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Bienen über den Dächern Ulms

Wenn der Imker mit dem Aufzug fährt

Ulm / Lesedauer: 6 min

Tobias Neukamm ist Imker in vierter Generation. Warum er seinen Bienen ein Zuhause hoch über den Dächern Ulms gebaut hat.
Veröffentlicht:16.12.2022, 17:32

Von:
  • Christoph Knauthe
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Tobias Neukamm erinnert sich gerne an die Sommerferien in seiner Kindheit, wenn ihn sein Opa jeden Tag mit zu seinen Bienen nahm. Eine große Hilfe sei er wohl nicht gewesen, schätzt er – damals als „kleiner Stöpsel“. So manches Mal sei ihm angst und bange gewesen, als die gelbschwarzen Tierchen über seine Hände wanderten, erinnert er sich.

Neukamm lässt den Blick über eine Reihe hüfthoher Holzkisten wandern. Inzwischen ist er 33 Jahre alt und selbst Imker. „Kamelgarten“ nennt er das Grundstück am Ulmer Stadtrand, das schon fast an einen Urwald erinnert.

Einst lebten hier Wildtiere aus Afrika

Einst hatten Ulmer Unternehmer hier Wildtiere aus Afrika gehalten, die sie in Deutschland weiterverkauften. Heute ist das Grundstück Heimat abertausender Bienen. In den Holzkisten, die sich vor ihm aufreihen, entstehen die Ableger – neue Bienenvölker. Viele von ihnen bleiben hier im Kamelgarten. Doch für manche geht es hoch hinaus. Ihr Zuhause wird die Ulmer Innenstadt.

Die Imkersaison neigt sich allmählich dem Ende zu. Nicht mehr lange, bis sich die Bienen für vier Monate zum Überwintern zurückziehen. „Ich weiß gar nicht, was ich in der Zeit machen soll“, sagt Neukamm und lacht. Er öffnet einen der Bienenstöcke und sieht nach dem Rechten. Etwas Rauch aus dem Smoker, einer Art Teekanne mit angebrachtem Blasebalg, macht die Bienen fügsam.

Schon sein Opa war Imker, nun stellt er selbst Honig her. (Foto: Christoph Knauthe)

Neukamm scheint mit seinen Schützlingen zufrieden zu sein. Bis er den Deckel eines Kastens anhebt, aus dem ein unruhiges Brummen dringt. „Da ist irgendwas nicht in Ordnung. Das hört man schon.“ Die Königin fehlt, stellt er fest. Warum, das weiß auch Neukamm nicht. Doch in dieser Situation können sich die Bienen nur selbst helfen. Er fährt sich für einen Moment nachdenklich durch den Bart. Dann öffnet er den nächsten Bienenstock. Ein leises Summen ist zu hören.

„Bei euch sieht´s gut aus. Euch geht´s gut“, murmelt er, während sich sein Gesichtsausdruck wieder aufhellt. Vorsichtig setzt den Deckel zurück auf die Fassung. „Nur schauen, dass wir kein Beinchen einklemmen.“

Auf den „Rähmchen“ gehen die Bienen fleißig ihrem Tagwerk nach. (Foto: Christoph Knauthe)

Über den Dächern der Stadt

Er packt ein paar Sachen zusammen und lädt sie in sein Auto. Im Innenraum des safrangelben Fiat schwirren noch einige verirrte Bienen umher, als er die Kofferraumklappe schließt. Aber die sind ja ganz lieb, beteuert der Imker, bevor er die Ausreißer dem Reporter zuliebe doch noch vertreibt. Manchmal seien so viele Bienen im Auto, dass er am Steuer seinen Schleier anziehe. Neukamm fährt ab vom Kamelgarten, raus aus dem dichten Grün, auf die Straße in Richtung Innenstadt. Er parkt den Fiat an der Olgastraße, der Hauptverkehrsader Ulms.

Die Bienen gehören ja auch zu meinem Leben.

Tobias Neukamm, Imker

Zu Fuß geht er auf einen Bürokomplex gegenüber dem Theater zu, während er einen kleinen Holzwagen neben sich herschiebt. Kurz muss er halten, um die Rädchen über die Straßenbahnschienen zu hieven. Der Mann mit der Arbeitshose und dem hochgekrempelten Karohemd betritt das Gebäude für Bürgerdienste und schiebt das Wägelchen in den Aufzug. Durch das Fenster eines Pausenraums im dritten Stockwerk gelangt er auf das Dach.

