegen überzeugte Cancelo in Rheinhessen direkt als Schienenspieler auf der rechten Seite. „Die ersten zwei, drei Aktionen waren unheimlich kreativ, gleich den ersten Ball hat er ,no look´ mit dem Außenrist in die Tiefe gespielt“, schwärmte Nagelsmann. Es folgten viele tiefe Laufwege, präzise Flanken wie die zum Führungstreffer, eine auffallende Ruhe am Ball. Weltklassespieler brauchen kaum Eingewöhnungszeit. „Er ist ein guter Typ, war nicht nervös. Mit Pep Guardiola hatte er einen sehr guten Trainer, der ihn sehr gut ausgebildet hat“, sagte Nagelsmann. Dass der frühere Bayern-Trainer Cancelo zuletzt nicht mehr aufgestellt hat, verärgerte den emotionalen Portugiesen und öffnete erst die Tür für eine Ausleihe.
Und für mehr Variation. „Wir haben mit ihm eine zusätzliche Option mehr über die Flügel. Obwohl er Außenverteidiger ist, spielt er sehr offensiv“, erklärte Nagelsmann, der so auf eine Dreierkette in der Abwehr umstellen konnte. Dadurch hatten die Bayern einen Zentrumsspieler mehr und wieder den nötigen Zug zum Tor, gerade durch die Mitte. Ein spielerischer Wendepunkt, weil die Mannschaft gesehen hat, dass die Idee des Trainers aufging.
Kehren nun Leichtigkeit und Selbstverständnis aus dem Herbst dauerhaft zurück? „Es war ein wichtiger Schritt, mit einem Sieg im neuen Jahr anzukommen“, betonte Nagelsmann und forderte mit Blick auf das Spiel am Sonntag in Wolfsburg, man müsse die Unentschieden in der Liga abstellen, „weil sonst der Vorsprung weg ist“. Bayern sei in der Liga „absolut in der Bringschuld“, betonte Thomas Müller, und dürfe sich „nicht von einem guten Ergebnis gleich wieder in die Gemütlichkeit singen lassen“.
Niko Kovac (51), im November 2019 beim FC Bayern nach 16-monatiger Tätigkeit trotz Doublegewinn entlassen, und seit Saisonbeginn bei den Wölfen, wird sicher andere Töne anstimmen wollen. Erstes Revanche-Geheule ist bereits zu vernehmen.