Schwerer Angriff
Polizist in Ulm schwerverletzt: Leidet jetzt der Mut zur Zivilcourage?
Ulm / Lesedauer: 4 min

Selina Ehrenfeld
Nach der blutigen Attacke auf einen jungen Polizisten in zivil in der Nacht zu Mittwoch konnte das Opfer vernommen werden. Derweil läuft die Fahndung nach den Tätern auf Hochtouren.
Der 25 Jahre alter Polizeibeamter war in der Nacht auf Mittwoch in zivil in der Ulmer Innenstadt unterwegs. Am Kornhausplatz begegnete er laut Polizei Jugendlichen, die sich „offensichtlich verdächtig verhalten“ hatten. Was das genau heißt, möchte die Polizei nicht klar benennen. Der Polizist verständigte seine Kollegen, wurde von der Gruppe bemerkt und dann durch vier bisher unbekannte männliche Täter so brutal angegriffen, dass er lebensgefährliche Verletzungen von sich trug.
Ulms Polizeipräsident Bernhard Weber zeigte sich bestürzt nach dem Angriff. „Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie es zu dieser Tat kommen konnte“, so Weber, der hofft, dass die Täter schnell ermittelt werden können. Der Vorfall beschäftigt auch die Polizeigewerkschaft des Landes. In einer Pressemitteilung dazu heißt es: „Die Verrohung, Respektlosigkeit und Gewaltbereitschaft gegenüber der Polizei hat sich in dem tragischen Fall von Ulm erneut von seiner schlimmsten Seite gezeigt.“ Man zeige sich erschüttert und fassungslos über den Angriff.
Auch wenn Polizisten privat und zivil unterwegs sind hätten sie die Pflicht, in entsprechenden Situationen nicht einfach wegzusehen. „Sie müssen handeln, wenn sie, wie im aktuellen Fall, verdächtige Beobachtungen machen“, so die Gewerkschaft. Zwar müsse man selbst nicht einschreiten, aber die Polizeikollegen verständigen. Das tat der 25-Jährige auch, trotzdem kam die Unterstützung durch Kollegen am Ende zu spät.
Ermittlungen wegen versuchten Totschlags
Der verletzte Polizist ist inzwischen vernommen worden, genauere Angaben dazu machen Polizei und Staatsanwaltschaft jedoch nicht. Derzeit wird wegen versuchten Totschlags ermittelt.
Die für den Fall eingerichtete Ermittlungsgruppe „Korn“ hat laut Polizei inzwischen einen Zeugen ausfindig machen können, der die Täter wohl noch gesehen haben soll. Doch die Fahndung nach den jungen Männern laufe weiter, bisher habe man keinen Tatverdächtigen ermittelt. Neue Erkenntnisse erhoffe man sich durch die Auswertung von Handydaten.
Der jüngste Angriff auf einen jungen Mann, der lediglich seinen Job machte und für Recht und Ordnung sorgen wollte, verunsichert. Wenn es schon einem jungen Polizisten so ergeht, was kann ein Bürger beispielsweise ohne Selbstverteidigungskenntnisse in derartigen Situationen ausrichten? Wie ist der mit der Zivilcourage heute bestellt? Ähnliche Fragen kommen einem bei einem aktuell am Landgericht Ulm verhandelnden Gerichtsprozess in den Sinn, bei dem die Angeklagten zwei Männer ebenfalls schwerverletzt hatten. Einer der Opfer wollte ebenfalls nur schlichten, kam am Ende mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus.
Sich nicht selbst in Gefahr bringen
Dieser Unsicherheiten in der Bevölkerung ist sich auch die Polizei bewusst. „Natürlich muss sich kein Zeuge einem unkalkulierbaren Risiko oder einer großen Gefahr aussetzen“, betont ein Sprecher des Polizeipräsidiums Ulm auf Nachfrage. Grundsätzlich sollten Zeugen lieber einmal zu viel als zu wenig die Polizei rufen. Oberste Regel sei deshalb: „hilf, aber bring dich nicht in Gefahr.“ Die Polizei zu rufen, andere um Mithilfe zu bitten, Tätermerkmale einprägen und sich um das Opfer zu kümmern - all das mache unverzichtbare Zivilcourage aus.
Der Ausgang einer Situation, in der andere Menschen Opfer von Diebstahl oder Gewalt werden, oder Vandalismus beobachtet wird, hänge dabei auch ganz stark davon ab, was die Menschen um einen herum tun. Schaut niemand hin, fühlt sich keiner „zuständig“, wird hingegen jemand aktiv und handelt, ziehen andere nach. Sind mehrere Menschen also vor Ort, hilft es, diese miteinzubinden - und so den Täter einzuschüchtern.
Ob die Zahl der Gewaltdelikte gegen Polizeibeamte in den vergangenen Monaten gestiegen ist, kann das Polizeipräsidium Ulm aktuell nicht genau sagen. Derzeit liegen einem Sprecher zufolge nur die Zahlen bis 2021 vor. Diese zeigen sogar einen Rückgang der Fälle an: Um 32 Fälle gingen die Gewaltdelike von 2020 auf 2021 zurück. „Sie war mit 273 Delikten jedoch noch immer auf dem hohen Niveau der Vorjahre“, so ein Sprecher. Der Fünf-Jahres-Durchschnitt liegt bei 274 Fälle. Bei den Delikten handele es sich hauptsächlich um „Widerstandshandlungen und tätliche Angriffe“, in wenigen Fällen kam es auch zu Bedrohungen und Körperverletzungen. Letztere machten 2021 jedoch „nur“ 14 von 273 Fällen aus.