Eine der fairsten Sportarten der Welt
MIT VIDEO: Darum kommt Ultimate Frisbee ohne Schiedsrichter aus
Ulm / Lesedauer: 6 min

Philip Hertle
„Ran, ran, ran – Gas geben!“, ruft Judith Rammoser vom Spielfeldrand aus ihren Mitspielerinnen und Mitspielern zu. Nach Wochen der Hitze hat es mal wieder geregnet. Rutschgefahr. Ohne Stollenschuhe geht hier nichts. Judith muss sich heute aber schonen. Sie hat Schmerzen im Bein und will am Wochenende unbedingt fit sein. Der nächste Spieltag steht an. Aber ihre Teamkollegen anfeuern, motivieren – das geht auch so.
Das sind die ULMtimates
Das weiße Frisbee gleitet unentwegt über den fußballfeldgroßen Platz. Mit kraftvollen Würfen passen sich die Sportler die Scheibe über zehn, 20 Meter zu. Die Präzision, mit der sie bei den Mitspielern landet, ist bemerkenswert. Das Mixed-Team der ULMtimates besteht aus Spielerinnen und Spielern, von denen viele über die Uni zum Sport mit der Scheibe gekommen sind.

So gut wie jeder ist während des Spiels ständig in Bewegung. Es gilt, sich auf dem Feld bestmöglich zu positionieren und die Scheibe zu ergattern. Auch Ommo Mauss im schwarz-roten Trikot mit der Rückennummer 85 versucht, die freien Räume zu finden. Dann ist endlich der erste Punkt gemacht. Team „Schwarz-Rot“ klatscht direkt ab. Gut gemacht. Und auch wenn Team „Weiß-Grün“ im Trainingsspiel gerade im Hintertreffen ist, wird trotzdem in die Hände geklatscht. Um sich selbst aufzuraffen und um den Gegnern Respekt zu zollen. Denn: Im Ultimate Frisbee unterstützt jeder jeden - das ist auch der „Spirit of the Game“.
Stellungsspiel und ein gutes Auge sind essenziell
Trotzdem geht es beim Ultimate Frisbee – wie beim Sport meist üblich – auch darum, Punkte zu machen. Und das gelingt so: Die angreifende Mannschaft hat das Frisbee und versucht, es durch geschicktes Stellungsspiel und gezieltes Werfen in die Endzone der gegnerischen Mannschaft zu bringen.

„Wir wollen einfach die Scheibe von A nach B transportieren“, bringt es Ommo auf den Punkt. Ein bisschen erinnert das an American Football. Die Schwierigkeit dabei: Mit der Scheibe in der Hand ist es verboten, sich fortzubewegen. Dann gilt es, Lösungen zu finden. Oder konkret: Wo ist ein besser positionierter Mitspieler, dem man das Frisbee zuwerfen kann?
Ultimate Frisbee und sein besonderer Spielgedanke
Diesen Spirit leben die ULMtimates, wie sich die Frisbee-Sport-Abteilung des VfB Ulm nennt. Denn hier auf dem Ulmer Eselsberg wird eine der wohl fairsten Sportarten gespielt. Ultimate Frisbee kommt ganz ohne Schiedsrichter aus. Auch Judith, die als moralische Unterstützung von draußen zuschaut, feuert beide Teams an. Ommo verausgabt sich derweil auf dem Rasen. Diskussionen zwischen Schwarz-Rot und Grün-Weiß während des Spiels? Fehlanzeige.
Ommo ist seit knapp einem Jahr bei den ULMtimates. „Der ‚Spirit of the Game‘ ist eine ganz zentrale Sache“, erklärt er. „Als ich das erste Mal dazugekommen bin, habe ich gar nicht richtig einschätzen können, was sie damit eigentlich meinen.“
Eigenverantwortung bei der Problemlösung
Eigentlich ist es ganz einfach. „Sei ehrlich und fair, vermeide Körperkontakt, kenne die Regeln, kommuniziere respektvoll und hab Spaß am Spiel“ – so fasst der Frisbeesport-Verband den „Spirit of the Game“ zusammen. Übersetzen lässt sich der Begriff etwa mit „Spielgedanke“. Diesem Ehrenkodex haben sich alle Spielerinnen und Spieler verpflichtet. Im Ultimate Frisbee wird Eigenverantwortung großgeschrieben. „Die Fairness steht über allem“, sagt Ommo. Bei einer rasanten Sportart wie Ultimate Frisbee könne es aber dennoch – wenn auch selten – zu Meinungsverschiedenheiten kommen. Deswegen sei es so wichtig, zusammen mit seinem Gegenspieler eine Lösung zu finden. Eine Lösung „die für alle passt, die für alle gut ist, mit der jeder einverstanden ist.“