Der Lärm von der Straße ist hier oben nur noch gedämpft zu hören. Beton und Asphalt haben die Hitze des Vortags gespeichert. Hier, vor der Kulisse einer gewaltigen Satellitenschüssel auf der anderen Straßenseite, befindet sich das Zuhause von drei weiteren Bienenvölkern.

Hoch hinaus: Tobias Neukamm macht sich auf den Weg zu seinen Stadtbienen. (Foto: Christoph Knauthe)

Die Bienen mögen das Stadtleben, weiß der Imker. Wer genau hinsieht, finde in der Stadt Unmengen von Blühpflanzen. Pestizide kämen nirgendwo zum Einsatz. „Jedes Unkräutle darf da wachsen.“ Für die Bienen bieten die Verkehrsinsel neben dem Kino, die Kastanienbäume vor dem Landgericht oder die Blumenkästen auf den Balkonen hervorragende Lebensbedingungen. Hinzu kommt, dass sie sich bei hohen Temperaturen sehr wohl fühlen.

Tobias Neukamm bei seinen Bienen. (Foto: Christoph Knauthe)

Nachdem er die Bienen gefüttert hat, klettert Tobias Neukamm wieder zurück durch das Fenster. Die Öffnung des Smokers verstopft er mit einem Stück Stoff. Sonst würde es im Aufzug später nach Rauch riechen. Verkauft wird der „Stadthonig“ nur einen Katzensprung entfernt, im Edeka in den Sedelhöfen. Tobias Neukamm gefallen diese kurzen Wege. Außerdem sei er mächtig stolz gewesen, als er seinen Honig erstmals im Supermarktregal stehen sah.

Hauptberuflich arbeitet Tobias Neukamm bei der Polizeibehörde. In die Bienen investiert er den größten Teil seiner Freizeit. Er tut das gern. „Die Bienen gehören ja auch zu meinem Leben.“ Auf den finanziellen Aspekt der Imkerei angesprochen, lächelt Neukamm. „Es trägt sich selbst und wirft noch ein kleines Taschengeld ab.“

Hauptberuflich arbeitet Tobias Neukamm bei der Polizeibehörde. In die Bienen investiert er den größten Teil seiner Freizeit. (Foto: Christoph Knauthe)

Ein Dienst an der Biene

Mit dem Auto geht es weiter zur Ulmer Jugendfarm. „Das ist ein wirklich tolles Konzept, um vor allem Stadtkindern Tiere nahzubringen“, sagt er beim Aussteigen. Ein abschüssiger Weg führt vorbei an Schweinen und Ziegen. Ein handgeschriebenes Schild weist den Weg zu einer kindgerechten Schauimkerei, für die Tobias Neukamm Pate steht – als „Dienst an der Biene“, wie er sagt. Die Kinder haben die Holzkisten bunt bemalt, in denen die Bienchen ihrem Tagwerk nachgehen. Tobias Neukamm strahlt, als er die Verzierungen sieht.

„Einen Dreijährigen kannst du natürlich nicht an den Bienen arbeiten lassen. Aber so gehört das trotzdem irgendwie ihnen.“ Zu dem Projekt kam Tobias Neukamm durch Zufall. Der Leiter der Jugendfarm habe zunächst einen anderen Imker um Hilfe gebeten. Der sei jedoch abgesprungen. Als er einem Freund, einem Ulmer Tätowierer, deswegen sein Leid klagte, hatte dieser einen Geistesblitz: Er erinnerte sich, dass er einem Kunden vor kurzer Zeit einen Imker auf den Arm gestochen hatte.

Seine Kinder haben die Kisten bunt bemalt. (Foto: Christoph Knauthe)

Tobias Neukamm nimmt für einen Moment in dem Ausguck Platz, aus dem die Kinder ganz ohne Gefahr die Bienen durch eine Glasscheibe beobachten können. Das lange Hemd verdeckt das Imker-Tattoo auf seinem Oberarm. Er wirft einen Blick auf die farbenfrohen Bienenkästen. Und vielleicht ist es eine Erinnerung an die Sommerferien bei seinem Opa, die für eine Sekunde durch seinen Kopf schießt – von damals, als er noch ein „kleiner Stöpsel“ war.