Zweitteam
Der Trend geht zum Zweitteam
Ravensburg / Lesedauer: 5 min

Schwäbische.de
Einem Kater mit dem berühmten Konterbier den Garaus machen zu wollen, mag nach Stand der Wissenschaft nicht unbedingt die beste oder nachhaltigste Strategie sein. Doch dieser Kater nach diesem allzu frühen WM-Aus der DFB-Elf ist ja nicht alkoholbedingt (zumindest nicht primär), dieser Kater ist viel schlimmer, pochender, aufs Gemüt schlagender.
Doch die gute Nachricht ist: Das beste Mittel gegen einen fußballbedingten Kater ist: Noch mehr Fußball. Der Liebe zum Fußball ist die Wissenschaft nämlich herzlich egal.
Andere Länder haben schließlich auch tolle Mannschaften, der Trend der Fans geht zum Zweitteam. Neun Autoren der „ Schwäbischen Zeitung “ erklären, wem man jetzt die Daumen drücken sollte bei der WM.
Belgien – Deutsche Fahne neu entdeckt: Eine der einfachsten Alternativen, um weiter zu feiern ist Belgien. Denn dafür muss man nicht mal die Deko ändern, da die Nationalfarben gleich sind – nur ein bisschen anders angeordnet. Nach ein paar Bier fällt das nicht mehr auf. Und gutes Bier aus Belgien gibt es auch. Da fällt die Umstellung für den geneigten Fan besonders leicht. Außerdem macht es Spaß, den Belgiern beim Kicken zuzuschauen. Und der belgische König ist sowieso ein Deutscher als ein Nachfahre des Hauses Sachsen-Coburg und Gotha. (Moritz Schildgen)
Kroatien – Für Fans der Bundesliga: Jetzt kann man eigentlich nur noch für die Kroaten sein. So viel Bundesliga wie im Team von Trainer Zlatko Dalic steckt in keinem anderen Achtelfinalisten. Gut, nur noch vier spielen tatsächlich in Deutschland. Aber neben Jedvaj, Kramaric, Rebic und Pjaca haben auch Mandzukic, Rakitic, Vida, Corluka, Badelj und Perisic schon in der Bundesliga gespielt. Dazu kommt der „Münchener“ Co-Trainer Ivica Olic. Perfekt! (Thorsten Kern)
Schweden – Team der Bremer: Im Achtelfinale geht die WM erst richtig los. Und da sind alle Augen auf die Schweden gerichtet – spielt dort kein Geringerer als Ludwig Augustinsson . Ludwig wer? Seit August 2017 schlägt mein grün-weißes Herz für „Ludde“ – denn auch während der WM gilt mein ganzer Fokus meinem Verein, Werder Bremen. Und Liebe kennt bekanntlich keine Ländergrenzen. (Jakob Fandrey)
England – Für den kompletten Umschwung: Wenn schon nicht für Deutschland, dann wenigstens komplett umschwenken und für unsere ewigen englischen Rivalen sein. Frankreich oder Brasilien ? Nein Danke, lieber England mit Harry – mein zweiter Vorname ist Tor – Kane, das das Endspiel im Elfmeterschießen gewinnt, während man selbst freudetrunken mit gröhlenden Klischee-Engländern das nächste Pint ordert. (Felix Alex)
Portugal – Weil auch die Schönheit zählt: Die letzte wirklich verbliebene WM-Attraktion hat einen Namen: Cristiano Ronaldo – den Giganten, der so gerne den Gockel gibt. Deshalb drücke ich den – mit Ausnahme ihres selbstherrlichen Superstars (@DFB-Team: er kann sich das tatsächlich leisten) – sportlich natürlich arg limitierten Portugiesen fest die Daumen. Für den Titel ist die Mannschaft zu schwach? Das haben vor zwei Jahren bei der EM auch alle Experten gedacht … (Michael Panzram)
Brasilien – Eine Frage des Herzens: Ein Wort kommt in jedem Latinolied vor: Coraçao. Herz haben sie, die Latinos, Stolz. Und große Gefühle. An niemandem ist das mehr zu sehen als an Neymar, der nach vielen Spielen weint, manchmal auch wütet, auf Journalisten und Gott und die Welt, als sei er James Dean. 1:7 gegen Alemanha? Längst passé. Unter Trainer Tite blieb die Seleção in 18 von 24 Spielen ohne Gegentor. Tudo bom, sagen Brasilianer. Alles gut. Im Viertelfinale muss Belgien dran glauben, im Halbfinale die Engländer, und im Endspiel leider auch Kroatien. (Jürgen Schattmann)
Frankreich – Einmal Zweitteam, immer Zweitteam: Na gut, ich habe einen Wettbewerbsvorteil, einen doppelten sogar: Meine Mannschaft hat sich schon im November 2017 vom großen Fußball verabschiedet, die Squadra Azzurra ist in der Qualifikation an Schweden gescheitert. Dass Fußball selbst im Triumph Leiden schafft, wissen vielleicht nur Anhänger des TSV 1860 München besser als Fans der Azzurri. Dass ausgerechnet Deutschland uns in Russland als Weltmeister des Leidens, als „campioni del mondo della sofferenza“ ablösen würde, konnte ja keiner ahnen. Ich jedenfalls tat es nicht, als ich mir vor sieben Monaten mein Zweitteam aussuchte. Und das ist noch im Turnier. Also: Allez les Bleus! (Filippo Cataldo)
Argentinien – Daumen drücken für den Vizeweltmeister: Wenn für den Weltmeister schon in der Vorrunde Schluss ist, warum dann nicht auf den Vizeweltmeister umschwenken? Ob Argentinien-Unterstützer nach dem Finale feiern dürfen, ist aber mehr als fraglich, denn auch die Südamerikaner standen in der Vorrunde kurz vor dem Aus. Messi und Co benötigen also jeden gedrückten Daumen, den sie bekommen können. Meine Unterstützung ist ihnen sicher. Außerdem wird es sicher spannend, zu beobachten, wie Diego Maradona auf der Tribüne jubelt, oder was auch immer er da tut. (Corinna Konzett)
Schweiz – Kleiner Kanton ganz groß: Auch wenn die drei WM-Viertelfinalteilnahmen (1934, 1938, 1954) der helvetischen Nation schon eine Weile zurückliegen: Wer Brasilien und Costa Rica ein Remis abtrotzt und sogar Serbien aus dem Rennen wirft, muss einfach was draufhaben. Und nachdem die Teutonen aus dem „Großen Kanton“ sang- und klanglos untergegangen sind, muss es für Mitteleuropa eben der benachbarte Fußballzwerg richten. In diesem Sinne: Hopp Schwiiz! (Peter Schlefsky)