StartseiteRegionalRegion Ulm/Alb-DonauUlmPetition gegen ‚Tauben im Gras‛ findet viel Unterstützung

Rassismusvorwurf bei Abi-Lektüre

Petition gegen ‚Tauben im Gras‛ findet viel Unterstützung

Ulm / Lesedauer: 4 min

Die von einer Lehrerin ins Leben gerufene Aktion findet immer mehr Anklang. Auch aus der Politik. Was das Kultusministerium dazu sagt.
Veröffentlicht:21.03.2023, 12:24

Artikel teilen:

Weil das Buch rassistisch sein soll, begehrt eine Lehrerin aus Ulm gegen die Pflichtlektüre an beruflichen Gymnasien ab 2024 auf.

Inzwischen hat Jasmin Blunt viele Unterstützer gefunden, zahlreiche Organisationen stellen sich hinter ihre Forderung, den Roman „Tauben im Gras“ von Wolfgang Koeppen als Pflichtlektüre zurückzuziehen.

Die Ulmer Initiative „Mein Ich gegen Rassismus“ hat jetzt eine entsprechende Petition an den Start gebracht. Derweil wurde die Ulmer Lehrerin für das kommende Schuljahr beurlaubt.

Mit der Petition wird gefordert, „dass der 1951 erschienene Roman ‚Tauben im Gras‛ von Wolfgang Koeppen aus dem Pflichtlektürekanon des Bundeslandes Baden–Württemberg und in der Folge aus allen Curricula der Bundesländer entfernt wird“.

Von einer Dehumanisierung, Marginalisierung und Stereotypisierung aller „Nicht–weißen Schüler“, ist die Rede. Zu oft tauche das Wort „Neger‟ in dem Buch vor. Auch rassistisches Gedankengut sei Teil der Lektüre — und für den Unterricht laut Ulmer Initiative deshalb nicht geeignet.

Unterstützung von Musikern, Schriftstellern und Professoren

Auf der Webseite, auf der die Petition zu finden ist, werden zahlreiche Professoren, etwa von den Universitäten Tübingen, Hamburg, Bochum und Berlin, aufgelistet, die die Petition bereits unterzeichnet hätten.

Hinzu kommen lokale und überregionale Musiker, Menschenrechtsaktivisten sowie Schriftsteller, die sich hinter die Forderung stellen, das Buch aus dem Pflichtlektürekanon zu nehmen.

Derweil erreichen das Kultusministerium weitere Protestschreiben gegen „Tauben im Gras“, etwa von zahlreichen deutschen Professoren. 

Die Wahl von Wolfgang Koeppens Roman zeugt erneut von einem männlich und weiß dominierten Kanon in der deutschen Literatur. Wie bei vielen anderen Büchern auch treffen wir hier eine veraltete Sprache und Deutungsmuster an,

schreibt eine Professorin aus Marburg stellvertretend für ein dutzend andere deutsche Professoren.

Grundsätzlich, so die Expertin für deutsche Sprache, sei der Schriftsteller kritisch zu sehen, „da er für ein Publikation eine massive Enteignung vorgenommen hat“.

Weiter mahnen die Professoren an, dass Lehrkräfte oft nicht ausreichend ausgebildet seien, um sich Rassismus in einer Pflichtlektüre und deren Kritik anzunehmen. „Es steht also zu befürchten, dass Lehrende mit der sich durch das Buch ziehenden Abwertung „schwarzer“ Menschen nicht angemessen umgehen können und das Ziel einer rassismuskritischen und produktiven Behandlung des Themas auf der Strecke bleibt“, heißt es in einem Protestschreiben.

Unterstützung aus der Politik

Stand Montagmorgen haben mehr als 840 Menschen die Petition online unterzeichnet. Auch der Ulmer SPD-Landtagsabgeordnete Martin Rivior hat sich hinter die Forderungen von „Mein Ich gegen Rassismus‟ gestellt sowie der Landes- und Fraktionsvorsitzender der SPD Baden-Württemberg Andreas Stoch.

„Auch wir sehen viele Passagen in diesem Buch sehr kritisch, insbesondere, wenn keine angemessene pädagogische Begleitung der Lektüre im Unterricht stattfindet‟, so Stoch auf Nachfrage.

Aus Sicht der SPD müsse man nun alle Beteiligten an einen Tisch holen und Argumente austauschen. Das Kultusministerium sollte genau erläutern können, welche Gründe zur Auswahl des Buches geführt haben. „Wir werden diesen Vorgang weiter verfolgen und nach Vorlage der Petition die Schritte des Kultusministeriums kritisch begleiten‟, betont Andreas Stoch.

Kultusministerium will Werk im Kanon behalten

Derweil wurde die Ulmer Lehrerin Jasmin Blunt, für das kommende Schuljahr beurlaubt, wie es aus dem Regierungspräsidium heißt. In ihrem Brief an das Kultusministerium hatte sie bereits angekündigt, das kommende Schuljahr nicht unterrichten zu wollen, sollte der Roman weiter Pflichtlektüre sein.

Hier werden Menschen zu Kollateralschäden.

Lisa Esra Oneli, Mitbegründerin von „Mein Ich gegen Rassismus‟

Ihren Standpunkt, das Buch sei rassistisch und deshalb nicht für Schüler und schon gar nicht farbige Schüler — aber auch Lehrer — geeignet, konnte das Kultusministerium nicht teilen.

In einem Antwortschreiben an Jasmin Blunt erklärte das Ministerium, dass das Buch und die verwendete Sprache durchaus in einen Kontext gesetzt werden sollte, genau das aber mit den Schülern vorgesehen — und durchaus zumutbar sei. Doch das kann Jasmin Blunt so nicht stehen lassen.

Laut Kultusministerium ist die Entscheidung für „Tauben im Gras“ als Pflichtlektüre längst gefallen, man wolle das Werk nicht zurückziehen. Doch das wollen die Unterstützer der Petition nicht akzeptieren. „Hier werden Menschen zu Kollateralschäden“, sagt Lisa Esra Oneli, Mitbegründerin der Bewegung „Mein Ich gegen Rassismus“, die die Petition mit Lehrerin Jasmin Blunt ins Leben rief.

Der Rückhalt zu ihrer Forderung werde immer größer. „Uns schließen sich immer mehr Leute an. Und wenn Kultusministerin Theresa Schopper hier nicht einlenkt, sind wir bereit, deutschlandweit auf die Straße zu gehen“, kündigt Lisa Esra Oneli an. Auch eine Podiumsdiskussion zu dem Thema sei geplant. So schnell dürfte die Debatte also nicht beendet sein.