Und das funktioniere so gut wie immer, erklärt der 27-Jährige. „Klar, man spielt gegeneinander und man will gewinnen“, gibt er zu. „Selbst wenn der Sport kompetitiv ist, versucht Ultimate Frisbee auch aus den Gegnern das Beste rauszuholen und sich einfach darüber zu freuen, wenn jemand coole Sachen macht.“ Es geht um das Miteinander statt ums Gegeneinander.
Die Frisbee: vom Kuchenblech zum Sportgerät
Genau genommen reicht der Gedanke zurück bis hin zu den Anfängen der Frisbee-Scheibe in den 1920er und 1930er Jahren. Vom Kuchenblech zum Sportgerät: So könnte man die Geschichte der Sportart Ultimate Frisbee ganz gut zusammenfassen.
Der Legende nach sollen Kinder aus Langeweile angefangen haben, sich die runden Bleche der „Frisbie Pie Company“ gegenseitig zuzuwerfen – die guten Flugeigenschaften sollen ihr Übriges getan haben. Aus „Frisbie“ machte ein Spielzeughersteller später dann „Frisbee“. Die weitere Erfolgsgeschichte ist bekannt und führte bis hin zum Frisbee-Sport.
1, 2, 3 - es wird angezählt
Und den kann man bei fast jedem Wetter spielen. Das zeigt das Trainingsspiel, wo der Regen inzwischen wieder zugenommen hat. Das Wasser rauscht nur so aus der Dachrinne der anliegenden Tennishalle. Egal. Weiter geht’s. „Stalling one, two, …“ („zähle eins, zwei, …“) ist jetzt immer wieder vom Feld zu hören. Es wird angezählt. Die Scheibe muss schnellstens weitergegeben werden. Schwierig. Ommo ist nicht in Reichweite, auch die anderen Mitspieler sind von Team „Grün-Weiß“ gut gedeckt. Dieses Mal klappt es nicht, sie wird von den Gegnern abgefangen. Weiter geht’s in die andere Richtung.
Wichtiges Zweitliga-Spiel am Wochenende
Am Wochenende wird’s wieder ernst - wenn man das beim Ultimate Frisbee so nennen darf. Dann steht der letzte Spieltag der diesjährigen Outdoor-Saison an. Die gemischte Mannschaft der ULMtimates ist in der zweiten deutschen Liga vertreten. Das Männerteam, das in der Hallensaison zum Zug kommt, spielt sogar in der ersten Liga.
Der Deutsche Frisbeesport-Verband organisiert sich in einem turnierbasierten Ligensystem. An mehreren Wochenenden in der Saison treffen sich die acht teilnehmenden Mannschaften der „2. Liga Süd“. Die Gegner kommen unter anderem aus München, Darmstadt und – Gießen. Dort findet der entscheidende Spieltag statt. Dann heißt es: Alles geben!
Am Ende wurde es dort der siebte Platz. Das ist für die ULMtimates aber kein Grund, nicht nur das Beste vom Spieltag im hessischen Gießen mitzunehmen. Das Miteinander zählt – und nicht das Gegeneinander.