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WM-Qualifikation

Kim Bui 2018: Schöner turnen

Stuttgart / Lesedauer: 4 min

Die 29-Jährige vom MTV Stuttgart konterkariert die Schnelllebigkeit ihres Sports, weil sie heute bewusster tut, was sie tut
Veröffentlicht:26.09.2018, 23:00

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Das Turnen ist anders mit 29: andere Motivation, anderes Erleben. Kim Bui ist 29, vor zwölf Tagen in Stuttgart hat sie die erste nationale WM-Qualifikation gewonnen (als, pardon, die mit Abstand Älteste), bei den Deutschen Meisterschaften in Leipzig gehört sie am Wochenende zu den Favoritinnen. Noch nie, sagen viele, war Kim Bui an Balken, Barren, Boden und Sprung so gut wie heute. Wie das gehen kann, mit 29? „Es ist der Spaß, es ist die Freude am Turnen. Man macht’s einfach ein bisschen bewusster. Viel schöner“ sei das, „ein viel schöneres Gefühl“.

Schöner turnen? Da darf Frau durchaus mal hoffend vorausschauen: Die Heim-Weltmeisterschaft in Stuttgart ist natürlich (ein) großes Ziel der gebürtigen Tübingerin. Die Heim-Weltmeisterschaft im Oktober 2019. Kim Bui lacht, kurz denkt sie zurück: WM in Stuttgart war auch 2007.

18 und Ersatzturnerin ist Kim Bui damals gewesen, das nagte, frustrierte – ist jetzt aber nicht die Geschichte. „Schon krass“ findet die Tochter einer Vietnamesin und eines Laoten anderes: „2007 war ich auch schon dabei. Ich war in der Nationalmannschaft, ich war auf einem gewissen Level.“

Ziele: Doha und Masterarbeit

Kunstturnen, weiblich, ist ein schnelllebiges Genre. Gesichter und Namen der Protagonistinnen wechseln im Turnus olympischer Zyklen, Kommen und Gehen spielen sich ab irgendwo zwischen Pubertät und Abitur. Meistens. Ausnahmen sind (noch) selten – auch, weil Leistungssport und Ausbildung parallel hohen Aufwand abverlangen. Kim Bui hat im Herbst 2009 ein Studium der Technischen Biologie in Stuttgart begonnen, Anfang 2015 ihren Bachelor-Abschluss gemacht, nach Olympia in Rio einen Master-Studiengang angehängt. Bundestrainerin Ulla Koch unterstützt derlei Karrieremodelle, lässt „die nötigen Freiräume“, die 63-Jährige sagt: „Wir müssen auch an die Zukunft unserer Leute denken, mit Turnen können die wenigsten Geld verdienen.“

Kim Buis nächste Zukunft heißt Masterarbeit. Die Themensuche wollte sie bis Leipzig forciert haben, keinen Monat liegt die letzte, brillant bestandene mündliche Prüfung zurück. Davor war die Studentin Bui zwei Wochen lang „im Labor gestanden, hab’ meine Versuche gemacht“ und das Training zeitlich ausgelagert. Auf den frühen Morgen, den Abend. Effizient sollte die morgendliche Stunde zwanzig sein: „kurz Kraft machen, Barren, dann schnell in die Uni“. Abends auf dem Programm: „der Rest. Aber in der Zeit haben natürlich auch die Trainer geguckt: Was brauchst du, was ist notwendig? Den Sprung krieg’ ich irgendwie immer hin, da muss man nicht mehr viel arbeiten. Da muss der Körper fit sein, dann krieg’ ich den hin. Der Barren braucht immer ein bisschen mehr, der Balken braucht immer ein bisschen mehr Wiederholung.“

Bewusster turnen! „Ich weiß“, sagt Kim Bui, „was mir guttut. Ich weiß auch viel mehr über meinen Körper als vor vielleicht zehn Jahren. Ich weiß dann auch, an welcher Stellschraube ich drehen muss. Das ist schon auch ein In-Sich-Hineinhören.“ Und: ein Sich-Mitteilen. „Ein guter Trainer respektiert das.“ Kim Bui hatte gute Trainer bisher. Sie suchte den Dialog, man fand den richtigen Umgang mit ihrem Erfahrener-, dem Reiferwerden. Mit ihrem Bauchgefühl. Mit der Belastungssteuerung nach den Kreuzbandrissen 2010 (links) und 2015 (rechts). Mit ihrem Erfolg.

Nah dran und handyfrei

Stufenbarren-Bronze bei der EM 2011 in Berlin überstrahlt vieles, zwei Olympiateilnahmen stehen in der Vita (neben jener frühen in Peking 2008 als ... Ersatzturnerin), bei zehn Europa- und sechs Weltmeisterschaften hat Kim Bui geturnt. WM Nummer 7 Ende Oktober in Doha soll bei den nationalen Titelkämpfen am Wochenende fest gebucht werden.

Die Voraussetzungen könnten schlechter sein: Qualifikationspart eins entschied MTV-Turnerin Bui auf vertrautem schwäbischen Terrain für sich, die feine Vorstellung vom August als Vierte am Glasgower EM-Stufenbarren ist Antrieb („weil man genau weiß, okay, man ist nah dran“). Und: Auch vom Strandurlaub danach lässt sich zehren. Eine Woche, extrem erholsam „und sehr gut zum Abschalten, weil das WLAN nicht ging. Ich musste mein Handy zur Seite legen ...“

Kim Bui hat es genossen. Das Turnerin-Sein ist anders mit 29. Viel schöner.