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Onlinesucht

Wann bin ich onlinesüchtig?

Ulm / Lesedauer: 5 min

Spielen junge Leute Computer, weil sie einsam sind – oder sind sie einsam, weil sie Computer spielen? Markus Müller von der Drogenhilfe Ulm/Alb-Donau will den Kreislauf durchbrechen.
Veröffentlicht:27.02.2019, 20:02

Von:
  • Schwäbische.de
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Ist ein Mensch krank, wenn er stundenlang vor dem Computer sitzt und seine Tagesstruktur verliert? Wenn Beziehungen und Freundschaften in die Brüche gehen, wenn die Leistungen nachlassen, wenn Schule, Ausbildung und Beruf in Gefahr geraten? Die Krankenkassen zahlen keine Therapien bei Onlinesucht. Die Weltgesundheitsorganisation will Videospielsucht dagegen als psychische Störung in ihr Register für Krankheiten aufnehmen. Wer in Ulm oder Neu-Ulm Hilfe für dieses Problem sucht, kann sie bei Markus Müller finden.

Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, das zu diagnostizieren.

Markus Müller, Drogenhilfe Ulm

Ob die Sucht eine Krankheit ist, ist dem Diplom-Sozialpädagogen, der bei der Drogenhilfe Ulm/Alb-Donau arbeitet, egal. „Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, das zu diagnostizieren“, sagt der 49-Jährige. Müller will Gründe finden und Ratschläge geben.

Vor einem halben Jahr hat er das Aufgabengebiet übernommen, es macht nur einen kleinen Teil seiner Arbeit aus. Müller kümmert sich überwiegend um allgemeine Suchtberatung. Im Bereich Onlinesucht hatte er in sechs Monaten zehn Fälle. Manchmal kamen Eltern oder andere Angehörige allein, manchmal brachten sie ihr Kind mit. Und manchmal kam ein Jugendlicher, den ein Schulsozialarbeiter schickte, ohne erwachsenen Begleiter.

Kein einheitliches Bild

Ein einheitliches Bild im Suchtverhalten gibt es nicht, das hat der 49-Jährige beobachtet. Da sind Spieler, Surfer, Chatter – und Mischformen. Buben sind eher von Spielsucht betroffen, Mädchen nutzen Soziale Netzwerke zu intensiv, das ist die Erfahrung des Beraters.

In der Weihnachtszeit sind die Familien mit sich selber beschäftigt.

Markus Müller, Drogenhilfe Ulm/Alb-Donau

Die Sucht zeigt sich zum Beispiel, wenn ein Schüler nachts nicht mehr schläft, weil er zocken will. Dafür verschläft er den nächsten Tag, will keine Unternehmungen mit der Familie mehr machen und bekommt Wutanfälle. Seine Schulnoten gehen in den Keller, weil das nächste Level im Spiel wichtiger ist als die Bio-Arbeit. Eltern, sagt Müller, bemerken die Probleme auch durch Rechnungen, die in die Höhe schießen: Wenn der Schüler im Zug auf dem Handy spielt und das Datenvolumen überzieht. In den Ferien fällt das Suchtverhalten stärker oft auf als in der Schulzeit – einfach, weil mehr freie Zeit zu vergeben ist. Zum Ende Jahres hat Markus Müller kaum Anfragen: „In der Weihnachtszeit sind die Familien mit sich selber beschäftigt“, erklärt er.

Der Suchtberater will in den kommenden Monaten wieder verstärkt auf Schulen zugehen, um auf die Risiken aufmerksam zu machen und Präventionsveranstaltungen abzuhalten. Darüber hinaus gibt es das Hilfe-System Netzpiloten, bei dem ältere Schüler jüngere betreuen. Lehrer und Schulsozialarbeiter sollen sie anleiten und werden dafür eigens geschult. Müller will das in Ulm und der Umgebung noch wenig bekannte System verbreiten.

Auch Erwachsene sind betroffen

Doch es sind nicht nur Kinder und Jugendliche, die der Spielsucht verfallen. Erwachsene können sich dadurch zunehmend isolieren und wichtige Bezugspersonen verlieren. Im Beruf sind sie übermüdet. Die Leistungen sinken, der Jobverlust droht. Sozialpädagoge Müller geht für Präventionsveranstaltungen auch auf Berufsschulen und Unternehmen zu.

Müller sucht nach dem Problem hinter der Sucht: Will der Betroffene etwas verarbeiten oder verdrängen? Und der Sozialpädagoge bietet Hilfsmittel an: einen strukturierten Plan für den Tag erarbeiten, sich erreichbare Ziele setzen, das eigene Verhalten reflektieren und trainieren, sich die Frage stellen: was könnte man anders machen?

Es gibt Leute, die zocken, weil sie einsam sind. Und es gibt Leute, die sind einsam, weil sie zocken.

Markus Müller, Drogenhilfe Ulm/Alb-Donau

Gegen Onlinesucht zu kämpfen bedeutet, einen Kreislauf zu durchbrechen: „Es gibt Leute, die zocken, weil sie einsam sind. Und es gibt Leute, die sind einsam, weil sie zocken“, schildert Markus Müller. Dazu kommt: das Internet ist keine verbotene Droge. Es ist legal, jederzeit verfügbar und in erster Linie hilfreich. Müller will nicht grundsätzlich von Abhängigkeit reden, er sagt: „Viele Leute sind von ihrem Gerät in irgendeiner Weise abhängig.“ Manchmal auch in positiver Weise: Jugendliche nutzten ihre Smartphones schließlich auch, um Treffen auszumachen und Kontakt zu ihren Freunden zu halten.

Bei Cannabis und anderen Drogen ist totale Abstinenz das Ziel, das die Suchtberater anstreben. „Das geht bei Onlinesucht nicht. Wir sind auf ein Maß an Elektronik angewiesen“, betont Müller. Er will seinen Klienten helfen, ein gesundes Maß zu finden. Der Sozialpädagoge weiß, dass der Name seines Arbeitgebers manche abschreckt, die Hilfe suchen: „Manche wissen es nicht, dass sie zu uns kommen können. Manche wollen nicht zur Drogenhilfe gehen“, sagt er. Der Flyer zur Onlinesucht ist deshalb optisch ganz anders gestaltet als die übrigen Handzettel der Drogenhilfe.